DAS BÖSE FÜR DUMM VERKAUFEN
von Michael Grünwald / fiömgenuss.com
Hätte Karl Markovics in Elisabeth Scharangs Aufarbeitungs-Justizdrama Franz Fuchs – Ein Patriot nicht diesen Briefbomber gespielt – die Rolle hätte auch Harald Krassnitzer übernehmen können. Doch mittlerweile braucht man dieser möglichen Alternativbesetzung nicht nachweinen, mittlerweile hat der österreichische Tatort-Kommissar eine ganz andere Rolle zu seiner schauspielerischen Sternstunde gemacht, nämlich jene des Schwerverbrechers und erfahrenen Geiselnehmers Aloysius Steindl. Wie jetzt? Krassnitzer wechselt die Seiten und macht auf schlimmen Finger? Stimmt – und das Beste dabei: es gelingt ihm prächtig. Förderlich mag sein, dass die Figur des Kriminellen keinen Charakter vom Reißbrett aufpickt, sondern einen letztjährig verstorbenen Bankräuber und Mörder, dem nicht nur ein tatsächlicher Ausbruch aus dem Gefängnis im niederösterreichischen Stein beinahe gelungen wäre, sondern welcher vor allem durch eine Geiselnahme im Lebensmittelladen der Haftanstalt Karlau unrühmliche Bekanntheit erlangt hat. Die Rede ist von Adolf Schandl, der im November 1996 beschloss, mit zwei weiteren Mithäftlingen – einem Zuhälter (Seidl-Liebling Michael Thomas schüttelt den ekelhaften Superprolet nur so aus dem Ärmel) und einem palästinensischen Terroristen aus dem Libanon – unter Geiselnahme unbefristeten Freigang zu erpressen. Das hätte mit selbstgebastelten Bomben geschehen sollen, die in PET-Flaschen an drei Frauen geschnallt waren, die sich leider Gottes zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielten. Würde man in Kürze aber rund 8 Millionen Schilling und einen Flucht-Helikopter sein eigen nennen dürfen, hätten die Damen natürlich nichts zu befürchten. Der Umstand, dass Verbrecher oftmals nicht wenig Eitelkeit besitzen, kommt dem Verhandler Eduard Hamedl zugute, im Film dargestellt von Simon Hatzl und unter neuem Namen Fredi Hollerer. Der legt eine spezielle Art von Taktik an den Tag und lässt den Kopf der Bande glauben, wirklich bewundert zu werden. Hollerer selbst nimmt dabei eine Rolle ein, die bereits Inspektor Columbo stets erfolgreich praktiziert hat. Nämlich jene, selbst unterschätzt zu werden, damit sich manch Täter in Sicherheit wiegt. Kurz: Er markiert den naiven Idioten. Und Aloysius Steindl, der wird ihm auf den Leim gehen.
Wie Harald Krassnitzer die Führung behält und sich von Hatzl umschmeicheln lässt, ist großes Kino. Im erdfarbenen Retro-Look, Schnauzbart und Krankenkassenbrille erscheint dieser Steindl als redseliger Opa von nebenan, hat’s aber faustdick hinter den Ohren und gewährt nicht selten Einblicke in eine kranke, psychopathische Seele, die zu allem möglich wäre – würde man sie provozieren oder in eine Ecke drängen. Der von seinen Kollegen völlig unverstandene Hollerer tut genau das nicht – und zögert durch sein einlullendes Gerede die von den Verbrechern erpressten zwei Stunden immer weiter hinaus. In der Enge der kleinen Greißlerei hingegen zieht im Vakuum zwischen Macht und Ohnmacht die aus der Langeweile des Wartens und aufgestauten Aggressionen geborene Willkür seine chaotischen Bahnen und offenbart sich in körperlichen wie psychischen Erniedrigungen der Geiseln, die ähnlich zum Handkuss kommen wie seinerzeit manch Strafgefangener in Abu Ghraib. Diese Damen aber, man möchte es fast nicht glauben, haben trotz sichtbarem Grenzgang einen fast längeren Atem als die Verbrecher selbst. In der Erduldung liegt ihre Kraft, während die bösen Buben langsam ihre Kraft verlieren. Und dennoch bleibt nichts an dem Film so faszinierend wie die taktische Zermürbung Harald Krassnitzers, der bis zuletzt nicht merkt, wie sehr er manipuliert wird, da die Überhöhung des eigenen Ichs blind macht für psychologische Kriegsführung. Dass die Polizeikollegen Hollerers das selbst nicht überreißen, ist weniger glaubhaft, denn man muss nicht vom Fach sein, um Simon Hatzls siebensüße Tarnung nicht zu verstehen.
Taktik, auf Basis wahrer Ereignisse geschrieben und inszeniert vom Ehepaar Hans-Günther Bücking und Marion Mitterhammer, die auch die weibliche Hauptrolle spielt und die sich als Greißlerin Gabi Pichler fast schon vor Angst übergeben muss (verstörend mitanzusehen), hat als Kammerspiel ganz besondere Dialogmomente zu verbuchen, bleibt spannend und fällt fast in die Kategorie Telefonfilm, wie No Turning Back, Nicht auflegen! oder The Guilty welche sind. Der periphere dramaturgische Zusatz wie zum Beispiel Florian Scheubas halbgares Cameo fällt für das Kernstück des Films dabei kaum unterstützend ins Gewicht. Doch zum Glück hat der eigentliche Nervenkrieg sowieso keine dringende Verwendung dafür.
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