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Philm
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4,5
Veröffentlicht am 3. August 2022
Die Stärke des Films liegt in seiner sachlichen, ruhigen Erzählweise immer ganz nahe an der 17 Jährigen Protagonistin. Genau das und die überzeugenden Darsteller machen dieses Drama so mitfühlsam und sehenswert.
Weniger ist mehr und das Reduzierte ist das Besondere. Die Handlung des Films klingt simpel und ist es auch: ein junges Mädchen wird schwanger und will eine Abtreibung durchführen lassen. Der Film begleitet sie auf diesem schlimmen Weg, allerdings fast dokumentarisch und bleibt durchgehend dabei. Dazu zählen auch endlos lange Gespräche mit Ärzte und all jener Verwaltungsaufwand der damit einher geht. Spaß macht das zwar nicht, aber durch den lebensnahen Look und das ungeschönte Draufschauen fasziniert es auch auf seine Weise. Auch durch die unaufdringliche, zurückhaltende Hauptfigur. Hier wird das Thema nicht wie in „Juno“ mit Humor genommen sondern ernst, bitter und lebensnah. Und das macht es sehr wertvoll.
Kein einfacher Film ist Eliza Hitmans „Niemals Selten Manchmal Immer“. Die Regisseurin bezieht in diesem Film ganz klar Stellung, gegenüber der scharfen Kritik an Abtreibungen (gerade in den USA und auch im Nachbarland Polen) und präsentiert uns in diesem schweren Drama, mit wenig Dialog und wenig Musik, aber starkem Schauspiel, dass eine Abtreibung unter bestimmten Umständen ein vollkommen legitimer Schritt ist. Gerade im Höhepunkt des Films, der sich auch zugleich auf den Titel bezieht, wird dies noch einmal, in einem sehr emotionalen Moment deutlich. Zwar kann man dem Film an mancher Stelle durchaus vorwerfen, dass es keine einzige gute Männerfigur in dem Film gibt, dennoch tut dies dem Film keinen Abbruch, sondern zeigt eher stets auf, dass wir noch immer in einer Gesellschaft leben, der Frauen zwar auf dem Papier als Gleichanerkannt gelten, diese aber immer noch sich durch eine Vielzahl von sexuellen Übergriffen konfrontiert sehen oder belästigt werden. Er ignoriert die äußeren Kommentare und gibt uns ein absolutes Verständnis für die Handlungen unserer Hauptfigur.
Solidarität für notleidende Frauen und berührendes Coming-of-Age-Drama - Die siebzehnjährige Autumn lebt im ländlichen Pennsylvania, wo der Betrachter sie bei einem Schul-Talent-Wettbewerb kennenlernt. Schon im Gesang von Autumn wird deutlich, dass sie verletzt wurde, was sich bei der Aufführung dann gleich (verbal) wiederholt. Die Demütigungen und sexuelle Rücksichtslosigkeiten von Männern gegenüber Frauen sind ein Leitmotiv dieses sehr bewegenden Films. Die Geschichte schildert nur einen Zeitraum von wenigen, aber sehr entscheidenden Tagen. Autumn weiß, dass sie schwanger ist und sie weiß, dass sie noch nicht Mutter sein kann und sie auch die Schwangerschaft selbst (Rechtfertigungsdruck) nicht durchstehen kann. Die Hintergründe, wie es zur Schwangerschaft kam und dass dies wohl auch nicht völlig freiwillig geschah, werden im Film nur angedeutet. Man erahnt die unglückliche Geschichte im Gespräch mit der Sozialarbeiterin von Planned Parenthood in New York, die (ungefähr in der Mitte des Films) mit Autumn einen Fragebogen durchgeht, der jeweils die Antwortmöglichkeiten "Niemals, selten, manchmal, immer" vorsieht. Einmal wird gefragt, ob Autumn jemals sexuellem Zwang oder Gewalt ausgesetzt war, woraufhin Autumn ihre Tränen nicht zurückhalten kann.
Der Film konzentriert sich ganz auf die beiden jugendlichen Hauptdarstellerinnen (Autumn und ihre Cousine Skylar) und ihre Odyssee nach und in New York. Wem kann ich vertrauen? Wer kann mir helfen? Wo finde ich Schutz? Die Eltern fallen als Antwort auf diese Fragen fast vollständig aus, eine emotionale Bindung scheint nur zur Mutter zu bestehen, aber kein Draht sich offen auszusprechen. Die Beratungsstelle in der Heimatstadt in Pennsylvania stellt eine fehlerhafte Diagnose und arbeitet mit einem einschüchternden Video. Der männliche New Yorker Student, der den beiden schließlich das Geld für die Rückfahrt leiht, tut dies auch nur im Austausch für sexuelle Gefälligkeiten. Einzig in der New Yorker Klinik scheint es wirklich Menschen (Frauen) zu geben, die zuhören und helfen wollen.
Es ist erst der dritte Langfilm der Regisseurin Eliza Hittman ("Beach Rats" von 2017), der wiederum die Themen sexuelle Selbstfindung und Selbstbestimmung im Jugendalter, prekäre soziale Verhältnisse und die Suche nach Hilfe behandeln. Zwar ist das Ziel von Autumn, eine Abtreibung durchzuführen, ohne die Erlaubnis ihrer Eltern vorher einholen zu müssen, aber dahinter steht die Suche nach Solidarität in einem Klima aus Geringschätzung und Isolierung. Gerade weil der Schwerpunkt des Films nicht auf der kontroversen Debatte um das Recht auf bzw. die Möglichkeit von Abtreibung sondern auf Notlage, Solidarität und Hilfestellung von Frauen für Frauen liegt, ist die Geschichte eindrucksvoll erzählt und hallt lange nach. Die Kamera ist immer ganz nah bei den Figuren und übernimmt die Perspektive der Teenager. Ein zurückgenommener Score unterstützt die melancholisch-bedrückende Stimmung, wenngleich am Ende ein wenig Hoffnung zu erahnen ist. Die amerikanische Situation ist auf deutsche Verhältnisse nur bedingt übertragbar, aber die Notsituation ist vergleichsweise ähnlich: Während in den USA Frauen (noch) ein Recht auf Abtreibung haben, aber in vielen Bundesstaaten nur wenig Möglichkeiten, dieses Recht auch auszuüben, gibt es ein Recht auf Abtreibung in Deutschland nicht, dafür aber bessere Möglichkeiten und zudem eine Pflicht zur Beratung.
"Niemals selten manchmal immer" ist ein bewegendes, hervorragend inszeniertes und gespieltes Coming-of-Age-Drama auf der Höhe gesellschaftlicher Diskussion. Sehr sehenswert!
Berlinale 2020: Auszeichnung mit dem Silbernen Bären – Großer Preis der Jury
In der Eröffnungssequenz beschreibt die Autorenfilmerin Eliza Hittman die sich anbahnende Situation ihrer Hauptfigur treffend. Autumn steht auf der Bühne einer Talentshow ihrer Schule. Mit einer Akustikgitarre entblößt sie sich einer breiten Öffentlichkeit, die in der Konstellation des Performativen über sie urteilt. Erfüllt sie die Erwartungen? Erfährt sie Unterstützung, Kritik oder Schmähung? All diese Fragen lassen sich auf die Rolle der werdenden Mutter oder einer Frau übertragen, die sich dazu entschlossen hat, ihr Kind nicht zur Welt zu bringen. Der Film wählt die zweite Abzweigung. Durch die resolute Verschwiegenheit Autumns, gibt es keinen Kreis an Figuren, der auf sie in einem Akt der Beurteilung einwirkt. Sie ringt alleine um Ihre Autonomie der Entscheidungskraft. Alleine ihre Vertrauensperson Skylar und wir begleiten sie. Das selbstgewählte Dasein der Abkapslung von Bezugspersonen wird durch die Kameraarbeit eingefangen. Immer sehr nah bewegen wir uns mit Autumn durch die Straßen von New York oder den Gängen des U-Bahnnetzes. Es gerät schier in Vergessenheit, dass sich die Handlung in einer der Metropolen unserer Zeit abspielt. Es ist ein Weg gekennzeichnet von Intimität, auf den wir geführt werden. Eine Intimität die berührt. Ihre Wucht erreicht sie nicht unbedingt dadurch, weil wir alles erfahren, sondern durch die Verwendung nüchterner Dialoge, die in ihrer Apathie pointierte Nuancen aufweisen. Höhepunkt dieser Vorgehensweise ist ein Fragenkatalog, den Autumn mit einer Betreuerin in der Abtreibungsklinik durchgeht. Die im Titel genannten Antwortmöglichkeiten erfahren durch ihre schiere Nennung und schrittweise mit Emotionalität erfüllter Wiedergabe durch die Beteiligten eine unvorstellbare Ausdruckskraft. Sidney Flanigan ist alleine in der extrem langen Einstellung sichtbar. Wir beobachten, wie die aufgebaute Fassade ihres Charakters stückweise zum Einsturz gebracht wird. Repetitiv schallend besitzen die vier Worte eine Einschlagskraft, die für einen der einfühlsamsten Momente des Kinojahres sorgt. Fragen bleiben offen. Es ist eindeutig erkennbar, dass Autumn etwas widerfahren ist, dass sie zutiefst in eine emotionale Abschottung geführt hat. Um was es sich dabei handelt, ist nicht entscheidend. So wird viel eher der Fokus auf die essentielle Notwendigkeit der Selbstbestimmung einer jeden Frau gerichtet, die sich in einer ähnlichen Lage befindet. Das höchste Gut, das gerade in Amerika inmitten religiös aufgeladener Debatten mit verbrannter Erde viel zu oft untergraben wird. Einer direkten Diskussion in Form konfrontativer Konflikte zwischen Charakteren geht der Film aus dem Weg. Es wird zwar deutlich gemacht, dass die Belegschaft der ersten Praxis aus Autumns Heimatort stark konservativ geprägt ist, da sie unter dem Deckmantel der Freundlichkeit, Autumn von der Geburt eines Kindes überzeugen möchte. Der politische Kern wird bei der Betrachtung des Einzelschicksals ersichtlich. Es bedarf keines verworrenen Austausches, der sowieso in einer Sackgasse endet, die geschuldet der fest gefahrenen, entgegengesetzten Denkmuster vorprogrammiert ist. Hier ist eine junge Frau, der eine Möglichkeit zur Selbstbestimmung gegeben werden muss. Auf mehr kommt es nicht an. Voreilige Schlüsse verleiten dazu, den Vorwurf von Männerfeindlichkeit des Films in den Ring zu werfen. Das Handeln von männlichen Akteuren ist derartig gestaltet, dass Autumn und Skylar entweder abgewertet oder mit zutiefst sexuellen Belästigungen konfrontiert werden. Eine durchweg positive Bezugsperson männlichen Geschlechts tritt nicht auf. Bei näherer Betrachtung erweist sich ein solcher Vorwurf schnell als haltlos, weil die Perspektivierung nahezu ausnahmslos an Autumn gekoppelt ist. Sie hatte in der Vergangenheit definitiv traumatisierende Begegnungen mit einem oder mehreren Männern. So ist es nicht verwunderlich, dass ihre Figur nur beklemmende Situationen mit ihnen wahrnimmt. Eine aus ihrer Sicht verständlicherweise von Misstrauen geprägte Wahrnehmungswelt wird inszeniert. Leider wird in einem potentiellen Ausnahmefall keine Chance zur Differenzierung wahrgenommen. Vielleicht verdient die Ausweglosigkeit, die für viele Frauen bittere Realität ist, auch nur kohärenten Pessimismus ohne Hoffnungsschimmer, um einen notwendigen Appell zu starten. Autumn wird letztendlich ein friedvoller Moment gewährt, der auch in seiner Fragilität von Poesie erfüllt ist. Es war ein langer Trip. Man möchte nicht erahnen, was auf sie in der Heimat wartet.
FAZIT
NIEMALS SELTEN MANCHMAL IMMER ist ein einfühlsames Drama der langsamen Gangart, das für bedrückende Stimmung sorgt. In seinen stärksten Momenten entfesselt der Film eine Intimität, die in ihrer Intensität ganz tief in den Kinosessel drückt. Eine Abtreibung ist kein Moment, der nach Beurteilung verlangt. Eliza Hittman hat dies wunderbar erkannt.
Wieder einmal habe ich mir einen Filmpreis-dotierten Film angeschaut. Dieser Film soll Freundschaft und Mitgefühl demonstrieren? Es ist ein Film, der meiner Meinung nach keinerlei Gefühl zeigt. Von Anfang bis Ende wartet man darauf, aber ein Almauftrieb von Kühen in Österreich würde sehrwahrscheinlich mehr Emotionen bewirken und zeigen als dieser Film. Besonders verstörend finde ich das, wenn ich mir junge Mädchen vorstelle, die in diese Situation kommen könnten und den Film angeschaut haben. Wenn so ein Film einen Publikumspreis verdient, frage ich mich ernsthaft, in welcher Gesellschaft ich lebe.
Eliza Hittman hat nach eigenem Drehbuch "Niemals Selten Manchmal Immer" für die große Leinwand geschaffen.
Autumn (Sidney Flanigan) ist ungewollt schwanger. Die 17-jährige Schülerin möchte ohne Wissen der Eltern die Schwangerschaft beenden. Sie fährt für den Eingriff in Begleitung ihrer Cousine Skylar (Talia Ryder) von ihrer Heimat in Pennsylvania nach New York City.
Die weniger bekannte Regisseurin liefert außergewöhnlich gutes Beobachtungskino. Nicht nur die überwiegend wortkargen, exzellent auf die junge Frau und ihr soziales Umfeld abgestimmten Dialoge begeistern. Der Zuschauer bekommt neben dem effektiv verdeutlichten Verhältnis zu den Eltern das rückständige County in Pennsylvania zu sehen. Ein Vergleich bezüglich des Unterschieds zwischen Metropolregion und Provinz mit anderen Ländern inklusive Deutschland drängt sich nahezu auf. Aus den Umständen ergeben sich Folgen in der für das Beobachtungskino typischerweise wenig üppigen Story. Vielleicht möchte Eliza Hittman mit der ungewöhnlich lang inszenierten Fahrt in die große Stadt die entwicklungstechnischen Differenzen oder die Entschlossenheit der Autumn weiter begründen, hier ist jedoch der sonst sehr angenehm gleichmäßige Erzählrhythmus zu sehr gedehnt.
Die Unerfahrenheit der Schwangeren kann man ihr in jeder Minute vom Gesicht ablesen. Das liegt letztendlich nicht nur an der bewundernswerten Leistung von Sidney Flanigan, sondern auch am stimmigen Gesamtbild, das dem Publikum keine Zweifel an der Realitätsnähe lässt. Die unaufdringliche Kamera bestärkt diese Wirkung. Autumn hat einen ausgeprägten Willen, der sie auch vorsichtig sein lässt. Dennoch ergeben sich einige zusätzliche Hürden, die keineswegs als künstlich installiert empfunden werden. Der am meisten berührende Moment offenbart den Filmtitel; eine meisterliche Szene, die den vielschichtigen Charakter der Protagonistin nochmals hervorhebt.
"Niemals Selten Manchmal Immer" ist ein ergreifendes Schauspiel.
Der Gegenentwurf zu „On The Rocks“, wo dieser schal bleibt, entwickelt „Niemals, selten, manchmal, immer“ eine starke Intensität. Durch den kargen Realismus, mit dem der Film den beiden jugendlichen Frauen auf ihrer Reise folgt, entwickeln sich eindrucksvolle Szenen, die lange haften bleiben. Stark