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FILMGENUSS
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3,5
Veröffentlicht am 12. April 2022
DER FLUCH DES ANSTANDS von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Viel zu oft kommt alles zusammen. Das neue Startup, der Verrat am Geschäftspartner und die Trennung von der Mutter des gemeinsamen Kindes. Und als ob das nicht schon genug Zores im Leben des Iraners Rahim wäre – es kommt noch dicker. Und zwar in Form von Schulden. Der Geldgeber ist unglücklicherweise mit dessen Ex familiär verbunden und auf den Verschuldeten nicht wirklich gut zu sprechen. Also wandert dieser ins Gefängnis – bis irgendwann Licht am Ende des Tunnels aufflackert und das Geld zurückgezahlt werden kann. Normalerweise wüsste man nicht wie, doch in Asghar Farhadis Filmen ist niemals alles normal – der Skandal und die Versuchung hängen kitschigen Sonnenuntergängen gleich am Horizont und keiner kann wegsehen. Auch hier ist die Gelegenheit eine, die Diebe macht, und Rahim Soltanis neue und vor allem inoffizielle Geliebte (eine wilde Ehe ist nichts, was man vom Minarett posaunt) findet per Zufall eine herrenlose Damenhandtasche, die Güldenes in sich birgt. Mit diesem kleinen Schatz lässt sich ihr Geliebter aus dem Knast holen – doch der zögert. Warum nur? Währt nicht ehrlich am längsten? Und wäre es überhaupt moralisch vertretbar, das verlorene Geld anderer Leute für den eigenen Vorteil zu missbrauchen? Nein, sagt sich Rahim – lieber Anstand dort, wo Anstand möglich ist. Schließlich möchte sich der junge Mann auch später noch in den Spiegel schauen können. Viel mehr noch – er tut alles, um die Besitzerin der Tasche aufzuspüren. Das gelingt auch, das Gold kehrt dorthin zurück, wo es herkam – und Rahim ist in den Medien ganz plötzlich der honore Held kommender Tage.
Wäre ja alles gar nicht so schlecht. Lieber ehrlich, integer und aufrecht, als ein falscher Hund, der es sich auf Kosten anderer richtet. Da kann man sich selbst nichts vorwerfen. A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani wäre bis zu diesem Punkt sogar ein Feel-Good-Movie über den Wert der guten Tat, gleich einem idealistisch angehauchten Selbsthilfefilm, den sich hoffnungslose Misanthropen zu Herzen nehmen könnten. Nicht so bei Asghar Farhadi. Da hängt bereits von Anfang an ein Mief aus Missgunst und Selbstgerechtigkeit in der Luft. In einer Welt wie dieser ist der Pranger nicht weit entfernt von jener Stelle, an welcher Gutmenschen von ihren Taten berichten. Doch heißt es nicht in der Bibel: lass die eine Hand nicht wissen, was die andere tut? Das wäre ja prinzipiell so gekommen, doch wo Rauch ist, lodert bald ein Feuer und die Chronologie des Zufalls wird von jenen erzählt, die am wenigsten darüber wissen.
A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani ist die händeringende, betont nüchterne Passionsgeschichte eines Pechvogels, an welchem wohl kaum einer seine Schadenfreude hat. Gut gemeint ist hier teuer bezahlt und Ehrlichkeit der Traum, in welchem man plötzlich nackt mit der U-Bahn fährt. So steht er da, Rahim, eine moralisch-liberale Instanz, ein umgekehrter Hauff ’scher Peter Munk, im übertragenen Sinn gänzlich textilfrei und ohne jegliche Mittel, um sich selbst zu verteidigen. Die Ehrlichkeit, so seziert Farhadi, ist die harmlose Sackgasse, in die derjenige läuft, der sie verbreitet, verfolgt von einem schwurbelnden Mob, der den Hang zur Lüge als den stärksten Trieb verdächtigt – und sich selbst dort aufhält, wo sie am meisten verbreitet wird: In den Sozialen Medien. Die sind das wahre Damoklesschwert für Herrn Soltani, der vor lauter Stolpern über fallende Dominosteine mehr und mehr den Überblick und darüber hinaus den Halt verliert. Doch Farhadi lässt seinen Hiob nicht ganz so abstürzen wie es vielleicht Andrei Swiaginzew (Leviathan) getan hätte. Farhadi glaubt genauso wie Rahim an den Anstand, und hält es bis zuletzt für sinnvoll, diesen zu verteidigen. ______________________________________________________________ Mehr Reviews und Analysen gibt's auf filmgenuss.com!
Wer hat von uns hat nicht schon einmal etwas in seinem Leben verloren? Geldbörsen, Schlüssel, Kopfhörer oder Kleidung – es ist oft in einem Moment, in dem wir es am wenigsten erwarten, wenn plötzlich klar wird, dass man einen Gegenstand irgendwo hat liegen lassen. Regisseur Asghar Farhadi hat sich nun einmal den Gewissenskonflikten angenommen, die ein dementsprechender Finder haben kann, insbesondere wenn dieser generell als gutmütig betitelt werden kann und gleichzeitig extrem von der Fundsache profitieren könnte. In einem unaufgeregten Drama schickt uns der Regisseur auf eine Reise voller Widersprüche, die uns selbst an unserer Beurteilungsfähigkeit zweifeln lassen und das Publikum somit immer wieder aufs Glatteis führt. Farhadi bleibt dabei jedoch weitestgehend wertungsfrei und versucht schlichtweg, den Zuschauenden zu symbolisieren, wie leicht es ist, falsche Urteile zu fällen und diffamierende Bilder von Personen zu erzeugen.
Thematisch definitiv aktueller denn je in Zeiten, in denen Millionen von Menschen in den sozialen Medien scheinbar allem und jedem Glauben schenken. Wird dieser Film daran etwas ändern? Mit Sicherheit nicht, denn es bleibt eine kleine Arthouse Produktion, die die meisten Kinobesuchenden wohl ignorieren werden und dessen Message wohl nur diejenigen erreicht, die ohnehin schon das Onlinegebaren kritisch bewerten.
Die gesamte Kritik gibt es auf riecks-filmkritiken.de/a-hero-die-verlorene-ehre-des-herrn-soltani
Als seine Freundin eine Handtasche mit einem Sack voller Goldmünzen findet, scheinen für den inhaftierten Rahim alle Sorgen vom Tisch. Der sitzt nämlich wegen nicht beglichener Schulden ein. Während eines Ausgangs holt seine Zukünftige ihn ab, die beiden freuen sich wie die Kinder auf die gemeinsame Zukunft. - Doch kurz darauf packt den Glücklichen das schlechte Gewissen. Er geht aus einem Impuls heraus zur Polizei und meldet den Fund. Bald darauf erscheint die Besitzerin und nimmt im Hause seiner Familie unter Tränen ihren Besitz zurück. Spontan wird Rahim in der Öffentlichkeit gefeiert wie ein Held - doch soll das nicht lange halten, denn natürlich entsteht der Verdacht, die Chose sei inszeniert, um ihn als besseren Menschen da stehen zu lassen und ihm die Haft zu ersparen. Es wird eine Verifizierung seiner Story verlangt. Doch die "Besitzerin" der Münzen ist nirgends aufzutreiben, sie hatte ein fremdes Handy benutzt und keine Adresse zurückgelassen. Eine endlose Schraube von Verdächtigungen und hilfloser Rechtfertigung beginnt sich zu drehen.
Farhadis' Geschichte ist eine niederschmetternde Spiegelung jener Gesetzmäßigkeit, die schon immer galt und in alle Zukunft gelten wird. Dass nämlich Handeln in guter, ja in bester Absicht in keiner Weise eine Garantie für ein angemessen positives Ergebnis darstellt. Dass du mit einer Lüge und unlauterem Schweigen oft weiter kommst als mit der Wahrheit. Dass die Gesellschaft durchdrungen ist von Misstrauen, und dass oft die die Dummen sind, die guten Glaubens vertrauen. Wir dürfen dabei zusehen, wie eine gute Seele aufgerieben wird und sukzessive zu einem Nichts zerbröselt. Das hat in seiner erzählerischen Differenziertheit die Qualität der Erzählungen eines Stefan Zweig.
Trocken, bitter, wahr, an Eleganz und Dichte kaum zu überbieten: A Hero ist definitiv eine Perle des Kinojahres 2022.
„A Hero – Die verlorene Ehre des Herrn Soltani“ ist ein großartiger, aber auch bemerkenswerter Film, der noch viele Jahre in den Herzen und Köpfen bleiben wird. Es ist aber auch ein Film über die erschütternde Bestandsaufnahme einer Gesellschaft, die genau so schnell Heldenbilder erschafft wie sie bereit ist, diese wieder zu zerstören. Ein rundum gelungener Film über Ehrlichkeit, Ehre und um den Preis der Familie, aber nicht zuletzt auch ein Meisterwerk politischer Erzählkunst. Es ist ein Film, der Tradition und Moderne verbindet und mit der richtigen Menge Humor untermalt ist. In der Geschichte geht es um Intrigen, Neid, aber zuletzt auch um die Familienehre. Alles in allem eine fesselnde sowie aufwühlende Geschichte der Gegenwartsgesellschaft!