ALKOHOL IST AUCH (K)EINE LÖSUNG
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
A Kriagerl, A Glaserl, A Stamperl, A Tröpferl, då wer’n unsre Eigerln glei feicht. Då warmt si‘ des Herzerl, då draht si mei‘ Köpferl, die Fußerln wer’n luftig und leicht.
Tja, da wussten die beiden österreichischen Weltkünstler Andre Heller und Helmut Qualtinger in ihrem Trinklied bereits, wie gut es nicht sein kann, mit der richtigen Menge Alkohol das Leben zu optimieren. Fehlt die richtige Motivation, der eloquente Zungenschlag, das selbstbewusste Auftreten: 0,5 Promille hinter die Binde gegossen – schon ist man wer. Paracelsus aber sagt: Allein die Dosis macht’s, dass ein Gift kein Gift sei. Recht hat er, denn genau darauf kommt es an. Alkohol per se kann durchaus eine Lösung sein, und angesichts einer Studie des Psychiaters Finn Skårderud pumpen unsere Herzen mal generell viel zu wenig Blutalkohol durch unsere Venen. Genau genommen wären das eben 0,5 Promille zu wenig. Würde man das Level halten, hätte man erst dann die richtige Pole Position für geistige, kognitive und repräsentative Leistungen. Obs im Sport was bringt, wird nicht erwähnt.
Anhand dieser Annahme tun sich die vier Gymnasiallehrer Martin, Nikolaj, Peter und Tommy zusammen, um die Probe aufs Exempel zu machen, klarerweise motiviert durch aufkeimende Erschwernisse des Alltags, die vielleicht ohne hochprozentige Beikost nicht mehr zu schaffen wären. Sie wollen also testen, wie es ist, mit einem konstanten Spiegel von besagtem Promillewert dieselben Pflichten zu erledigen, die vorher schon angefallen waren. Was dabei herauskommt? Kommt drauf an, ob die vier Querdenker bereit sind, ihre Studie auszuweiten oder mit Skårderuds Annahmen abzuschließen. Im Grunde kann sich aber jeder denken, der bislang auch nur irgendwie mit Alkohol in Berührung gekommen war, wie das Ergebnis ausfallen wird.
Thomas Vinterberg ist seit Dogma95 ein ganz großer seines Fachs. Filme wie Das Fest oder Die Jagd blieben mir bis heute nachhaltig in Erinnerung. Alles keine leichte Kost, dafür aber so energiegeladen inszeniert, dass seine Dramen wirken wie Thriller. Für Der Rausch schraubt der Däne einen Gang runter – und lässt es gemächlicher und humorvoller angehen. Auch sehr überlegt, konzentriert und frei von artifiziellem Beiwerk. Das Schauspielensemble steht im Mittelpunkt, die Regie bleibt gekonntes Handwerk. Was Allrounder Mads Mikkelsen hier wieder leistet, ist beeindruckend. Und natürlich nicht nur er. Alle vier, die da mit dem Alkohol recht selbstvergessen herumexperimentieren, tappen auf ihre ganz individuelle Art von einem Level der Trunkenheit ins andere, bis hin zur totalen Selbsterniedrigung. Paracelsus meldet sich wieder. Doch probieren geht über Studieren, meinen unsere Alltagshelden. So findet das Publikum die eingeschränkte Motorik lallender Supermarktkunden ganz lustig und schämt sich fremd, wenn Papa ins Bett uriniert. Symptome von Alkoholkonsum, wie wir sie alle kennen. Größere Probleme löst dieser trotzdem nicht.
Daher ist Der Rausch (im Original: Druk, was so viel heißt wie Komasaufen), diesjährig mit dem Oscar für den Besten Fremdsprachigen Film ausgezeichnet, in erster Linie kein Film, der neue Erkenntnisse über die Hassliebe zwischen Mensch und Alkohol bereithält. Allerdings deklariert Vinterberg den Alkohol nicht als etwas, das, wie es in mittelalterlichen Liedern so schön heißt, im Sinne des Teufels ist. Bier, Wein, Schnaps – alles nichts Böses. Die Symbiose zwischen Mensch und Gesöff: fast schon etwas Notwendiges. Ein Verbot: beinahe gegen unsere Natur. Ist da doch was dran an Skåkerunds Annahme? Ganz offensichtlich sympathisiert Vinterberg mit dieser Hypothese. Es gilt also die Unschuldsvermutung für Rebsaft und Co. Entlassen werden diese als neutrales Werkzeug wie jedes andere, das unter Missbrauch selbst und anderen klarerweise schadet, während der kluge Einsatz dessen tatsächlich weiterbringen mag. Medizin ohne Beipack? Von Brummschädel, gesteigerten Aggressionen und sträflich überwundenen Hemmschwellen verliert Der Rausch kein einziges Wort. Auch die Leber schweigt. Das fühlt sich fast schon wieder verharmlosend an.
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