MIT HUNDEN EWIG LEBEN
Aus den streitbaren jungen Models, rekrutiert aus prekären Verhältnissen, die allesamt entweder eine Ausbildung zur reuelosen Superkillerin oder ein Bad im Drogencocktail genossen haben, ist nun jemand ganz anderer geworden. Eine Art Joker, ein Arthur Fleck jenseits des DC-Universums, in welchem es kein Gotham und keinen Batman gibt, aber Gestalten, die in den Filmen von Luc Besson liebend gerne vorkommen. Betrachtet man sie genauer, so sind diese Subjekte bis fast zur Parodie überzeichnete Schurken und Missetäter, die an den Fuchs und den Kater aus Collodis Pinocchio erinnern. Auch sie hätten ihren Platz in einem Comic-Universum, in einem von Besson eigens errichteten, in dem auch Nikita, Lucy, Anna und Angel-a ihren Frauen stehen. Dieser Arthur Fleck, misshandelt, verstoßen, gequält und alleingelassen, könnte zum Ober-Antagonisten einer ganzen Welt werden. Die Schminke im Gesicht hat er schon, doch so einsam wie Joaquin Phoenix in seiner nachhaltig wirkenden Oscar-Rolle ist Douglas Munrow allerdings nicht. Vielleicht hält ihn gerade dieser Umstand davon ab, sich der Wandlung zum Bösewicht hinzugeben und das Volk zur Revolution anzustacheln. Munrow umgeben treuherzige, hechelnde Vierbeiner aller Rassen – ob groß, ob klein, ob zottelig oder mit Kurzhaar: Als DogMan trägt dieser Lebenskünstler seinen Namen zu Recht. Als Kind von seinem gewalttätigen Vater (Clemens Schick mit Brutalo-Schnauzer) in einen Käfig voller ausgehungerter Kampfhunde gesperrt, wird dieser noch zu allem Überfluss von seinem Erzeuger in den Rollstuhl geschossen, als sich die Lage dramatisch zuspitzt.
Mit Stützhilfen an den Beinen und einer unbändigen Liebe zu den Tieren, die ihm in seiner Zeit der Entbehrung zur Seite standen, schleppt sich Munrow durch ein enttäuschendes Leben, bevölkert mit Menschen, die ihm die kalte Schulter zeigen. Dennoch gibt’s wenige Ausnahmen, so zum Beispiel die Schauspielerin Salma, für die der noch junge Douglas romantische Gefühle hegt. Sie schenkt ihm auch den nötigen Willen, nicht unterzugehen in einer Welt, die nichts für Krüppel übrighat. Einzig der beste Freund des Menschen, dessen einziger Schwachpunkt das blinde Vertrauen zu eben jenen darstellt, wird in großer Vielzahl zur Privatarmee einer Dragqueen, die das Glück hat, einmal die Woche in einem Varieté Klassiker von Edith Piaf oder Marlene Dietrich zu schmettern – alles sehr professionell und unter Gänsehautgarantie. Bis es so weit kommt, und der DogMan Kontakt mit einer Unterwelt macht, die, wie schon erwähnt, in grotesker Überzeichnung donnernden Schrittes den Respekt der Schwachen erzwingt. Ob Munrow letztlich wirklich zu dieser Art Mensch zählt, die sich unterwerfen lässt?
Besson macht die Probe aufs Exempel – oder besser gesagt: die Probe auf eine ins Irreale abdriftende Fabel, die längst schon als Großstadtmärchen zwischen Oliver Twist und Matteo Garrones leicht zu verwechselnder Macht- und Gewaltstudie Dogman durchgehen kann. Der italienische Thriller aus dem Jahr 2018 handelt von einem, der den Mächtigen dienen muss, um zu überleben. Doch dann kommt die Wende, wenn David gegen Goliath zu siegen versteht. Bessons Hunde-Oper (bei der man heilfroh ist, dass die Tiere alle weder sprechen noch wir deren Gedanken hören) frönt dabei weniger einem harten Realismus wie Garrone, sondern einer fast traditionellen Erzählweise aus Rückblenden, eingängigen musikalischen Ohrwürmern und tröstend naiven Verhaltensstudien jaulender Vierbeiner, die die Sprache der Menschen verstehen und wie auf magische Weise mental mit ihrem Meister verbunden sind. Dass sich Hunde so nicht verhalten – schon gar nicht, bevor sie zuschnappen – erscheint selbst mir als Nicht-Hundebesitzer relativ klar. Dass Besson gerne manche, fahrlässig anmutende Unwahrscheinlichkeiten toleriert, um das Psychogramm seiner leidensfähigen Märtyrerfigur auch zu Ende zu bringen, muss man geradezu akzeptieren.
Denn im Mittelpunkt steht einer, dessen Paraderolle längst überfällig war: Caleb Landry Jones. Die sanfte Stimme. Augen, die schon viel Schlimmes sehen mussten. Ein gezeichneter Körper, die Leidenschaft für Shakespeare und die Möglichkeit, wie Arthur Fleck jemand anderer zu sein. Ein gewisser ihm innewohnender Frieden, vor allem mit sich selbst, fasziniert auch das Publikum. Seine gottergebene Akzeptanz eines traurigen Lebens macht ihn zu Bessons bisher größtem Bajazzo, nämlich ohne Wut im Bauch – einer, der zwar niemals im Selbstmitleid versinkt, der am Ende aber das deftige Pathos sucht, um seine Bestimmung zu besiegeln.
_______________________________________
Mehr Reviews und Analysen gibt's auf filmgenuss.com!