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    Märzengrund
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    Kinobengel
    Kinobengel

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    4,5
    Veröffentlicht am 30. August 2022
    Adrian Goiginger hat seinen dritten abendfüllenden Spielfilm ins Kino gebracht. Als Vorlage diente ein 2016 uraufgeführtes Theaterstück von Felix Mitterer.

    Tirol, Ende der 1960er: Der heranwachsende Elias (Jakob Mader) hätte als Klassenbester Aussichten auf eine erfolgreiche berufliche Karriere, wenn er nicht als einziger Sohn den großen Bauernhof seiner Eltern übernehmen müsste. Er könnte die reifere geschiedene Moid (Verena Altenberger) zur Frau nehmen, falls Elias‘ Mutter (Gerti Drassl) ein Nachsehen hätte. Irgendwann möchte der junge Mann nur noch frei sein.

    Welch eine komplexe Konfliktbühne hat der mit zahlreichen Preisen bedachte Felix Mitterer hier geschaffen?! Das dramatische Spiel in den österreichischen Alpen erreicht über wuchtige Bilder die Leinwand, klassische Musik inklusive. Für die Visualisierung setzt die Produktion auf geübtes Kamerapersonal: Klemens Hufnagl, zuvor mit zahlreichen Einsätzen, sowie Paul Sprinz, der bereits mit Goiginger gearbeitet hat. Zum Tiroler Dialekt spendet der Filmvertreiber deutsche Untertitel.

    Begehren, Reputation, Verpflichtungen, alles drischt gewaltig auf Elias ein. So erlebt es der von Beginn an fiebernde Kinosaal in der aufwühlenden Inszenierung des Adrian Goiginger. Wer müde ins Kino geht, braucht hier kein zusätzliches Koffein. Durch die hervorragend abgestimmte Zeitverschachtelung werden die tragischen Ereignisse näher aneinandergerückt.

    Jakob Mader spielt herrlich glaubhaft den zartbesaiteten Jüngling, der in Gesellschaft Gleichaltriger gerne auch mal prahlt, aber ohne sich zu raufen. Die durch viele Film- und Theaterrollen erfahrene Verena Altenberger geht in ihrer Rolle auf (auch „Die beste aller Welten“, 2017 von Adrian Goiginger). Ebenso beeindruckend: Gerti Drassl als Mutter in allen Zeitebenen.

    „Märzengrund“ zeigt simple Symbole, so simpel, wie die Natur sie nach Elias‘ Wünschen zeichnet. Der Raubvogel über den zahlreichen Gipfeln und Gewässern, ein Bild für die Freiheit, ist oft zu sehen, dazu der erste Kuss im scheinbar sicheren Versteck. Ob die Selbstverwirklichung des ewig verliebten Eremiten Egoismus sein kann, fragt der gealterte Elias (nun: Johannes Krisch) spät, nachdem er auf die Hilfe anderer angewiesen ist.

    „Märzengrund“ behandelt tiefgründig eine Flucht in die Einsamkeit. Wer berieselnde Alpenromantik sucht, ist fehl am Platz.
    FILMGENUSS
    FILMGENUSS

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    3,5
    Veröffentlicht am 20. August 2022
    IN DIE BERG' BIN I GERN
    von Michael Grünwald / filmgenuss.com

    Felix Mitterer ist als Bühnen- und Drehbuchautor längst nicht mehr wegzudenken. Dabei war ihm nie genug, nur in der österreichische Seele zu wühlen oder die Blut- und Boden-Heimat eines Karl Schönherr zu zelebrieren. Mitterer geht es in seinen Stücken um elementarere Themen. Um Freiheit, Alter, Tod und Identität. Als Drehbuchautor wird er komödiantisch – Die Piefke-Saga war Anfang der Neunziger eine durchaus aufreibende TV-Sensation, die unsere deutschen Nachbarn wohl etwas vergrämt hat, wobei Mitterer eigentlich auf beiden Seiten seine Ohrfeigen hat fliegen lassen. Mit dem vierten Teil des Fernseherfolges war es dann nicht mehr weit bis zum surrealen Albtraum eines längst ausverkauften und zugrunde gerichteten Urlaubslandes Tirol. Sein düsterstes Werk: Sibirien – der Monolog eines dahinsiechenden, alten Mannes in einem entmenschlichten Altersheim, als Fernsehspiel verfilmt mit Fritz Muliar.

    Die Zeit, die an Geist und Körper nagt, ist in Mitterers Aussteigerdrama Märzengrund ebenfalls kein unwesentlicher Motor. Auf der Bühne gut vorstellbar – aber als Film? Die Zahl an Leinwandadaptionen halten sich bei des Künstlers Werken auf einstelligem Niveau – lieber ist das Fernsehen für die mediale Umsetzung seiner Dramen verantwortlich, weniger das Kino. Adrian Goiginger, der mit seinem Erstling Die beste aller Welten eine außergewöhnliche Empathie für sein Ensemble an den Drehtag legte und Skript sowie dessen Umsetzung perfekt in Einklang brachte, scheint mit Märzengrund das als ausgetreten und altmodisch betrachtete Genre des klassischen Heimatfilms wieder aufleben zu lassen. Schicksalskitsch 2.0? Der Förster vom Silberwald oder Geierwally waren gestern, Adrian Hoven oder Rudolf Lenz Lederhosenhelden mit Hirschknöpfen am Revers, die Wilderern das Handwerk legten oder todesmutig das Edelweiß pflückten. Doch was wären Filme wie diese, würden sie in der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts plötzlich wieder glückselig auf ihre erfolgreiche Subvention blicken? Prinzipiell nicht viel anders. Vielleicht aber desperater. Peter Brunners Luzifer oder Ronny Trockers Die Einsiedler mit Ingrid Burckhardt. Heimatfilme werden hierzulande zu einer Art Spätwestern. Zum Abgesang von verstaubten Idealen oder einer nostalgischen Verklärtheit. Das bittere Ende scheint vor allem bei Mitterer stets garantiert, der Kompromiss eine Sache für Luschen.

    Genauso wenig zu Zugeständnissen bereit scheint Elias, ein Jungbauer und zukünftiger Erbe eines stattlichen Hofes im Zillertal mit sehr viel Hektar und noch größerem Viehbestand. Wir schreiben Ende der Sechzigerjahre, der Sohn hat gefälligst das, was der Vater bereits aufgebaut hat, weiterzuführen. Und muss auch bis dahin ordentlich Hand anlegen, nebst vorbildlicher Schulleistung. Als Elias kurz davorsteht, den Hof zu übernehmen, lernt er die deutlich ältere, geschiedene Moid (Verena Altengerger) kennen, die sich genauso wie er fremd in der Welt fühlt und für den jungen Mann durchaus auch Zuneigung empfindet – was der herrischen Bäuerin Mutter (großartig: Gerti Drassl) überhaupt nicht in den Kram passt. Das Verbot dieser unorthodoxen Beziehung stürzt Elias in Depressionen, die er erst wieder überwinden kann, als er einen Sommer lang auf der farmeigenen Alm die Kühe hütet. Von diesem Moment an sieht sich Elias für ein Leben fernab jeglichen gesellschaftlichen Treibens bestimmt, fernab aller Menschen und nur im Einklang mit der Natur. Man kann sich denken, wie die Eltern das finden werden. Doch all die Enttäuschung, Verbitterung und der Gram des verratenen Vaters reichen maximal bis zur Baumgrenze – darüber hinaus macht Elias einen auf Robinson Crusoe, ohne Freitag und ganze vierzig Jahre lang. Bis der Körper nicht mehr so kann, wie er will.

    Märzengrund ist längst nicht so dicht und packend erzählt wie Die beste aller Welten. Kein Wunder: Mitterer hat in seinen Stücken längst nicht so eine Wortgewalt wie zum Beispiel ein Thomas Bernhard. Aber gerade die Lakonie seiner Arbeiten entwickelt auf der Bühne eine Sogwirkung. Im Kino kompensiert Goiginger die Tragödie eines Aussteigers mit der wuchtigen Berglandschaft Tirols, die vor lauter greifbarem Naturalismus fast schon die Leinwand sprengt. Dabei orientiert sich Kameramann Clemens Hufnagl an die Bilderstürme eines Terrence Malick. Weitwinkel, unmittelbare Closeups, weg von der Statik eines Stativs. In Ein verborgenes Leben, Malicks Rekonstruktion des Falles Jägerstätter, rückt dieser nah an das Dorfleben des vergangenen Jahrhunderts heran, wirkt gemäldegleich und mit Licht, Bewegung und wanderndem Blickwinkel enorm vital.

    Märzengrund bietet ein ähnliches Erlebnis, noch dazu mit Schauspielern, die wohl dank eines von Goiginger geschaffenen vertrauten Umfelds tief in ihre Rollen tauchen. Natürlich ist Johannes Krisch – ein Chamäleon des österreichischen Films ­­– ganz vorne mit dabei. Bruno Ganz hätte diese Rolle wohl nicht besser gelebt, mit all der Verbissenheit, der Verzweiflung und dem gefundenen Frieden in der Einsamkeit. Das alles im Tiroler Dialekt, der das Szenario noch stimmiger werden lässt.

    Das Heimatdrama ist also zurück. In einer Form, wie unsere Eltern es bereits gewohnt waren und das für nostalgischem Realismus, wuchtigem Gipfeldrama und nun auch dank Mitterer’scher Gesellschaftskritik für das fatale Dilemma existenzieller Neu- und Unordnung steht.
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    Erich Fischer
    Erich Fischer

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    3,5
    Veröffentlicht am 31. Mai 2024
    Es hat lange gebraucht, bis ich mich an die gerade am Anfang fast im Minutentakt erfolgenden sinnlosen, verwirrenden Zeitsprünge gewöhnt habe. Dass der Film dann die 40 Jahre auslässt, die Elias als Aussteiger allein ganz oben in den Bergen verbracht hat, finde ich auch nicht ideal, weil sie für die Entwicklung des tragischen Helden sicher von Bedeutung waren. Die Aussage des Films ist für mich letztendlich eher deprimierend: Selbst einem nichtkonformistischen Menschen ist auch bei extrem bescheidenem Leben kein Glück auf Dauer gegönnt, man kann seinem Schicksal nicht zur Gänze entfliehen. Wirkliche Freiheit bringt erst der Tod.
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