Die Sache bei Christopher Nolan Filmen ist die: Persönlich kann ich sie erst fair bewerten, wenn ich sie mindestens zweimal gesehen habe. Das ist bei Oppenheimer noch nicht der Fall - diese Rezension ist deshalb eher ein erster Eindruck.
Obwohl (oder gerade weil) ich nicht behaupten kann, alles verstanden zu haben, war ich seit dem Kinobesuch immer wieder in Gedanken bei dem Film und bin überrascht, wie unterschiedlich er von den Menschen aufgenommen wird.
Mit seinen drei Stunden Laufzeit ist Oppenheimer sicherlich nicht für jeden; aber es passiert so viel, dass die Zeit wie im Flug vergeht. Allerdings wird auch immer komplette Aufmerksamkeit gefordert. Die nicht lineare Erzählweise, für die Nolan bekannt ist, findet sich auch hier - dennoch ist der Film leichter zugänglich als frühere Nolan-Blockbuster, in denen komplexe Science-Fiction-Konzepte erklärt werden müssen.
Ohne physikalische und politische Kenntnisse der Zeit kann man einige Gespräche nicht vollständig erfassen, aber an konkreter Wissenschaft hört man auch nicht allzu viel. Meinem Eindruck nach setzt Nolan zwar ein allgemeines Interesse sowie volle Aufmerksamkeit voraus, jedoch keine umfangreichen Geschichtskenntnisse. Es ist empfehlenswert, sich vor- oder nachher über die realen Hintergründe zu belesen, aber nicht notwendig, um den Film genießen zu können.
Wobei "genießen" es nicht ganz trifft - obgleich man gut unterhalten wird und bei dem ein oder anderen sarkastischen Wortwechsel auch lachen kann.
Insgesamt ist es aber ein sehr ernster Film, der nur so vor Spannung pulsiert und in einigen zentralen Szenen besonders mitreißt. Persönlich war ich fast erleichtert, dass Oppenheimer weniger horrorhafte Bilder zeigt als befürchtet - beispielsweise sind keine Opfer des Atombombenabwurfs zu sehen, es wird nur darüber gesprochen. Aufgrund der Themen würde ich es trotzdem erst ab etwa fünfzehn bis sechzehn Jahren empfehlen. In der ersten Hälfte des Films gibt es - höchst nolan-untypisch - auch Nacktheit und Sex, aber es ist nicht allzu explizit.
Es muss aber gesagt werden, dass ein Großteil des Films aus gut gekleideten Männern besteht, die in einem Raum sitzen und sich unterhalten. Nichtsdestotrotz schafft es Nolan, einen packenden Thriller zu inszenieren, der von einem überragenden Cast getragen wird.
Cillian Murphy und Robert Downey Jr. wurden bereits (zu Recht!) von vielen Kritikern gelobt, aber auch Matt Damon und Emily Blunt haben mich sehr beeindruckt. Cillian Murphy bekommt hier endlich, was er verdient: Eine Hauptrolle in einem Nolan-Film.
Besonders hervorheben muss ich auch das Sounddesign. Es ist - in Ermangelung eines besseren Wortes - bombastisch. Die Kombination von Musik und Geräuschen ist meisterhaft und zieht den Zuschauer noch mehr in die Atmosphäre dieser Geschichte. Auch visuell ist Oppenheimer wirklich herausragend, aber von Christopher Nolan ist man auch nichts anderes gewöhnt. Besonders beeindruckend (und ohne CGI) dargestellt sind die Explosionen und die Visionen Oppenheimers. Etwas Vergleichbares habe ich noch in keinem Film gesehen.
Die historische Akkuratesse kann ich als Mensch ohne außergewöhnliche Geschichtskenntnisse allerdings nicht beurteilen.
Der Film wird seinem Titel in jedem Fall gerecht; alles dreht sich um Oppenheimer und vor allem seine moralischen Konflikte sowie Beziehungen. Da verwundert es nicht, dass die anderen Figuren etwas auf der Strecke bleiben. Das ist zuweilen etwas schade, da diese wenig in Erinnerung bleiben, obwohl sie mehr Potential hätten. Es tauchen sehr viele Nebencharaktere auf, oft von bekannten Schauspielern verkörpert, bei denen man auch schnell mal durcheinanderkommt. Vor allem bei Florence Pughs Jean Tatlock hätte ich mir noch mehr Charakter gewünscht. Emily Blunt als Kitty Oppenheimer bleibt ebenfalls eher im Hintergrund, hat aber gegen Ende doch noch starke Momente.
Aber um ehrlich zu sein - von diesen Dingen abgesehen fällt es mir schwer, überhaupt Kritikpunkte zu finden.
Das Ende wirft, wie auch andere Nolan-Filme zuvor, große Fragen für Diskussionen auf. Es entlässt den Zuschauer mit der eindringlichsten Vision des ganzen Films und nimmt indirekt Bezug zur heutigen Weltlage.
Wenn man sich darauf einlässt, erlebt man diesen Film als einen fesselnden Einblick in J. Robert Oppenheimers Leben, der einen durch spannungsgeladene und teils spektakuläre Szenen mitreißt. In anderen Worten: Ich kann diesen Film nur empfehlen. Am besten im Kino.