Ein freidrehender Thomas Jane macht's halbwegs erträglich
Von Lutz GranertBruce Willis und viele populäre Bands haben eines gemeinsam: Ihre Abschiedstouren sind lang, sehr lang – und ihr angekündigter Rückzug aus dem Showbusiness nicht unbedingt endgültig. Während von ABBA inzwischen Hologramme auf Tour gehen, könnte bald – trotz des krankheitsbedingten Karriereendes – ein „digitaler Zwilling“ von Bruce Willis auch ohne seine eigene physische Anwesenheit durch weitere Filme geistern. Schließlich hat er es 2021 auf diese Weise bereits in einen russischen Werbespot geschafft. Der reale Action-Star aus Fleisch und Blut soll von der Präzision seiner verjüngten Digitalversion sehr angetan gewesen sein – und unbestätigten Gerüchten zufolge nun überlegen, als erster Hollywood-Schauspieler überhaupt die Rechte an seiner virtuellen Erscheinung zu verkaufen. Sollte es dazu kommen, stellt sich jedoch die grundlegende Frage, ob der Avatar dann weiter nur in austauschbaren Fließband-Produktionen auftritt – oder gibt es dann womöglich auch mal wieder gute Bruce-Willis-Filme?
Zu der Direct-to-VoD-Dutzendware zählt nun jedenfalls auch der Rache-Thriller „Vendetta – Tag der Abrechnung“, in dem Bruce Willis aber zumindest deutlich mehr Screentime bekommt und auch geistig wacher wirkt als zuletzt in den lahmen Thrillern „A Day To Die“ oder „Gasoline Alley“. Das freut zwar seine Fans, aber ein Gütesiegel ist das allein noch lange nicht. Der preisgünstig produzierte Streifen des bekennenden „Stirb langsam“-Fans Jared Cohn, der schon den Trash-Heuler „Deadlock“ mit seinem Lieblingsstar abdrehte, ist nämlich leider ebenso uninspiriert wie substanzlos. Ein regelrecht entfesselt improvisierender Thomas Jane in einer absolut überflüssigen Nebenrolle ist das Einzige, was länger in Erinnerung bleibt.
Als sadistischer Bösewicht präsentiert sich Bruce Willis diesmal für seine Verhältnisse erstaunlich wach.
Als der Ex-Marine William Duncan (Clive Standen) gerade Tacos zum Abendessen besorgt, wird seine im Auto wartende Tochter Kat (Maddie Nichols) von einer Bande maskierter Gangster angegriffen. Einer von ihnen ist Danny (Cabot Basden), der gerade ein Aufnahmeritual für eine Verbrecherbande durchläuft und die Teenagerin erschießt. Ihr Vater kommt als einziger Zeuge der Tat zu spät und gibt im anschließenden Gerichtsprozess – fälschlicherweise – an, Danny nicht eindeutig identifizieren zu können, woraufhin dieser freigesprochen wird. Der Plan hinter der Falschaussage: William will sich für den Mord an seiner Tochter selbst rächen – weswegen er es auch auf Dannys Vater, den Banden-Chef Donnie Fetter (Bruce Willis), abgesehen hat...
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Aufs Konto von Jared Cohn gehen bisher vor allem solche Trash-Granaten wie „Shark Season - Angriff aus der Tiefe“ – und das merkt man der preisgünstigen Inszenierung von „Vendetta – Tag der Abrechnung“ durchaus an. Nahezu jede Actionszene – sei es eine Verfolgungsjagd oder eine Schießerei auf offener Straße – ist mit wackeliger Handkamera gefilmt und so unbeholfen montiert, dass jegliche Übersicht direkt verloren geht. Jared Cohn zeichnet darüber hinaus auch fürs Verfassen des generischen Skripts, das in seinen Wendungen dreist von James Wans brachialer Rachefantasie „Death Sentence – Todesurteil“ (2007) abkupfert, selbst verantwortlich. Das wäre an sich nur halb so schlimm, wenn wenigstens das Tempo stimmen würde. Doch wenn Donnies Schergen im schummrig mit LEDs ausgeleuchteten Stripclub zäh darüber grübeln, wer denn nun hinter Dannys Tod stecken könnte, oder ein umsichtiger Detective minutenlang versucht, mit Diplomatie eine (weitere) Gewalteskalation zu verhindern, wird die substanzarme und zuweilen arg konstruierte Chose immer wieder gnadenlos ausgebremst.
Während Bruce Willis erstaunlich viel Screen Time erhält, fällt das Gastspiel von Ex-Boxweltmeister Mike Tyson wirklich extrem kurz aus.
Der aus der TV-Serie „Vikings“ bekannte Clive Standen versprüht absolut Null Charme als immer wieder verwundetes und zwischenzeitlich vermeintlich totes Stehaufmännchen, das in der zweiten Filmhälfte einfach nochmal seinen bis dahin gescheiterten Rachefeldzug neubeginnt. Ganz im Gegensatz dazu dreht Thomas Jane voll auf: Der „The Punisher“-Star improvisiert in seiner aufgesetzten Nebenrolle als elegant gekleideter Waffenhändler Dante nämlich drauflos, was das Zeug hält. Stets an einer überdimensionierter Pfeife paffend und wild mit einem absonderlichen Akzent-Mix sprachjonglierend, fragt er William beim Entfernen eines Projektils schon einmal salopp, ob er es vielleicht als Souvenir behalten könne. Dante wirkt zwar wie ein unpassender Fremdkörper, bildet aber zugleich den einzigen Farbtupfer im sonst arg grauen, unnötig in die Länge gezogenen Rache-Einheitsbreit. Der ehemalige Box-Champion Mike Tyson, dessen prominenter Name auch auf dem Filmplakat steht, bestreitet in einem ebenfalls überflüssigen Part als professioneller Autodieb nur zwei kurze Szenen.
Und Bruce Willis? Nachdem er sich zuletzt mit verwirrten Blick durch seine wenigen Dialogzeilen von „Gasoline Alley“ quälte, wirkt der Action-Rentner in seiner Rolle als Gangsterboss in „Vendetta“ deutlich engagierter – und das nicht nur, weil er in seinen umfangreicheren Dialogzeilen mit Verwünschungen und Flüchen zu verbitterter Miene nur so um sich wirft. Bereits nach zwei Filmminuten verprügelt er einen „Geschäftspartner“, um ihn dann auch noch direkt zu exekutieren. So agil und erfrischend fies haben wir ihn schon länger nicht mehr gesehen – auch wenn er sich aus weiteren Action-Szenen weitestgehend raushält.
Fazit: Auch wenn Bruce Willis dieses Mal für seine Verhältnisse mit etwas mehr Leidenschaft dabei ist und Thomas Jane für ein paar Lacher sorgt: „Vendetta – Tag der Abrechnung“ bleibt ein arg generischer, inspirationsfreier Rachethriller mit einer ganzen Reihe missratener Actionszenen.
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