Ich gebe es zu: Durch all die eher schlechten Kritiken hatte ich keine allzu großen Erwartungen an Kevin Costners Neo-Western gehabt. Aber dann! *Wow*, was für ein fantastisches Stück Kino! Hut ab, das hat das Zeug zu einem (anfangs wohl verkannten?) Klassiker zu werden!
-Wobei ich aber auch durchaus verstehen kann, warum die Amis keine rechte Freude an dem Film hatten: Von Bertrand Russell stammt ja das großartige Zitat, dass die Amerikaner ihre Liebe zu den Menschenrechten erst in dem Augenblick entdeckt hätten, als sie mit den Indianern im eigenen Land fertig waren. Und Horizon reibt seinen Landleuten diese unschöne Wahrheit doch recht deutlich unter die Nase. Denn wenn der Film eines _nicht_ macht, dann ist es, die Seh- und Denkgewohnheiten des durchschnittlichen US-Amerikaners zu bedienen.
Costner nimmt sich stattdesse erst mal unverschämt viel Zeit, unverschämt viele Charaktere in unverschämt vielen Handlungssträngen einzuführen, sie langsam zu entwickeln und dann erst langsam im Laufe dieses Dreistundenepos (und das ist ja erst der erste von drei Teilen!) geschickt miteinander zu verweben. -Schon _das_ dürfte für den durchschnittlichen heutigen Kinofan etwas "überkomplex" gewesen sein, ist er doch eher Knall-Bumm-Dumm-Action im Minutentakt gewohnt, garniert mit einer mit der Lupe zu suchenden dünnen Handlung und alles auf einem maximalen IQ diesseits der Zimmertemperatur gekocht..
Und dann? Tja, da begeht Kevin Costner dann doch tatsächlich auch noch das Erfolgs-Harakiri, all die Cowboys und Siedler nicht wie üblich als Pioniere und Überhelden darzustellen: Nein, in seinem Film sehen wir bestenfalls eher einfältige Siedler, die minutiös genau "ihr" neues Stück Land vermessen, bevor die darob kopfschüttelenden Indianer sie einfach abmurksen. Und schlechtestenfalls sind die Weißen bei Costner eben Strauchdiebe, Huren, eiskalte Mörder und Vergewaltiger, desillusionierte Säufer oder skurpellose Geschäftemacher, die alle sehr genau wissen, dass sie den unschuldigen Ureinwohnern widerrechtlich ihr Land und ihr Leben wegnehmen -und es eben ohne Gewissensbisse und Moral trotz allem tun.
Kurzum: Der weiße Mann ist bei Kostner nicht jene Art Strahlemann, den sich Joe Sixpack auch heute noch nur all zu gerne als seine Ur-ur-ur-Großeltern ausmalt -und da das alles damit auch zeitlich gar nicht sooo weit weg, dass es dem Durchschnittsami egal sein könnte, hat er den Film als "unamerikanisch" an den US-Kinokassen dann halt abgestraft.
Glücklicherweise brauchen _wir_ diese Art moralischen Schluckauf hierzulande nicht mizumachen, was uns ein objektiveres Filmerlebnis erlaubt! :-)
Aber zur Handlung: "Horizon: An American Saga – Chapter 1" ist der erste Teil eines groß angelegten Western-Epos. Er spielt um die Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs und der Besiedlung des "Wilden Westens" der USA und erzählt parallel zueinander mehrere Handlungsstränge, die dann später zusammen führen.
Ein zentrales Motiv ist dabei der Konflikt zwischen den weißen Siedlern, die auf der Suche nach einem Stück Land immer weiter in das Territorium der indigenen Bevölkerung eindringen: "Horizon" steht dabei für den Namen einer neu ausgelobten Stadt im südöstlichsten Teil Arizonas, die ausgerechnet an einem auch für die Apachen wichtigen Flussufer liegen soll. Diese verteidigen entsprechend "ihr" Land, in dem sie die Siedler töten; jene nehmen Rache, in dem sie wahllos und willkürlich Indianer niedermetzeln. "Horizon" steht aber auch begrifflich für jenen Horizont, an dem neues- aber nicht immer unbedingt gutes aufkommt.
Der Film geht dabei den Weg, dass er uns stets die Protagonisten auf beiden Seiten zeigt und wie sich deren Gewalt gegenseitig aufschaukelt -ein cleverer Ansatz, denn so versteht man auch beide Seiten in ihren Handlungen und sieht wie in einer klassischen griechischen Tragödie, wie beide zwangsläufig in den Strudel von immer mehr Gewalt und Gegengewalt geraten.
Dabei gelingen Costner schöne Charaktere:
Der alte Indianerhäuptling Tuayeseh zum Beispiel, der weise genug ist, um diese Gewaltspirale vorauszusehen -und noch weiser, zu wissen, dass er sie trotzdem nicht aufhalten können wird.
Oder sein alter ego, Colonel Houghton, der als kommandierender Offizier in dem nahegelegenen (ziemlich erbärmlichen..) Fort der US-Army "Camp Gallant" zusammen mit seinem versoffenen Stabsarzt genauso abgeklärt die unzähligen Toten auf beiden Seiten voraussieht, aber ebenso auch, dass es am Ende all dieses wahnwitzigen Blutzolls irgendwann der weiße Mann sein wird, der aufgrund seiner schieren Überzahl die Indianer letztendlich vernichten wird.
Auch Kevin Costner hat sich selber eine Rolle in seinem Film gegönnt: Als Hayes Ellison spielt er einen abgeklärten alterndernden Pferdehändler, der durch den Versuch, einer Prostituierten das Leben zu retten, selber zur Zielscheibe eines mächtigen mafiösen Familienclans wird.
In einem anderen Handlungsstrang sehen wir Überlebende eines Apachen-Massakers und wie sich mit einer Horde skrupelloser Skalpjäger verbünden, um einen willkürlichen Rachefeldzug gegen Indianer zu führen.
In wiederum einem weiteren Plot sehen wir einen Treck von Neuankömmlingen, die entlang der Santa Fe Route ins Land strömen. Elegant beschreibt Costner die Gruppe als kunterbunten Mikrokosmos von hochnäsigen Briten, hemdsärmeligen Rednecks, toughen Frauen und derben Einzelgängern -multi-kulti im Kleinformat. Und es gehört auch nicht sonderlich viel prophetischer Geist dazu, vorauszusagen, dass sie wohl im zweiten Teil des Epos alsbald zum Ziel eines Indianer-Rachefeldzugs für ihr niedergemetzeltes Dorf werden dürften.
Eine andere Überlebende des Apachen-Massakers, Frances Kittredge, versucht, mit der ihr verbliebenen Tochter in der rauen Wildnis Fuß zu fassen und nähert sich im Camp Gallant dem First Leutanant Trent Gephardt an. In letzterem bündelt Costner das ganze Dilemma der Situation: Gephardt ist ein junger Offizier, der an seinen hohen moralischen Standards verzweifelt: Einerseits muss er als US-Army-Offizier die Siedler schützen, andererseits versteht er die Situation der Ureinwohner -und sieht doch vor Ort die Taten weißer Skalpjäger: Soviele Pflichten, soviele Zielkonflikte, sowenig persönliches Glück. Bis ihm eben die Witwe Frances Kittredge begegnet. Aber wir sind nun mal in den Zeiten des amerikanischen Bürgerkriegs. Und da Gephardt als Patriot die Einheit des Landes erreichen will, dürfte die Beziehung der beiden im zweiten Teil des Films wohl recht schnell auf die Prüfung gestellt werden: Liebe oder Bürgerkrieg?
Lässt sich Costner die erste Stunde noch recht viel Zeit, so nimmt der Film danach deutlich an Fahrt auf: Es macht Spaß zu sehen, wie die vielen Handlungsstränge anfangen, ineinander zu münden und wie immer mehr Fährten ausgelegt werden, wie es in den nächsten Teilen dieses Spätwesterns wohl weitergehen dürfte!
Visuell beeindruckt der Film durch seine herrlichen Landschaftsaufnahmen -der Westen brilliert in seiner Weite, seiner Rohheit, seiner Schönheit. Nur, damit uns die Kamera in der nächsten Einstellung gleich wieder in die Beklemmung, den Dreck und die Hektik von Zeltstädten, aus grobem Holz zusammengestückelten Siedlerhütten und schiefen Holzkreuzen notdürftig Verscharrter wirft. Kurzum: Kameramann James Michael „Jim“ Muro sind wirklich beeindruckende Bilder gelungen: wunderschöne und wunderschön drastische.
Die 50 Millionen Dollar Budget sieht man im Detailreichtum der Ausstattung: Es braucht Gott sei Dank kein CGI-Gewitter, um zu beeindrucken und sich als Zuschauer plausibel ins 19. Jahrhundert zurückversetzt zu fühlen.
Resumée: "Horizon: An American Saga – Chapter 1" ist ein starkes Stück Kino, das Lust auf die anderen beiden Teile macht!
Aber es ist eben kein übliches Hollywood-Fastfood, sondern ein wirkliches *Epos*, das sich erst einmal in vielen Dimensionen recht komplex entwickeln will. Entsprechend fordert es seinem Publikum auch ab, dass man sich auf dieses "große" Erzählformat einlässt. Aber es lohnt sich! Chapeau, dass Kevin Costner den Mut aufgebracht hat, gegen alle Konventionen ein solch Stück kratzbürstiges, aber dafür eben endlich auch mal wieder kreativ neues Erzählkino zu machen!