MEHR SCHWEIN ALS SEIN
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Hat man im Mittelalter Schwein gehabt, so war man womöglich als letzter aus welchen Wettkämpfen auch immer mit einem Borstenvieh unterm Arm hervor- und heimgegangen. Als Trostpreis war das zumindest mal nicht nichts. Denn ein solches Tier kann man, wenn man geschickt ist, durchaus zu Sinnvollem abrichten. Wie zum Beispiel dafür, Trüffel aufzuspüren. Manche sind da richtige Naturtalente, und so ein Naturtalent hegt und pflegt der mürrische alte Nicolas Cage in dem höchst eigenwilligen Drama Pig. Der rostrote, niedliche Grunzer schnüffelt für den verwahrlosten Waldschrat den lieben langen Tag nach den edelsten aller Pilze, die dieser dann gegen Lebensmittel tauscht. So lässt es sich leben, abseits der Zivilisation. Bis Rob, so Cages Filmfigur, ganz plötzlich überfallen und das Glücksschwein gestohlen wird. Dass das Tier weitaus mehr Bedeutung für den wortkargen Eigenbrötler hat als nur die Verpflegung zu garantieren, ist längst klar. Also muss Rob zurück in die Zivilisation – und trifft dabei unweigerlich auf Spuren seines früheren Lebens.
Nicolas Cage ist nach wie vor ein faszinierender Schauspieler. Seine abseits vom Mainstream befindliche Filmwahl ist eine Methode, die langsam aufgeht – und die einer wie Bruce Willis zum Beispiel nicht versteht, denn der macht nur noch Schrott. Cage ist flexibel, anpassungsfähig, und vor allem: experimentierfreudig. Dabei entstehen Projekte, die schwer einzuordnen sind, die für Überraschungen sorgen und Coppolas Neffen als Botschafter risikobereiter Extravaganz auf die Bühne holen. Pig ist zum Beispiel auch so ein Film, der – angekündigt als etwas, das ungefähr so sein soll wie John Wick – diesen Erwartungen wohl zuwiderläuft. Macht aber nichts. John Wick ist nicht etwas, das man pausenlos kopieren muss. Die Ausgangssituation mag zwar sehr vage daran erinnern, Nicolas Cages trauriger Gestalt eines vom Leben abgewendeten Aussteigers kommt Gewalt als Lösung aber überhaupt nicht in den Sinn.
In diesem durchaus sehr düsteren Drama um Lebensentwürfe, Verlust und seelischen Schmerz, das sich allerdings weigert, eine Tier-Mensch-Geschichte zu erzählen, gibt Cage ganz ohne überzeichnetem Spiel das Psychogramm eines Elenden. Irgendwie erinnert dieser an das Wiener Original Hermes Phettberg, nur in einer Grunge-Version zum Quadrat. Blut klebt am Gesicht, das Hemd steht von alleine. Und müffeln muss der Typ, der sich niemals wäscht – da können noch so viele Wunderbäume im Auto hängen. Dennoch: Cage alias Rob ist eine Gestalt, die Geschichte hat. Die Suche nach dem Schwein erleichtert das nicht. Stattdessen gelingt dem Faktotum eine Art Läuterungstour durch eine zynische und unechte Gesellschaft, die keine wirklichen Werte mehr besitzt. Und das wenige, was vielleicht einen Wert hätte, nicht mehr zu schätzen weiß.
Ein Thriller oder gar ein Actionfilm ist Pig aber ganz und gar nicht. In seiner Schwermut kommt er gar an das beachtenswerte Rachedrama Aftermath mit Arnold Schwarzenegger heran. Michael Sarnoskis Regiedebüt erfreut aber durch seine ungefällige Mieselsucht längst nicht die Herzen eines breiten Publikums, sondern brütet, von errungenen Erkenntnissen belastet, vor sich hin wie sein verlorener Antiheld, der nicht mal mehr Schwein hat.
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