Gleich zuallererst: „Als wir tanzten“ ist meiner Meinung nach der schönste "schwule" Film seit „Call Me by Your Name“ und hat auch tatsächlich ein paar Ähnlichkeiten damit: Georgiens Hauptstadt Tiflis ist in golden-sonniges Herbstlicht getaucht. Die Häuser der Altstadt scheinen aus Holz gebaut zu sein und sind mit wunderschönen geschnitzten Balkonen versehen. Bunte Wäscheleinen spannen sich von hier nach dort. Die total engen Wohnungen, in denen generationenübergreifend gelebt wird, strahlen trotzdem Geborgenheit aus. Es ist überhaupt ein sehr bunter Film. Die Menschen begegnen sich -meistens- mit freundlicher Wärme. Musik, sowohl traditionelle als auch poppige, hat einen großen Stellenwert und gibt dem Film eine Seele. Auch bekommen wir einen Eindruck von georgischer Esskultur, queerem Nachtleben und natürlich von der Bedeutung des traditionellen georgischen Tanzes, der übrigens aus dem Militärischen kommt. Die notorische Homophobie des Landes, obwohl für die Handlung nicht unwichtig, kommt vor aber eher am Rande, wie auch der Film seine Menschen liebevoll zeichnet und nicht ausstellt, was ich ihm hoch anrechne!
Merabs Alltag als Tanzeleve ist eine endlose Abfolge von harter Arbeit: er schwitzt sich durch die Proben, kellnert in einem Restaurant für wenig Geld, mit dem er auch seine Familie unterstützt und streitet hin und wieder mit seinem betrunkenen Bruder, der zum Ende hin übrigens eine ganz unerwartete Seite von sich zeigt. Als aber ein neuer männlicher Tänzer eintrifft, der ihm bald Konkurrenz um einen begehrten Platz im Nationalensemble macht, ist er aber trotzdem sofort fasziniert. Dunkelhaarig und mit breiten Schultern spricht der ohrringtragende Irakli so mit dem Lehrer, wie es sonst niemand tut, und folgt seinen eigenen Regeln, was er sich wohl leisten kann, denn er entspricht dem Idealtypus eines männlichen Tänzers in diesem traditionellen Umfeld. Bald aber schon beginnen die beiden jungen Männer sich anzufreunden und trainieren miteinander. Blicke kreuzen sich und es dauert nicht lange, bis ihre Anziehung die Oberhand gewinnt als sie gemeinsam mit Freunden zu einer Party ins Landhaus des Vaters von Merabs Tanzpartnerin Mary und offiziellen Freundin fahren. Sie trinken reichlich Wein und tummeln sich lautstark in dem schäbigen Herrenhaus. Der Zuschauer findet sich dabei in einer unerwarteten romantischen Kulisse wieder. Seiner einstigen Schönheit beraubt, verströmt die Kulisse mit den abblätternden Farben und einem Wintergarten dennoch einen bezaubernden Charme. An diesem Ort kommen sich Merab und Irakli erst langsam und dann doch ganz unerwartet näher, unbeobachtet von den anderen. In einer der schönsten und sexiesten Momente - nicht nur dieses Films - auf der mondbeschienenen Veranda, tanzt Merab in recht provokanter Weise zu Robyn's „Honey“ nur für Irakli und spielt dabei mit einer „Papacha, einer georgischen Fellmütze. Die Szene knistert und strotzt vor Verliebt-Sein und Selbstbewusstsein. Aber wie geht es weiter, wenn sie alle nach dem Wochenende wieder in der Stadt ankommen?
Der Plot ist eigentlich nicht neu in schwulen Filmen: Zwei Männer treffen sich bei der - eher männlich konnotierten - Arbeit, sind sogar erst Konkurrenten, verlieben sich dann aber und schon tauchen Probleme auf. „Freier Fall“, „Brokeback Mountain“ und God's Own Country“ funktionieren nach demselben Muster. Meistens ist einer der beiden eher unsicher, was das Umgehen mit dem geschlechtlichen Begehren angeht, der andere selbstsicherer. Und die Frage ist, wer sich aus dem gesellschaftlichen Korsett befreien kann und wer nicht.
Was diesen Film aber besonders macht, ist einmal die Tatsache, dass er in Georgien spielt, es gab heftige Proteste bei der Premiere in Tiflis. Dann aber zweitens, drittens und viertens: Der Hauptdarsteller ist der Hammer, sofortiger Sympathieträger. Zum Verlieben. Er spielt den Merab mit einer entwaffnenden Unverstelltheit. Kleinste Gefühlsnuancen können sein Gesicht und seine Körpersprache vermitteln, wie auch Timothée Chalamet in „Call Me by Your Name“. Kaum zu glauben, denn als Balletttänzer hat er noch nie zuvor eine Schauspielrolle innegehabt. Sein Merab strahlt sowohl männliches Selbstbewusstsein als auch Sanftheit und Verletzlichkeit aus. Mit seiner sexuellen Identität hadert er jedenfalls nicht. Seine Waffe und Sprache sind der Tanz. In der letzten Szene des Films setzt er zum Befreiungsschlag an und definiert den georgischen Tanz neu. Ein neuer Lieblingsfilm von mir. Come, get Your honey!