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    Quo Vadis, Aida?
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    FILMGENUSS
    FILMGENUSS

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    4,0
    Veröffentlicht am 1. August 2021
    DAS MODERNE, DUNKLE EUROPA
    von Michael Grünwald / filmgenuss.com

    Um die Mitte der Neunziger konnte sich Homo sapiens wieder mal an Abscheulichkeit selbst übertreffen und damit unzählige Seiten im hauseigenen Schwarzbuch füllen. Immer wieder muss der Mensch beweisen, dass er mit seiner Existenz und all dem Potenzial, das ihm zu Füßen liegt, nichts Sinnvolles anfangen kann. Scheint so, als wären wir doch nur Tiere, die sich triggern lassen wie abgerichtete Hunde. Zu diesen Gedanken ringt man sich durch, wenn man folgendes betrachtet: 1994 starben rund 800.000 Tutsis beim Genozid in Ruanda. 1995 taten es die Serben nach, töteten, folterten und massakrierten. An mehreren Tagen im Juli des Jahres wurden während einer Säuberung in Srebrenica mehr als 8000 männliche Zivilisten ermordet. Verantwortlich für diese schreckliche Bluttat: General Ratko Mladić, am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zur lebenslanger Haft verurteilt. Das macht diese vielen Väter, Söhne und Brüder auch nicht wieder lebendig. Dabei hätte dieses Gemetzel, genauso wie in Ruanda, großteils verhindert werden können. In beiden Fällen haben sich die Großmächte nicht veranlasst gefühlt, einzugreifen. In beiden Fällen wurde militärische Unterstützung zwar zugesagt, letzten Endes aber blieb alles nur Lippenbekenntnis. Was für ein verzweifeltes Gefühl muss das gewesen sein, als Blauhelm nicht mehr zu sein als eine Fassade der Ordnung, die vom Feind erst provoziert, und dann mühelos durchbrochen wird.

    So verzweifelt wie die niederländische UN in Srebrenica ist auch die fiktive Figur der bosnischen Dolmetscherin Aida (beeindruckend, authentisch und oscarreif: Jasna Đuričić), die aus sicherer Entfernung mitansehen muss, wie sich abertausende Zivilisten vor der UN-Schutzzone versammeln. Darunter ihr Mann und ihre Söhne. Ihnen wird der Zutritt verweigert, denn schließlich könnte ja jeder kommen. In solchen Situationen Präzedenzfälle zu schaffen, wäre unangebracht. Blut ist längst nicht mehr dicker als Wasser, das sowieso schon knapp ist. Werte haben in Tagen wie diesen genau das verloren: ihren Wert. Also muss sich Aida andere Wege einfallen lassen, um ihre Familie zu retten. Ein geplantes diplomatisches Gespräch von Seiten der UN mit General Mladić kommt da fast wie gerufen. Und es zeigt sich: wer sind die größeren Diplomaten? Jene, die ihre humanitären Pflichten erledigen, oder jene, die, rein aus Liebe und Menschlichkeit, Berge in Bewegung setzen müssen?

    Quo Vadis, Aida? schaffte es in diesem Jahr auf die Liste der Nominierten für den Fremdsprachen-Oscar, verlor aber gegen den Konkurrenten Thomas Vinterberg mit seinem Alkoholdrama Der Rausch. Das sind Filme, die man nicht miteinander vergleichen kann. Dennoch – wäre ich Teil der Jury gewesen – ich hätte für Quo Vadis, Aida? gestimmt. Alleine schon deswegen, weil dieser Film Licht auf eine im Dunkeln langsam vor sich hin schwelende Wunde des modernen Europa wirft. Über den krieg am Balkan gibt es vielleicht, wenn’s hochkommt, gerade mal eine Handvoll Filme, meist auch als Allegorie oder mit den Mitteln des Films überspitzt und abstrahiert dargestellt, wie Emir Kusturicas Underground zum Beispiel, zweifelsohne aber ein Meisterwerk. Weniger noch gibt es Filme über Srebrenica. Noch weniger Filme beschäftigen sich auf fast schon dokumentarische Weise mit dem Thema. Einer davon ist nun endlich Quo Vadis, Aida?. Das Drama gibt sich nüchtern, gleichzeitig auch sehr emotional. Durch die Schaffung einer fiktiven Figur rückt das Entsetzliche in die eigenen vier Wände. Schildert, wie sich politische Grenzen über menschliche hinwegsetzen. Das Genozid-Drama Hotel Rwanda mit Don Cheadle hat ähnliche Schwerpunkte, nur: Bosnien hatte weder einen Oskar Schindler noch einen Paul Rusesabagina. Hier kämpft eine ganze normale Frau mit ganz normalen Mitteln gegen Windmühlen, die vorgeben, stillzustehen, in Wahrheit aber im Inneren alles zermalmen. Was sie erreicht hat, war letzten Endes vergeblich.

    Die bosnische Regisseurin Jasmina Žbanić sieht sich in der Pflicht, zumindest mit dem Medium Film ihrem Land jene Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen, die es in Zeiten des Krieges nicht bekommen hat. Über diese einige Jahrzehnte zurückliegende Vergangenheit wurde bereits 2006 mit ihrem Berlinale-Gewinner Grbavica – Esmas Geheimnis ein erstes Kapitel aufgeschlagen. Krieg und Sexueller Missbrauch: kein Stoff, aus dem unterhaltsame Kinostunden sind. Doch das Medium Film hat noch eine ganz andere Bedeutung: Das wären Aufklärung und Bildung. Mit Quo Vadis, Aida? geht Žbanić ein Kapitel weiter, schafft dabei epische Bilder einer humanitären Katastrophe, die das Zeug zum Kinoklassiker haben, und gibt dem Individuum ein ausdrucksstarkes Gesicht. Das ist packend wie ein Thriller und so tragisch wie das echte Leben.
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    Thomas Z.
    Thomas Z.

    111 Follower 498 Kritiken User folgen

    4,5
    Veröffentlicht am 14. Dezember 2023
    "Dieser Film ist den Frauen von Srebrenica gewidmet, und ihren 8.372 getöteten  Söhnen, Vätern, Brüdern, Cousins und Nachbarn", so im Abspann zu lesen.
    Dieser Film ist ein Mahnmal gegen das Vergessen, eine Aufarbeitung von Geschichte, die bis ins Mark erschüttert und einen fassungslos zurückläßt.
    Ich finde kaum Worte, die beschreiben könnten, was dieser Film in mir ausgelöst hat. Nacktes Entsetzen, grenzenlose Wut und tiefe Traurigkeit.
    Das hat mit Unterhaltung nichts mehr zu tun und ist nur schwer zu verkraften.
    Wenn man realisiert, dass die UN-Blauhelmtruppen hier nur zu Statisten in einem weiteren Kriegs-Massaker verkommen, stellt sich unweigerlich die Frage nach der Handlungsfähigkeit der Institution.
    Bereits im gleichen Monat des Massakers von Srebrenica wurde General Ratko Mladic vom internationalen Gerichtshof in Den Haag als Kriegsverbrecher verurteilt, eine Verhaftung ließ allerdings unglaubliche 16 Jahre (!) auf sich warten.
    Erst am 18. Juni 2021 wurde nach diversen Berufungsverfahren die Verurteilung Mladics zu lebenslanger Haft bestätigt.
    Das Werk der bosnischen Filmemacherin Jasmila Žbanić erhielt 2022 eine Oscarnominierung für den besten ausländischen Film. Eine Auszeichnung wäre mehr als verdient gewesen.
    Als Filmkonsument muss man allerdings schon eine gewisse Bereitschaft mitbringen, sich auf dieses Ungetüm einzulassen.
    Ich persönlich fand "Quo Vadis, Aida?" aber absolut sehenswert!
    Kino:
    Anonymer User
    5,0
    Veröffentlicht am 22. September 2021
    Meine Tante ist Überlebende des Völkermords von Srebrenica. Daher war es für mich besonders emotional.
    Kino:
    Anonymer User
    4,5
    Veröffentlicht am 13. Februar 2021
    Am Anfang ist der Film etwas langweilig, aber mit der Zeit wird er interessanter und angespannter. Der Kampf einer Mutter, ihre Kinder unter unmöglichen Bedingungen zu retten, ist erstaunlich. Nach diesem Film werden Sie Ihre Lieben mehr lieben.
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