DIE PRIORITÄTEN EINES KÜNSTLERS
Selbstzweifel und miese Laune. Fast könnte man meinen, diese beiden Eigenschaften gehören zum Künstlerdasein wie das Amen im Gebet. Fast könnte man meinen, die Selbstzweifel sind nur dazu da, um für Komplimente zu fischen: Dass das neue Werk sowieso gar nicht so schlecht ist, dass die bescheidene Selbstauffassung den Künstler nur sympathischer macht und devot gegenüber seiner gottgegebenen Gabe, Sätze stilvoll auszuformulieren und aneinanderzureihen. Nur keine falsche Bescheidenheit, könnte man meinen, um dann dem gemarterten Denker, der sich in die stille Oase eines Ferienhauses zurückzieht, um seinem Werk den letzten Schliff zu geben, auf die Schulter zu klopfen. Bei Leon, einem innerlich unrunden und von allem genervten Schriftsteller, ist das erhaschte Lob wohl genau der Motor, der ihn auf Vollgas bringt. Doch dieses Lob, das kommt nicht. Denn niemand hat seinen Zweitroman gelesen, abgesehen vom Verleger wohlgemerkt, der in den nächsten Tagen an die Nordseeküste kommen soll, um das Werk durchzugehen. Bis dahin heisst es arbeiten – doch wie soll das gehen, wenn die aus zwei Freunden bestehende Künstlerkommune (der andere, Felix, ist Fotograf und muss ein Portfolio fertigstellen) plötzlich durch eine dritte Person ergänzt wird, noch dazu durch eine attraktive junge Frau, die sich allnächtlich amourösen Vergnügungen hingibt und den armen, wirklich armen Leon um den Schlaf bringt?
Es wäre alles eine fast schon banale, norddeutsche Beziehungsgeschichte im Dunst frühsommerlicher Vorfreuden auf trockenheisse Monate, würde Christian Petzold, der im Rahmen der Viennale womöglich stundenlang über seinen Film hätte referieren können, nicht wieder seine schwergewichtige Metaebene in den Plot geholt hätte. Aus der Konstellation genrebekannter Charaktere, die allesamt nicht überraschen und tun, was von ihnen erwartet wird, entsteht somit ein Schicksalsreigen, der sein Ensemble auf gar keinen Fall in Ruhe tun lassen will, was es tun möchte. Viel zu viel steht auf dem Spiel, viel zu viel ringsherum in dieser Welt, um die sich keiner mehr schert, geht da vor sich. Es lodern Waldbrände, die kaum mehr zu kontrollieren sind, und das im Juni. Der Himmel leuchtet rot in der Nacht, das donnernde Geräusch der Löschhubschrauber lenkt Leon von seiner Arbeit ab, während Felix nur an den Strand will, um dabei Leute zu fotografieren, die aufs Meer schauen. Diese Ursuppe, die könnte bald übergehen, wenn der Klimawandel irgendwann zu seinem Ende kommt. Noch blicken wir erstaunt auf das, was sich auf rätselhafte Weise so anfühlt, als wäre es ein Naturphänomen oder eine Selbstverständlichkeit. Wie die Biolumineszenz des Meeres. Wie unbedeutend erscheint da die Qual des Virtuosen, den nächsten Bestseller zu schreiben? Doch Thomas Schubert, bekannt aus Karl Markovics fulminantem Einstand Atmen, grantelt und zwidert herum wie ein Hans Moser des 21. Jahrhunderts – zynisch, herablassend und wehleidig. Ihm zuzusehen, vertreibt die Zeit in Windeseile, weil er oft sein darf, wie wir selbst oft sein wollen, dabei aber ganz vergessen, dass es noch andere und anderes gibt, wofür es den aufmerksamen Blick braucht. Thomas Schuberts schwarzer Mann im Strom der Begebenheiten ist das von der Seele des Kreativen geredete La Linea-Männchen, dem man den Strich zum Weitergehen wegradiert.
Insofern wagt Petzold, das Künstlerdasein als mitunter etwas Irrelevantes darzustellen, in Anbetracht höher gesetzter Koinzidenzen und merkwürdiger Konstellationen. Roter Himmel wirkt wie metaphysische Mystery, wie ein Sommernachtstraum zwischen rezitierten Gedichten und Ascheregen. Einerseits ist es das, andererseits auch wieder nicht. Niemandem gelingt dieses zarte Changieren zwischen den Ebenen so beiläufig wie Petzold. Und dennoch ist es diesmal so, als würde der schon seit ewigen Zeiten filmemachende Virtuose ausnahmsweise mal selbst ein bisschen unter Druck geraten sein. So geschmeidig und leichtfüßig sich das Stelldichein am Meer auch anfühlt, so vehement bricht Petzold mit der Entrücktheit seiner Fast-Künstlerkommune. Schicksalsschläge wie bei einer Soap Opera donnern hernieder – das ist fast schon zu direkt und zu rutschfest am Schlafittchen gepackt. Aufgesetzt, will ich fast meinen. Und dann doch wieder nicht, denn das, was kommt, das ist schließlich etwas, dass man fast schon erwarten muss. Natürlich ist Roter Himmel dann nichts mehr Belangloses mehr, kein Künstlerjammern, kein Blickezuwerfen durchs Haus und am Strand. Das ist schön und gut, und auch faszinierend sowie in äußerster (Dis)harmonie dargeboten. Die Notwendigkeit aber, erhellen zu müssen, nimmt dem Drama aufgrund des zu erwarteten Unerwarteten eine gewisse Spontaneität, die sich so gut aus dem sozialen Spannungsfeld entladen ließe.
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