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    Die Wütenden - Les Misérables
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    Andreas S.
    Andreas S.

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    4,5
    Veröffentlicht am 21. September 2023
    Um Himmels Willen. Das war doch wohl keine halbwegs authentische Milieu-Studie, die den Alltag in Montfermeil, einem Vorort von Paris, widerspiegelt? Oder etwa doch? Das wäre ja wirklich erschütternd.
    Der Film zeigt 36 Stunden im Leben dreier französischer Cops in besagtem Problemviertel. Mord, Totschlag, Gewalt, Perspektivlosigkeit, Polizeigewalt, Rassenunruhen. Für alle Beteiligten, auf welcher Seite sie auch immer stehen, gibt es nicht eine Minute der Ruhe, nicht eine Minute der Entspannung, nicht eine Minute, in der nicht alle um ihre Gesundheit oder gar um ihr Leben fürchten müssen. Die Anspannung ist kaum auszuhalten und muss sich zwangsläufig irgendwann in einem Strudel der Gewalt entladen.
    Die Wütenden ist ein hochexplosiver, rastloser und gnadenloser Streifen, den man sich nicht im Vorbeigehen anschauen kann. Die andauernden Treffer in die Magengrube sitzen und sind nicht einfach zu verdauen. Düstere Zukunftsaussichten für ein Frankreich, das anscheinend versucht, die Menschen am Rande der Gesellschaft zu ignorieren und auszugrenzen. Aber wird das noch lange gutgehen? Die Wütenden sind eine neue Generation, eine junge Generation, eine ausgestoßene und tief verzweifelte Generation. Während die älteren Wütenden sich mittlerweile angepasst und den eigentlichen Feind aus den Augen verloren haben, rotten sich die jungen Wilden aller Rassen zusammen und radikalisieren sich auf eine Weise, die bisher nicht vorstellbar war. Na dann prost Mahlzeit. Allez Les Bleus!
    Aber es gibt auch Hoffnung. Miteinander reden, aufeinander zugehen, Perspektiven suchen. Die letzte Szene dieses furiosen Streifens lässt einen Funken Hoffnung aufkeimen, den ich schon gar nicht mehr gehofft hatte zu finden. Die Szene als sich Polizist und Aufrührer mit erhobenen tödlichen Waffen gegenüberstehen und vorsichtig die Waffen zu senken scheinen, ist an Intensität, Ausdruckskraft und Dramatik kaum zu überbieten und hinterlässt nachhaltigen Eindruck.
    Am Ende stehen die Worte von Victor Hugo, der Les Miserables vor 200 Jahren in anderem aber durchaus vergleichbaren Kontext geschrieben hat. „Es gibt keine schlechten Menschen, genau wie es keine schlechten Pflanzen gibt. Es gibt nur schlechte Gärtner“ . Wie wahr.
    Filmdoktor
    Filmdoktor

    7 Follower 46 Kritiken User folgen

    4,0
    Veröffentlicht am 8. November 2020
    "Tu es nicht!" - Wut, Ausgrenzung, Angst und Respekt -

    Die Plattenbausiedlung Montfermeil, zwanzig Kilometer vor Paris, ist eine Banlieue. Das Dorf wurde 1862 durch Victor Hugo in seinem Romanepos „Les Misérables“ zu einem der Schauplätze der Handlung. Obwohl der französische Originaltitel des Films („Les Misérables“) vermuten lässt, es handle sich um eine moderne Neuinterpretation des berühmten Romans, ist die Geschichte doch vielmehr ganz und gar in der Gegenwart angesiedelt. Sicherlich erinnert der Leiter der im Viertel patrouillierenden Polizeieinheit, Chris, sehr stark an den selbstherrlichen Polizeichef bei Victor Hugo und die Hauptfiguren auf Seiten der Banlieue-Bewohner, haben Ähnlichkeiten mit den verelendeten Figuren im Roman, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.

    Die Handlung findet innerhalb von nicht viel mehr als 48 Stunden statt und mit Ausnahme der WM-Jubel-Bilder aus dem Zentrum von Paris zu Beginn des Films spielt das Geschehen in den Häusern und auf den Straßen von Montfermeil. Der Betrachter nimmt die Erzählung mit dem Blick des "Neuen" wahr: Der Polizist Stéphane Ruiz hat sich hierher versetzen lassen, um näher an seinem, bei der Mutter lebenden Sohn zu sein. Von der ersten Begrüßung an wird er von seinen Kollegen drangsaliert: der cholerische Chris leitet die Einheit und schafft mitunter seine eigenen Gesetze; der (schwarze) Gwada ist selbst im Viertel geboren und handelt besonnener, verachtet aber auch überwiegend seine Klientel. Stéphane versucht sein Handeln nach rechtlichen Vorgaben auszurichten und gerät beständig in Konflikt mit seinen beiden Partnern.
    In den Begegnungen im Viertel mit Jugendlichen, ihren Eltern, mit den "Autoritäten" (einem lokalen Anführer, der sich "Bürgermeister" nennen lässt und den Muslim-Brüdern) oder mit aufgebrachten Zirkus-Betreibern, denen von Jugendlichen ein Löwenjunges gestohlen wurde, geht es vielfach um Machtfragen, verbunden mit Korruption. Die Banlieu ist ein eigener Kosmos, der wenig Chancen bietet und nach eigenen Gesetzen funktioniert.

    Der Regisseur Ladj Ly ist selbst in Montfermeil und hat bereits eine Dokumentation und einen Kurzfilm über das Thema vorgelegt, der Kurzfilm wurde nun zum Spielfilm ausgebaut. Die Handkamera ist meist auf Augenhöhe und nah am Geschehen, eine Drohnenkamera spielt auch in der Handlung noch eine besondere Rolle. Sowohl die jugendlichen als auch die erwachsenen Darsteller wirken absolut authentisch und sorgen in der dichten Inszenierung für ein hohes Maß an Spannung. Insbesondere die dramatische Verdichtung zum Ende hin raubt dem Betrachter fast den Atem. Einen der letzten Sätze des Films darf Stéphane rufen und fasst damit die Misere der Eskalation zusammen: "Tu es nicht!"

    "Die Wütenden - Les Misérables" ist ein hochspannendes Polizei- bzw. Sozialdrama, welches in sehr differenzierter Form mit glaubhaften Darstellern und angesiedelt in der realen Umgebung eine massive Kritik an den gegenwärtigen gesellschaftlichen Zuständen übt. Zugleich funktioniert der Film aber auch als Charakterstudie und hochspannender Großstadtthriller. Sehr Sehenswert!

    "Die Wütenden - Les Misérables" hat bereits in Cannes den Preis der Jury, beim Europäischen Filmpreis den Prix FIPRESCI als Europäische Entdeckung und in Spanien einen Goya als bester europäischer Film gewonnen. Nun ist der Film auch für die Oscars nominiert, ebenso war er bei den Golden Globes nominiert.
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