ALICE IM PORNOLAND
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Viele machen es, und kaum einer spricht darüber: Pornos schauen. Denn die Libido lässt sich schwer einsperren. Und Sex, wann immer Mann will, kann Mann schließlich nicht einfordern. Das war vielleicht in früheren Zeiten so, als Frauen den ehelichen Pflichten nachkommen mussten, was wiederum noch nicht so lange her ist. Die beste Alternative: Pornos eben. Mann weiß, wie Mann sich helfen muss – also gibt’s dafür eine Industrie, die Kohle scheffelt bis zum Abwinken. Ein Patriarchat ist das Ganze, viel mehr noch als das Model-Business. Zwischen beiden kann es durchaus zu Überlappungen kommen – je nachdem, wofür das eine oder andere Model gebucht werden will. Denn die Freiheit, zu entscheiden, was man wo und mit wem für Geld macht, ist in dieser Branche oberstes Gebot. Eine Art Persilschein, den die schwedische Regisseurin Ninja Thyberg für ihr Publikum klar verständlich an den Bildrand heften möchte.
Doch wer sind diese Kandidatinnen, die glauben, frei entscheiden zu können, was sie zeigen oder tun möchten? Junge Mädchen wie Linnéa, die sich den Künstlernamen Bella Cherry gibt und von weit her aus Schweden nach Amerika reist, ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, um die Standfestigkeit amerikanischer Penisse zu überprüfen und dabei träumt, mit inszeniertem Sex ganz groß rauszukommen. Jede wie sie will, könnte ich meinen, es ist ja schließlich eine Sache der Freiheit – und natürlich lässt sich als 19jähriges Mädchen mit null Erfahrung in diesem Metier die ganze Sache realistisch sehen. Linnéa geht’s vermutlich so wie vielen anderen jungen Frauen mit gefälligem Äußeren, die als Model oder Schauspielerinnen Karriere machen wollen. Das Prinzessinnenoutfit liegt bereits parat, man muss nur die Treppen hoch und dabei nicht den Schuh verlieren, den der Prinz vielleicht vorbeibringt, doch so genau lässt sich das nicht prognostizieren. Heidi Klum hat daraus eine ambivalente Reality-Show gemacht, in der Mädchen vorgeführt und abgewählt werden, wenn sie nicht tough genug sind, Dinge zu tun, die unter ihrer Würde sind. Linnéa versucht es trotzdem. Weiß natürlich nicht, worauf sie sich einlässt, weiß aber, dass nur die harten Sachen wirklich zum Ziel führen. Und sei es, dass es Freundschaften kostet, die eigentlich mehr wert sein sollten als jeder Facial Cumshot.
Obwohl sich alles um Sex dreht, prickelt in Thybergs Film überhaupt nichts. Sex ist hier Technik und Schauspiel, als fixe Zeiteinheit zwischen Vertragsunterzeichnung und Vaginalspülung. Gut, dieser Umstand hinter den Kulissen feuchter Träume war zu erwarten. Dass hier manch ein Boy den besten Freund nicht hochkriegt, ebenso. Die Girls haben genauso wenig Freude dran. Schauspielerin Sofia Kappel lässt als Bella nicht nur einmal klar heraushängen, dass Wohlfühlen irgendwas anderes ist, nur nicht das. Nun, die Vorstellung von etwas und die dazugehörige Realität sind natürlich zwei Paar Schuhe. Das ist in jeder anderen Showbranche genauso. In diesem Business ist die Frau allerdings noch viel mehr ein Spielzeug im Gegensatz zum projektbeteiligten Akteur, denn der ist immer noch Vertreter eines dominanten Geschlechts, welches die Macht hat, die Weiblichkeit zu unterdrücken. Das liegt bei jedem Take unangenehm in der Luft, obwohl Pleasure weit davon entfernt ist, Männer als Monster hinzustellen. Nach Thyberg sind dies allesamt Profis, mit Respekt vor ihren Darstellerinnen und mit geradezu seelsorgenden Empathie. Thyberg bleibt da ebenfalls respektvoll und lässt den indirekt abgebildeten Sex auch nie zum Selbstzweck verkommen.
Dadurch, dass Pleasure aber im Grunde aber kaum Partei bezieht und auch sonst nichts Neues vom Adult-Set berichtet, bleibt das Karrieredrama überraschend flach. Es ist ein abturnendes Lustwandeln zwischen den Pornosparten, natürlich probiert Bella vieles aus, und manches wie Hardcore geht gar nicht. Dem Voyeur wird dabei die Tür vor der Nase zugeknallt, und jenen, die die xte Staffel von Germanys Next Top Model längst satthaben, könnten sich wundern, zumindest ansatzweise wieder dort gelandet zu sein. Nicht auszudenken, was der Österreicher Ulrich Seidl aus dem Stoff gemacht hätte. Doch da hält schon sein ungeschönter Blick Models für mehrere Jahrzehnte vor. Pleasure ist vom Tabu zu sehr abgelenkt, greift den eigentlichen Konflikt, den der ganze Film eigentlich zum Thema haben sollte, erst viel zu spät auf und weiß nicht, ob es dokumentieren oder dramatisieren soll. Ein eigentümlicher Hybrid also, so lustlos wie der Akt vor der Kamera.
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