MIT SCHIELE IM BUNKER
Als Kunstdieb hat man’s heutzutage nicht leicht. Oft lassen sich so manche Werke gar nicht mehr richtig in die Tasche packen, denn sie sind zu groß, bestehen lediglich aus einer oder mehreren Video-Installationen oder gefallen sich selbst sehr als unförmige Gebilde, die in den Raum ragen. Da hat man es als Kunstdieb schon leichter, sich einfach nur ein oder mehrere Egon Schiele-Originale unter den Nagel zu reißen. Natürlich muss man wissen, wo man suchen muss. Am besten in irgendwelchen schicken Edelappartements, in denen alles, angefangen von der Sprinkleranlage fürs Pflanzenbiotop bis hin zur Temperaturregelung, automatisiert ist. Wenn das Smart Home aber mal spinnt, könnte es zugehen wie in Jean-Pierre Jeunets Satire Bigbug – oder in der Escape Room-Schnitzeljagd Inside vom griechischen Dokufilmer Vasilis Katsoupis. Hat man, wie dieser eben, eine One-Man-Show vor sich, braucht es jemanden, der jede noch so schräge Rolle mühelos stemmen kann: Willem Dafoe – Film-Chamäleon und Alleskönner. Ob leidenschaftlicher Van Gogh oder Ekelpaket unter David Lynch. Ob Teil des MCU oder Liebkind von Abel Ferrara: Dafoes Spektrum ist so breit gefächert, da sieht man die Enden nicht, da kann man tun, was man will. Natürlich ist ein Film wie Inside etwas, das kann er nicht ausschlagen. Schon gar nicht, wenn die Figur des Kunsträubers Nemo umgeben ist von sündteuren Exponaten, die allesamt in einer steril-kalten Museumswohnung hängen, die aussieht, als wäre sie das Mumok in Wien. Da sind die Schiele-Bilder nur kunsthistorische Draufgabe, wenn der ganze Rest, der die Wände, Böden und ganze Räume schmückt, den letzten Marktschrei rausbrüllen.
Zugegeben, ich kannte bis auf Schiele keinen der Künstlerinnen und Künstler, die in diesem Film vertreten sind. Ich bilde mir ein, schon mal was von Maxwell Alexandre gehört zu haben, dem Basquiat von Rio. Seine Bilder stechen mir als erstes ins Auge (nebst Schiele), es folgen die Farbklekse des John Armleder, die grotesken Tesafilm-Klebebilder eines Maurizio Catellan (von ihm würde ich gern mal eine ganze Ausstellung sehen) oder die Fotografien von Adrian Paci – um nur einige zu nennen (im Abspann sind sie alle angeführt), welche die zeitgenössische Kneipp-Kur durch das prall gefüllte Interieur einer steinreichen Familie von Welt, die gerade woanders weilt, nur nicht hier, als Bilder- und Kunstquiz bereichern. Es kann auch sein, dass Dafoes Figur gar nicht alles kennt, was er hier zu sehen bekommt, entsprechend fahrlässig geht er später mit diversen Designermöbeln um, die zweckentfremdet werden.
Dieser Nemo also schafft es im letzten Moment leider nicht, mit den Schieles im Schlepptau die heiligen Betonhallen zu verlassen, da spielt auch schon das Sicherheitssystem verrückt, da der Kollege am anderen Ende des Funks den falschen Code schickt. Panzerglas schiebt sich vors Fenster, der Alarm geht an, niemand kann weder rein noch raus. Erschwerend kommt hinzu, dass die Klimaanlage denkt, sie müsse einheizen, und Nemo bei 30° Celsius steigend seine grauen Zellen anstrengen darf, um eine Lösung zu finden, die Kunstfalle zu entschärfen. Und so sehen wir Willem Dafoe zu, wie er, schwitzend, dürstend, nach Nahrung suchend und mit der Außenwelt kommunizieren wollend, langsam durchdreht. Der Kerl hat zwar den freien Blick nach draußen auf die Skyline einer Großstadt, kann den Eindruck der Freiheit aber nicht nutzen. Das Wechselbad der Isolation gebiert eine von Dafoe geschaffene, ganz neue Kunst, indem er all das, was sich irgendwohin transportieren lässt, neuen Bestimmungen zuführt. Vieles wird zu Kleinholz, selbst die Fische im Aquarium werden zu Sushi. Der Berg aus Möbelstücken und Regalen ist eine Rauminstallation für sich, die inmitten eines Museums Besucher anziehen könnte. Ein bisschen wie Spoerri, ein bisschen wie Erwin Wurm. Der Kunstdieb wird zum Schöpfer seines eigenen Œuvre, das er letztendlich hinterlassen wird.
Inside ist weniger die Chronik eines Ausbruchs, denn dafür lässt sich Katsoupis viel zu viel Zeit. Ginge es ihm nur darum, Willem Dafoe entfliehen zu lassen, wäre der Film in zehn Minuten auserzählt. So schwer ist das nicht, hier eine Lösung zu finden. Mitunter wundert man sich mit Nachdruck, warum manche Initiativen, die offen auf der Hand liegen, nicht ergriffen werden. Es scheint, als würde Dafoes Figur bewusst das Erlangen seiner Freiheit hinauszögern, vielleicht, weil er den Prozess des Schaffens als erstes rauslassen muss, bevor er selbst, als physisches Individuum, an die Reihe kommt. Das mag dem ganzen Szenario durchaus etwas die Spannung nehmen, denn auf Zug ist Inside eben nicht inszeniert. Vielmehr auf Zögern, Hadern und Zeittotschlagen, ohne das Ziel vor Augen wirklich erreichen zu wollen.
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