Mein Konto
    Wagenknecht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Wagenknecht

    Ganz nah dran – und irgendwie auch nicht

    Von Tobias Mayer

    Sahra Wagenknecht ist die wohl bekannteste, aber zugleich auch eine der am schwersten zu fassenden Politikerinnen in der Geschichte von Die Linke. Zwar war die ehemalige Oppositionsführerin durch Interviews und Talkshow-Auftritte dauerpräsent in den Medien, ihre Persönlichkeit aber schien sie stets zu verstecken: Wagenknecht formuliert ihre Analysen messerscharf und reagiert in Diskussionen so schnell wie eloquent, aber in all ihrer brillanten Rhetorik blieb kaum Raum für Gefühle oder mal einen schnoddrigen Satz. Regisseurin Sandra Kaudelka hat die titelgebende Protagonistin ihres Dokumentarfilms „Wagenknecht“ über Monate hinweg durch eine massive berufliche Stressphase begleitet und ist der Linken-Politikerin, die nach harten innerparteilichen Streitereien schließlich ihren Posten aufgab, tatsächlich nähergekommen – aber längst nicht so nah, wie man vielleicht denken könnte.

    2017: Sahra Wagenknecht ist Co-Fraktionsvorsitzende der Linken und damit die Anführerin der damals größten Oppositionspartei im Bundestag. Entsprechend groß sind die Erwartungen, die im Bundestagswahlkampf auf ihren Schultern lasten, zumal sie neben Gregor Gysi das bekannteste Gesicht der Partei ist – und mit der rechtspopulistisch bis rechtsextremen neuen Partei AfD eine Kraft ins Parlament strebt, die kein Demokrat dort haben will. Bitter für Wagenknecht: Das Wahlergebnis der Linken wird zwar gut, aber nicht gut genug! Obwohl die Linke im Vergleich zu 2013 sogar leicht hinzugewinnt, bleibt der schlechte Beigeschmack, gegen die AfD verloren zu haben: Mit 12,6 Prozent wird die AfD anstelle der Linken zur stärksten Partei der Opposition. Wagenknechts innerparteiliche Gegner, die sie aus der ersten Reihe verdrängen wollen, spüren Aufwind...

    Nach dem Wahlkampfauftritt ist vor dem Wahlkampfauftritt...

    Wenn in Alltagsgesprächen mal wieder wohlfeil auf Politiker eingedroschen wird, die ja allesamt Pfeifen seien, geht gerne unter, wie anstrengend deren Beruf eigentlich ist – und wie wenig Zeit den Volksvertretern im eng getakteten Politikbetrieb bleibt, um auch mal innezuhalten. Bei der Berlinale-Premiere von „Wagenknecht“ sagte die anwesende Politikerin, dass sie sich freut, nach ihrem Abschied aus der Spitzenpolitik endlich wieder Zeit zu haben, Dinge neu zu denken. Nach „Wagenknecht“ versteht man sehr genau, was sie damit meint.

    Regisseurin Sandra Kaudelka zeigt, dass Politik im Vorbeigehen gemacht wird – wortwörtlich. Denn ein beträchtlicher Teil des Tages geht bei Oppositionsführerin Sahra Wagenknecht dafür drauf, von A nach B zu kommen: Sie läuft zur nächsten Kamera, um dem nächsten Journalisten Fragen zu beantworten, ohne dass die knapp bemessene Sendezeit irgendeine gedankliche Reflexion erlauben würde, bevor sie im Auto zum nächsten Auftritt chauffiert wird. Wie sinnvoll ist es eigentlich, dass unsere politischen Entscheider andauernd von Interview zu Interview hetzen, von Sitzung zu Sitzung, anstatt einfach mal bei einer Tasse Tee nachzudenken? Das ist eine der zentralen Fragen, die Sandra Kaudelka in „Wagenknecht“ aufwirft.

    Bunte-Picknick vor dem Bundestag

    Außerdem gelingt es ihr, die Absurditäten im deutschen Politik- und Medienzirkus treffsicher einzufangen. So soll sich Wagenknecht für ein Fotoshooting mit der Bunten auf eine Picknickdecke vors Bundestagsgebäude setzen, in feiner Politikerinnen-Arbeitskleidung – und mit dieser einen bekloppten Szene ist über den Sinngehalt sogenannter Homestories alles gesagt. Mit dem Linken-Fraktionspressesprecher Michael Schlick hat Sandra Kaudelka außerdem einen wahren Szenendieb in ihrer Doku, der in seiner wunderbar kauzigen Art ein wohltuender Ruhepol und verlässlicher Spaßgarant im ansonsten aufgeblasenen, dauererregten und humorlosen Politikbetrieb ist.

    Dabei bleibt die Regisseurin eine behutsame Beobachterin ihrer Protagonistin, die nur selten nachfragt. Dieser Stil funktioniert, wenn es darum geht, Sahra Wagenknecht – auch stellvertretend für ihre Kollegen – in ihrem Beruf zu zeigen und sie als Mensch greifbarer zu machen, dem Arbeitsstress und innerparteiliche Angriffe zusetzen. Doch Kaudelka kommt Wagenknecht mit diesem Konzept eben längst nicht so nah, wie es durch ihren Dauer-Fokus auf die Politikerin vielleicht den Anschein hat.

    Die Spaltung der Linken tritt immer deutlicher zutage.

    Es muss ja nicht stören, dass „Wagenknecht“ ein einseitiger Film ist, bei dem etwa die Darstellung des innerparteilichen Streits zwischen der damals noch Fraktionsvorsitzenden und ihren Linken-Rivalen Katja Kipping und Bernd Riexinger sehr zugunsten der dauerpräsenten Protagonistin dargestellt wird. Das Problem ist: Wer einen mit allen Wassern gewaschenen Medien-Profi wie Wagenknecht nur beobachtet, der holt ihn nicht aus der Deckung.

    Paradoxerweise hat Sandra Kaudelka einen Film über eine durch und durch politische Frau gedreht, die es liebt, zu debattieren, deren Politik – vor allem in Flüchtlingsfragen – umstritten ist und die vor großen Widerständen gezeigt wird, ohne sie selbst auch nur ein bisschen zu piesacken. Das mag der Politikerin schmeicheln, aber man kann sich auch gut vorstellen, dass die sicher nicht konfliktscheue Linke den Film am Ende hier und da vielleicht selbst ein bisschen langweilig findet.

    Fazit: Mitunter sehr unterhaltsame Sahra-Wagenknecht-Doku, die aber mehr über den Politikbetrieb an sich aussagt als über die porträtierte Politikerin.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top