"Poor Things" von Yórgos Lánthimos ist ein sehr seltsamer Film, der zuweilen ziemlich makaber, schräg und skurril wirkt. Am Anfang braucht die Geschichte ein wenig, um in die Gänge zu kommen, aber dann entfaltet der Film einen Sog und man folgt Bella Baxters Reise durch die Welt und zu sich selbst mit wachsender Faszination. Optisch wird man hier an alte Horrorfilme, surreale Theaterkulissen, Steampunk-Ästhetik und quietschbunte Traumwelten, die jederzeit ins Alptraumhafte driften können, erinnert. Das ist zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, passt aber hervorragend zur Geschichte.
Oberflächlich kommt der Film wie eine Frankenstein-Geschichte daher, nur dass die Kreatur vom verrückten Wissenschaftler nicht aus Leichenteilen zusammengebaut wird, sondern einer kürzlich verstorbenen, hochschwangeren Frau wird das Gehirn ihres eigenen Babys, das gerade so noch am Leben war, eingesetzt, um sie wieder zu beleben. Die Ausgangssituation ist also schon sehr kurios und - wie gesagt - makaber.
Der alternde Wissenschaftler bittet einen seiner Studenten, sein "Experiment" namens Bella zu beobachten und ihre Fortschritte zu dokumentieren. Denn der Körper ist zwar der einer erwachsenen Frau, aber das Gehirn ist das eines Babys, später eines Kleinkinds, eines Teenagers und so weiter und so fort. Bella entdeckt nach und nach ihre Umgebung - und auch ihren eigenen Körper und was man damit alles Vergnügliches anstellen kann. Der Student verliebt sich in sie und auf Bitten des Wissenschaftlers (der krank ist und selbst nicht mehr lange zu leben hat) willigt er ein, Bella zu heiraten. Nun entwickelt diese aber inzwischen ihren eigenen Willen und findet den Anwalt, Lebemann und Frauenheld Duncan Wedderburn viel interessanter. Er verspricht ihr, sie mit auf Reisen zu nehmen, ihr die Welt zu zeigen und Bella findet, er sei außerdem fantastisch im Bett. Und so gehen die beiden gemeinsam auf Weltreise und haben eine Menge Spaß. Anfangs.
Denn womit Duncan Wedderburn nicht gerechnet hat, ist, dass Bellas Gehirn sich noch weiterentwickelt, ihr eigener Wille sich noch weiterentwickelt und sie immer selbstständiger und unabhängiger wird. Nach und nach ist sie nicht mehr auf ihn angewiesen, um die Welt zu entdecken. Und darauf kommt der nonchalante Charmeur einfach mal so gar nicht klar. Also, der Film ist stellenweise auch urkomisch und voller schwarzem Humor und macht sich schonungslos über chauvinistische Beziehungsideale lustig.
Bella entdeckt auf ihrer Reise ins Erwachsenwerden aber nicht nur ihren Eigensinn, sondern auch ihr Gewissen, ihr Herz und ihr Lernfreude. Sie liest alles, was ihr in die Hände kommt, diskutiert mit anderen über Philosophie, Wissenschaft und Ethik, macht sich Gedanken, was sie selbst tun kann, um Armut zu bekämpfen, um Ungerechtigkeiten zu lindern ...
Fazit: Mehr möchte ich an dieser Stelle nicht erzählen. "Poor Things" ist ein außergewöhnlicher, seltsamer und schräger Film - aber auf seine Weise unbedingt sehenswert. Klare Empfehlung!