Filme über psychische Krankheiten unterliegen einer speziellen Beobachtung. Die Gefahr besteht, ein Leiden zu verharmlosen oder generell unadäquat auf die Leinwand zu übertragen. Insbesondere, wenn dies im Rahmen eines Thrillers geschieht. Im Falle von "Fear of Rain", dem Bewerbungsschreiben der Jungregisseurin Castille Landon, die demnächst die Fortsetzungen der "After"-Reihe (After Passion, After Truth...) inszenieren wird, und der dieser Tage on demand erscheint, kann von Seiten des Autors dieser Zeilen Entwarnung gegeben werden: Landon nähert sich der Schizophrenie ihrer Hauptfigur mit dem nötigen Respekt, ihr Teenie-Thriller gerät trotz Weichzeichner und dem gelegentlichen Sidestep auf ausgetretene Pfade lebensecht - die Schwächen liegen eher in der Darstellung des Umfelds der Protagonistin.
Jene Protagonistin heißt Rain Burroughs (Madison Iseman; das Wortspiel im Filmtitel ist so smart wie die Regie) und wird an ihrer Highschool wegen ihrer Erkrankung ausgegrenzt. Sie hat schizophrene Episoden, nimmt Tabletten dagegen, und ist dennoch so labil, dass sie sich nicht nur nie sicher sein kann, wer es gut mit ihr meint, sondern auch, welche Bestandteile ihrer Umgebung real, und welche fantasiert sind. So glauben ihre Eltern, ihr Vater John (Harry Connick Jr.) und die zwischen Sorge und Fürsorge changierende Mutter Michelle ("Grey`s Anatomy"-Star Katherine Heigl in einer Rolle, aus der mehr rauszuholen war), auch zunächst an die Einbildung ihrer Tochter, als diese behauptet, die Nachbarin Mrs. McConnell (Eugenie Bondurant), die als Lehrerin an Rains Schule arbeitet, habe ein Kind entführt und halte es auf dem Dachboden ihres Hauses gefangen. Ein offenes Ohr hat indes Rains Mitschüler Caleb (Israel Broussard), der mit ihren Angstattacken gut umgehen kann, und im Gegensatz zu den gehässigen Mädchen der Schule ein tieferes Interesse an ihr zu haben scheint - was schon bald auf Gegenseitigkeit beruht. Gemeinsam fassen sie den Entschluss, der Sache in der Nachbarschaft auf den Grund zu gehen. Doch kann Rain ihm trauen? Und, viel wichtiger: kann sie ihrer Wahrnehmung trauen?..
"Fear of Rain" wirkt auf den ersten Blick wie eine dieser Direct-to-DVD-Produktionen, die im Windschatten der Oscar-Saison auf den Markt geworfen werden, um die vom Preisrummel angeödete Genre-Community abzuholen. Weitgehend unverbrauchte Gesichter, eine routinierte Regiearbeit und altbekannte Figurenkonstellationen. Madison Iseman überrascht dabei von Anfang an mit einer sensiblen Newcomer-Performance, die so viel facettenreicher daherkommt, als man es von einem Streifen dieser Couleur erwartet hätte. Sie begegnet dem schizophrenen Leiden ihres Charakteres mit ernsthaftem, zurückgenommenem Spiel. Selbst in den genre-bewussteren Momenten des Films lotet sie die Zerbrechlichkeit, das Unstete und Unsichere von Rain auf einem Niveau aus, dass man sich nicht in einem 08/15-Reißer wähnt. Weniger nah ist der Thriller an seinen Nebenfiguren. Man muss nicht so weit gehen, das Personal an Rains Schule als Staffage zu bezeichnen, aber die Mobbing-Sequenzen spulen schon die Standards ab. Selbst wenn man sich auf die Prämisse einlässt, dass - ähnlich wie in Kimberly Pierces eigentlich recht gelungener "Carrie"-Neuauflage mit Chloe Grace Moretz (2013), an die Iseman tatsächlich auch ein Stück weit erinnert - einem blidhübsches Mädchen die durchaus vorhandenen Anlagen zur gesunden Sozialisation wegen ihres psychischen Ausnahmestatus` verwehrt bleibt, kommt es schon etwas übertrieben und eben reißerisch daher, dass die Girls Rain meiden wie der Teufel das Weihwasser, wenn sie im Zuge einer Panikattacke schwitzend durch die Schulflure läuft, und denken, ihr Leiden sei ansteckend.
Der Ruhepol in der Erzählung ist ironischerweise Caleb, den Israel Broussard zwar etwas blass, aber durchaus sympathisch als Kartentrick-Fan mit Herz gibt - und das, obwohl Rain sich bis zum Ende nicht sicher sein kann, ob es ihn tatsächlich gibt. Caleb ist eine Oase der Hoffnung für Rain, und daran lässt der Film auch dann wenig Zweifel, als er noch mit der Frage hantiert, inwieweit sie ihm und sich selbst trauen kann. "Fear of Rain" schiebt seine doppelten Böden beständig hin und her, verliert dabei aber selten das Gleichgewicht. Der zentrale Twist kann vom gewieften Publikum womöglich im Ansatz erahnt werden, ist aber gut aufgebaut und hält dem Logiktest stand. Am Ende steht ein perfider Gänsehaut-Moment, bevor Landon in ihrer Spielfreude ein Schleifchen zu viel dreht, so dass böse Zungen ihr durchaus zum Vorwurf machen könnten, sie opfere die Seriosität des Schizophrenie-Plots gängigen Genre-Mechanismen. Allerdings überlädt sie ihren Film nie mit Effekten, sie dosiert den Horror wohl und lässt ihn immer intrinsisch zu Tage treten, was auch ein Verdienst der starken Madison Iseman ist, von der der Autor dieser Zeilen in Zukunft gern mehr sehen würde.
Fazit: Kleiner, gemeiner Thriller, der das "Rear Window"-Motiv gelungen zitiert und variiert, und sich seiner Hauptfigur sensibel annähert. Man verzeiht die Schlampigkeiten bei der Konturierung von Rains Umfeld und die eine oder andere Genre-Konvention gern.