DIE ZUVERSICHT JUNGER UNBEUGSAMER
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Älteren Kindern und Jugendlichen die verheerende Zeit des Nazi-Regimes näherzubringen, ist eine noble und auch äußerst wichtige Sache, welche das Kino der Gegenwart als seine Pflicht ansieht, hier ab und an auch den belehrenden und erkenntnisfördernden Part zu übernehmen. Vor vier Jahren flimmerte die Verfilmung des Buches Als Hitler das rosa Kaninchen stahl ebenfalls schon über die Leinwand – und ja, solide inszeniert und in gewissem Maße schonend für jugendliche Gemüter hat Caroline Link hier das Drama von Flucht, permanenter Angst und Heimatverlust auf ein vernünftiges Maß an Intensität heruntergebrochen. Verständlich, nachvollziehbar, für Kinder das Abenteuer eines Ausnahmezustandes, der Stress verursacht.
Der Pfad von Tobias Wiemann (u. a. Amelie rennt) ist ebenfalls so ein Film, gemacht für Jugendliche, gefällig in seinem Drama und auffallend gnadenlos hinsichtlich einer omnipräsenten Bedrohung, die den beiden Kindern gefühlt aus allen Richtungen auf die Pelle rückt. Sehr bald auf sich allein gestellt, müssen sie einen Zustand meistern, den man normalerweise nur aus Fantasyromanen kennt, und dort ist es das Abenteuer des Guten gegen das Böse, mit offensichtlichem Erfolg für ersteres, denn wir leben in einer Welt der Moral in Märchen und Fiktion. Die Realität, die Geschichte Europas, sieht natürlich anders aus. Und so mag das Abenteuer stellvertretend für Gräuel stehen, die nicht mal noch Halbwüchsigen nicht nur die Familie, sondern auch das Leben entreißen will. Dagegen stemmt sich Rolf (Julius Weckauf, großer Durchbruch mit Der Junge muss an die frische Luft – und zwar zu Recht) mit seinem Vater Ludwig (Volker Bruch, Kommissar Gideon Rath aus Babylon Berlin), der als kritischer Journalist Anfang der Vierzigerjahre auf die Abschussliste gerät. Bis nach Paris und dann nach Marseille haben sich beide durchgeschlagen, jetzt heißt es noch über die Pyrenäen und dann an die Küste, wo ein Flüchtlingsschiff wartet und beide in die USA bringen soll, wo bereits die Mutter wartet. Im Rucksack hat Rolf stets ein Buch Erich Kästners: Der 35. Mai. Eine Geschichte, in der alles möglich und auf den Kopf gestellt scheint – in Zeiten wie diesen ein trostspendender, mentaler Support. Mithilfe von Nuria, einer ortsansässigen Bergführerin und selbst noch nicht mal ein Teenager, gelangen sie ins Gebirge – wo das Schicksal sich wenden wird. Und Rolf von seinem Vater Abschied nehmen muss.
Ähnlich wie Wie zwischen Himmel und Erde, Maria Blumencrons selbst verfilmte Erlebnisse einer Flucht aus dem kommunistischen China über den Himalaya will Der Pfad sich ganz sicher nicht nur auf den Survival-Trip zweier Kinder konzentrieren, sondern auch den politischen Aspekt betrachten. Von Menschenschmugglern und Fluchtrouten ist die Rede, von Deals und Bestechung zur Befreiung von Rebellen, die für die gute Sache kämpfen. Und von der Akzeptanz des Unmöglichen, die einhergeht mit dem zwangsläufig viel zu früh geführten Schritt aus der Welt der Kindheit in eine ernüchternd-brutale Realität. Wie Julius Weckauf „erwachsen“ werden muss, weil ihm sonst nichts anderes übrigbleibt, weil auch die Obhut der Eltern fehlt, zeigt sich als stark gespieltes Jugendkino mit dem Herzen am rechten Fleck und einer wunderbaren Chemie zwischen den beiden Jungstars, die zwischen lakonischem Humor und Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit stets die Contenance der Unbeugsamen wahren.
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