Kopfplatzen: Kritiken

"Runter vom Karussell", oder: Der einsame Kampf gegen die nicht gewählte Veranlagung -

Was soll man tun, wenn der eigene Körper zu Sachen drängt, die Schaden anrichten können? Wie lebt man, wenn die gewünschte Beziehung nicht möglich, die mögliche Beziehung aber nicht gewünscht ist? Mit diesen oder ähnlichen Fragen ist Markus (grandios verkörpert von Max Riemelt) täglich konfrontiert. Äußerlich ist er ein ruhiger, attraktiver Endzwanziger, der es beruflich geschafft hat. Innerlich empfindet er sich selbst als Zeitbombe: "Ich liebe Kinder, kleine Jungen finde ich attraktiv, sie erregen mich." Im Film ist bis zu diesen Sätzen schon ein längerer Weg zurückgelegt. Markus weiß, dass seine (erotische) Liebe zu einem Jungen diesem schaden könnte, daher will er eine bestimmte Grenze nicht überschreiten. Eigentlich will er dieses Begehren überhaupt nicht spüren, er will "runter vom Karussell", daher sucht er Hilfe. Doch erst der zweite Hilfsversuch hat Erfolg. Jedoch auch hier die Enttäuschung durch die klaren Worte des Therapeuten: "Ihre Veranlagung ist nicht heilbar. Sie müssen damit zurecht kommen, ein Leben lang."
Als die alleinerziehende Jessica mit ihrem ca. achtjährigen Sohn Arthur in der Nachbarwohnung einzieht, entwickelt sich eine Dreiecksbeziehung. Für Jessica ist Markus ein attraktiver Mann, der auch mit ihrem Sohn sehr gut zurecht kommt und sich daher optimal für eine Beziehung eignet. Für Markus ist eine (sexuelle) Beziehung zu Jessica der Zugang zu Arthur und die Gelegenheit mit ihm Fahrrad zu fahren, zu spielen oder ins Schwimmbad zu gehen. Für Arthur ist Markus ein Spielgefährte und Vaterersatz, eine willkommene Ergänzung der kleinen Familie.
Markus hat Angst vor der Nähe zu Arthur und sucht sie zugleich, Arthur erwiedert die Liebe auf kindliche Weise. Eine Katastrophe bahnt sich an....

Drehbuchautor und Regisseur Savas Ceviz ("Der mit den Fingern sieht - Der einzigartige blinde Maler") hat mit "Kopfplatzen" sein Debüt für einen langen Spielfilm vorgelegt und inszeniert sehr eindringlich und zurückgenommen, niemals voyeuristisch oder reißerisch. Die FSK 16-Freigabe ist dem Thema generell und den immer wiederkehrenden Masturbations-Szenen geschuldet. Es gibt keine Szenen, in denen Kindern irgendwie Schaden zugefügt wird. Die Spannung erwächst vielmehr aus dem Mehr-Wissen des Betrachters, der die inneren Kämpfe von Markus kennt und daher das Zusammensein und die körperliche Nähe mit Arthur ganz anders wahrnimmt. Die Kunst des Films besteht darin, Markus nicht als Monster erscheinen zu lassen, sondern ihn als äußerst reflektierten und sympathischen Charakter darzustellen, dessen inneren Abgrund man gleichwohl nicht vollständig nachempfinden kann. Das Bild des (gefangenen) Wolfes dient als Metapher für den Seelenzustand der Hauptfigur. Wie stark das Thema Pädophilie beiseite geschoben wird, lässt sich u.a. daran ablesen, dass es mehrere Jahre gedauert hat, die Finanzierung zu realisieren. Regisseur Savaş Ceviz sagt in einem Interview, dass erst die Affäre um den SPD-Politiker Sebastian Edathy, der 2014 sein Bundestagsmandat niederlegte, weil gegen ihn wegen der Beschaffung von Kinderpornografie ermittelt wurde, den letzten Impuls gegeben habe, dass der SWR als Finanzier eingestiegen sei.

"Kopfplatzen" ist hervorragend gespieltes und zurückgenommen, aber eindringlich inszeniertes Kino für aufgeschlossene und geduldige Betrachter. Die innere Spannung erschließt sich über kleine Gesten und Andeutungen, trifft den Betrachter dann aber mit voller Wucht und wirkt lange nach. Sehenswert!