Eines von Christopher Nolans mutigsten Werken mit einem fesselnden, beeindruckenden Cast
Als jemand, der über die Jahre hinweg mit den Filmen des Regisseurs Christopher Nolan aufgewachsen ist und einige davon zu meinen Favoriten zähle, habe ich immer eine hohe Erwartungshaltung, wenn ich das Kino für eines seiner neuen Werke betrete. Er ist einer der brillantesten und zurecht hoch angesehensten Regisseure unserer Zeit, seine meisten Filme bieten einen großartigen Cast, einen herausragenden Einsatz von analogen Kamera-Techniken und neue Ideen, die gegen den Strom der heutzutage erfolgreichsten Blockbuster schwimmen.
Dennoch haben mich seine letzten beiden, „Dunkirk“ (2017) und „Tenet“ (2020), eher mit gemischten Gefühlen zurückgelassen. Beide boten ebenfalls alles vom oben Genannten, doch was mir persönlich fehlte, war ein emotionaler Draht zur Geschichte und den Figuren. In der „The Dark Knight”-Trilogie war ich geschockt von den Ereignissen, durch die Bruce Wayne (Christian Bale) sich ständig kämpfen musste. In „Inception“ fühlte ich die Freude, als Cobb (Leonardo DiCaprio) endlich seine Kinder in die Arme schloss. Ich weinte, als Cooper (Matthew McConaughey) in „Interstellar“ die Nachrichten seiner Kinder sah, deren gesamte Jugend er innerhalb weniger Minuten verpasst hatte.
Nolans Filme danach haben sich für mich so angefühlt, als wäre dieses wichtige Element, diese Momente, die mir ewig im Kopf geblieben sind, vergessen und stattdessen aller Fokus auf das visuelle Spektakel gelegt worden, anstatt mir als Zuschauer Figuren zu geben, mit denen ich wieder mitfiebern konnte. Zwar hatten „Dunkirk“ und „Tenet“ ebenfalls einen Cast mit angesehenen Schauspielern, doch die Figuren, die sie verkörpert haben, waren für mich eher austauschbar und eindimensional. Es fehlte ein greifbarer persönlicher Konflikt, der den Hauptfiguren mehr Tiefe verliehen hätte.
„Oppenheimer“ ist ein dialoglastiger Film, der die Aufmerksamkeit des Zuschauers fordert. Es wird die Geschichte von Robert J. Oppenheimer erzählt, seine Anfänge an deutschen, wissenschaftlichen Universitäten, seine persönlichen Verbindungen zu Personen der Wissenschaft, des Militärs und Kommunismus, die Erschaffung der Atombombe und die Nachwirkungen nach dessen Abwurf auf Hiroshima und Nagasaki durch die USA im Zweiten Weltkrieg, bei dem über 100.000 Menschen starben. Das Erzähl- und Schnitttempo ist schnell, durch häufige Zeitsprünge zwischen Robert Oppenheimers Erlebnissen als auch einer Anhörung und Senatssitzung, Jahre nach dem Einsatz der Bombe, wird der Zuschauer durch die Handlung geführt.
Der Film hatte eine fesselnde Wirkung auf mich, jeder Dialog, der das Leben von Robert Oppenheimer und die Arbeit, die Ideen, die die Wissenschaftler beim Manhattan Projekt im Kopf hatten, ist faszinierend. Es geht nicht darum, dem Zuschauer Quantenphysik in aller Tiefe zu erklären, sondern dessen Bedeutung, Potenzial und Gefahr anschaulich zu machen. Er schafft es hierbei, den schmalen Pfad zwischen Zugänglichkeit und tatsächlicher Wissenschaft zu gehen. „Oppenheimer“ ist anders als alles, was Christopher Nolan bisher in seiner Karriere gemacht hat, und ich habe den IMAX-Saal mit Gefühlen verlassen, wie ich sie bisher nur bei wenigen mit Bewegtbildern erzählten Geschichten empfunden habe. Die Tragweite der Entscheidungen, die Robert Oppenheimers Werk auf sein Leben und auf das der ganzen Menschheit hatte, wurde im Verlauf des Films immer klarer.
Andere Filme des Regisseurs hatten bisher trotz tragischer Momente in ihren Geschichten ein gewissermaßen optimistisches Ende, einen Lichtblick auf möglichen Wandel. „Oppenheimer“ hinterließ mich mit einem Gefühl der Ausweglosigkeit. Christopher Nolan sagte, dass es eine der größten Geschichten unserer Zeit sei. Der schockierende Gedanke, dass die Menschheit mit der Erfindung der Atombombe die Macht bekommen hat, den Großteil allen Lebens auf der Erde in kürzester Zeit vollkommen auszulöschen, wird beständig ins Gedächtnis gerufen. Der Film ist eine Verkörperung diesen Gedanken durch seine Darstellung dieses geschichtlichen Wendepunkts.
Robert J. Oppenheimers Leben, all die Ereignisse und Entscheidungen, an denen er teilnahm und die Menschen, die seine Arbeit und ihn selbst geprägt haben unter einen Hut zu bekommen und in drei Stunden auszuerzählen, dabei die Spannung und die Aufmerksamkeit des Zuschauers aufrechtzuerhalten und der Thematik gerecht zu werden, ist ein ambitioniert Risiko. Eines, das sich ausgezahlt hat. Zwar hat der Film einen großen Cast, die viele Persönlichkeiten verkörpern, doch er legt dem Fokus stets auf den Erfinder der Atombombe selbst. Man kann zwar behaupten, dass manche Schauspieler mehr Screentime verdient hätten. Doch auch im echten Leben trifft man manche Menschen zwei oder drei Mal kurz an, wenige Worte werden gewechselt und sieht diese nie wieder. Der sparsame Einsatz mancher Figuren macht somit viel Sinn und umso mehr, wenn man beachtet, dass das Drehbuch aus der Ich-Perspektive von Robert Oppenheimer, statt aus der dritten Person geschrieben wurde. All das in einem Film zu verpacken, ist eine Herausforderung, die Christopher Nolan und die Cutterin Jennifer Lame mit Bravour gemeistert haben.
Cillian Murphy hat eine beeindruckende Filmografie vorzuweisen. Von seinem internationalem Durchbruch 2002 mit „28 Days Later“, einige weitere von Nolan selbst inszenierten Filmen in Nebenrollen bis zur bereits seit 2013 laufenden Serie „Peaky Blinders“, in der er in der Hauptrolle als Gangster Thomas Shelby brillieren konnte. „Oppenheimer“ könnte Murphys Karriere definierende Rolle sein, die ihm zahlreiche Ehrungen und Preis einbringt. Er spielt mit Robert Oppenheimer ein wissenschaftliches Genie, das weiß, wie er seine Ideen und seine Arbeit erklären muss, um sie Uneingeweihten verständlichen zu machen. Gleichzeitig ist er aber ein Mann, dessen Geist von Sorgen und Visionen erfüllt ist, welche im Film immer wieder von beeindruckenden Aufnahmen chemischer Reaktionen, Extrem-Makroaufnahmen von Explosionen und wandernden Elektronen visualisiert werden.
Cillian Murphy spielt hier jemanden, der zwar erhaben, aber auch sehr verletzlich und wie viele Genies dazu verdammt ist, einen Teil seines eigenen Handelns vor allem im Privatleben durch fehlende Empathie und Einfühlvermögen bestimmen zu lassen. Die zunehmende Reue und Zerrissenheit, eine Person, die sich letztendlich gegen ihre eigene Arbeit ausgesprochen hat, wird durch Murphy subtil und fesselnd herübergebracht, und liefert dadurch eine der faszinierendsten und mitreisenden Performances dieses Jahres. Doch er ist nur die Spitze des Eisbergs an großartigen Schauspielern und Schauspielerinnen, die diesen Film tragen.
Emily Blunt, die hier Robert Oppenheimers Ehefrau Kitty spielt, zeigt sich in einer Rolle, die sich von den Ereignissen in Los Alamos ebenso belastet zeigt wie ihr Ehemann, aber als eine Art emotionales Gegengewicht zu diesem und als überraschend furchtlose Persönlichkeit zeigt. Robert Downey Jr., der nach seinen vielen Jahren als „Iron Man“ in einer seiner beeindruckendsten Rolle zu sehen ist und als Gegenspieler der Hauptfigur in den Jahren nach dem Bau der Atombombe mit einem aalglatten und kalkulierenden Auftreten die Vergangenheit des Wegbereiters gegen jenen ausspielen möchte. Florence Pugh, die als Jean Tatlock, die frühere Partnerin von Robert Oppenheimer und verletzliche Anhängerin des Kommunismus ein weiteres tragisches Element in des Wissenschaftlers Leben einnimmt. Matt Damon, der als General Leslie Groves und Planer des Manhattan Projekt einen treuen Kollegen des Erfinders darstellt und dabei als Uneingeweihter der Wissenschaft dem Film eine geerdetere, leichtfüßigerer und auch notwendige Figur verleiht.
Auf den gesamten Cast einzugehen, würde den Rahmen sprengen, doch jeder brilliert sowohl in größeren als auch kleinen Rollen. Manche Darsteller haben nur eine Szene mit Dialog, doch durch ihre Überlieferung des Drehbuchs schaffen sie viele Momente, die trotz ihrer Kürze prägend sind. Es zeigt erneut, wie erpicht viele Größen Hollywoods sind, gemeinsam mit Nolan zu arbeiten und in einem oder so vielleicht auch seinen zukünftigen Werken auftreten zu können. Trotz des starken Wiedererkennungswerts dieser Stars haben mich diese teils überraschenden Auftritte durch die Glaubwürdigkeit der Personen nie aus der Handlung gerissen.
Mit „Oppenheimer“ ist dies Christopher Nolans erster Film seit Memento, der nicht unter Warner Bros. produziert wurde. Als bei Warner während der COVID-19 Pandemie die Entscheidung getroffen wurde, anstehende Kinofilme zeitgleich im Kino und auf dem Streaming-Service HBO Max zu veröffentlichen, löste dies einen Konflikt zwischen Nolan und dem Studio aus. Nolan kehrte Warner den Rücken und so war es nun Universal Pictures, wo der Biopic-Thriller mit einem geschätzten Budget von 100 Millionen Dollar entstanden ist.
Der Versuch, das Leben der 1940er einzufangen und dabei die Tragkraft der Taten der involvierten Personen im Manhattan Projekt zu transportieren, wird mit einer Bildgewalt zur Schau gestellt, wie es wohl kaum ein anderes Biopic bisher getan hat. Die echten Sets, die hervorragenden Kostüme, das absolut überzeugende Make-Up zur Alterung der Darsteller. Der Anspruch, weiterhin auf echte Bilder mit wenig CGI zu setzen, die direkt mit der Kamera eingefangen werden, ist bewundernswert. Einer der Filme mit dem meisten Einsatz der 70mm-IMAX Kamera und der längste Film, der jemals auf analogem IMAX-Film veröffentlicht wurde. Klar, nur ein vergleichsweise kleines Publikum wird ihn tatsächlich in diesem Format sehen, da es weltweit geschätzt 30 Kinos mit einem 70mm IMAX-Projektor gibt. Doch die Schönheit und der Detailierungsgrad des Bildes transportiert sich auch auf die anderen, digitalen Versionen. Durch den starken Fokus auf Dialoge ruht die Kamera häufig auf den ausdrucksstarken Gesichtern der Darsteller, doch trotzdem bieten die Landschaften und Städte der 40er immer wieder visuelle Highlights, wobei aber die Atombombe selbst das größte, unvergesslichste von allen geworden ist.
Einer der am meisten geäußerten Kritikpunkte von Tenet (2020) war vor allem die Soundabmischung, durch den Dialoge häufig unverständlich waren und durch zu laute Musik oder Sound-Effekte überlagert wurden. Glücklicherweise war dies bei Oppenheimer nicht wieder der Fall. Ich habe die deutsche Fassung mit IMAX-Sound gesehen. Der Sound von „Oppenheimer“ reizt bei Explosionen die Möglichkeiten des Kinosaals aus, ich liebe es, wenn Filme mit einem mutigeren, lauten Klang aufwarten, wenn dieser gut umgesetzt wird. Die lebendige Soundkulisse verleiht gemeinsam mit Ludwig Göranssons Soundtrack der Spannung und dem Zeitdruck, unter dem die Wissenschaftler im Wettlauf gegen die Nazis waren, einen fantastischen Nachdruck.
Nachdem Nolan über viele Jahre hinweg mit Hans Zimmer gearbeitet hat, ist dies nun die zweite Zusammenarbeit mit Göransson, der neben dem hervorragenden Soundtrack zu „Tenet“ über die Jahre auch für seine Arbeit an „Creed“, „Black Panther“ und zuletzt „The Mandalorian“ bekannt geworden ist. Die Art und Weise, wie Göransson es schafft, eine bedrückende Atmosphäre zu schaffen, aber in vielen Momenten die melancholischen Töne der Violine in den Vordergrund zu rücken, hebt sich von den gewohnten Tönen eines Hans Zimmers ab und schafft dadurch einen zwar ähnlichen, aber doch eigenen Stil. Der Soundtrack ist herausragend geworden und es definitiv wert, separat gehört zu werden, da er einen direkt an die besten Szenen des Films zurückwirft. Zu meinen Favoriten zählen vor allem „Can You Hear The Music”, „Quantum Mechanics”, „Fusion”, „Trinity” und „Destroyer Of Worlds”.
Mit einem beeindruckendem Cast, atemberaubenden Bildern und einer Geschichte, die mich noch lange Zeit nachdenken lassen wird, ist „Oppenheimer“ nicht nur der beste Film von Christopher Nolan seit Interstellar (2014), sondern auch einer, der den Weg für mehr Blockbuster mit ernsteren, realen Themen in der heutigen Kinolandschaft ebnen könnte. Er ist handwerklich nicht nur über alle Schwächen erhaben – Er hat das Potenzial, als Werk zu gelten, das in Zukunft im Geschichtsunterricht genutzt wird, um die Tragkraft eines prägenden Wendepunkts unserer Welt zu demonstrieren. Wer sich im Voraus zusätzlich einliest und über die wichtigsten Akteure in Julius Oppenheimers Leben informiert, wird aus diesem Erlebnis noch mehr herausholen können. Was der Grund dafür ist, dass ich mich auf meinen zweiten Kinobesuch fast noch mehr freue als auf den ersten.