Sherry Hormann („Wüstenblume“, 2009) ist mit ihrem aktuellen Film in den deutschen Kinos. „Nur eine Frau“ beruht auf wahren Begebenheiten und wurde von der Journalistin und TV-Moderatorin Sandra Maischberger produziert.
Am 7. Februar 2005 wird die 23-jährige Hatun Aynur Sürücü (Almila Bagriacik) von ihrem jüngsten Bruder Nuri (Rauand Taleb) in Berlin erschossen, weil sie sich von kurdischen Traditionen abgewendet und dadurch die Familie entehrt hat.
Der als Ehrenmord verbreitete Vorfall bewegte 2005 ganz Deutschland. Somit stand das Filmteam vor der Aufgabe, die Ereignisse mit dem bekannten tragischen Ausgang für die Leinwand aufschlussreich umzusetzen und dafür Opfer und Mörder dem Publikum näher zu bringen. „Nächster Halt: Fruitvale Station“, 2014 von Ryan Coogler, ist ein Beitrag, der zwar eindringlich das Leben des zu Tode kommenden Oscar Grant (Michael B. Jordan) aufzeigt, aber den Täter überhaupt nicht berücksichtigt und damit einen erheblichen Mangel aufweist. Ganz anders geht Sherry Hormann vor:
Die Regisseurin, nimmt sich jede Zeit für die Durchleuchtung der Figuren. Für Aynur gelingt das exzellent, da deren Abnabelung von auferlegten Riten mit Ursache und allen Folgen schlüssig nachvollziehbar dargestellt sind. Auch andere Familienmitglieder werden intensiv betrachtet, insbesondere der spätere Täter. Alle sind sich einig, dass Aynur Schande über die Sürücüs gebracht hat. Es gibt unterschiedliche, auch der Stellung und dem Alter geschuldeten Ansichten, die fein und nuanciert herausgearbeitet sind. Dazu agieren ausgezeichnet angeleitete Schauspieler, die sämtlich tief in ihrer Rolle stecken.
Aynur liebt ihre Eltern und Geschwister, möchte sich an der westlichen Welt orientieren und als Frau frei sein. Die Feindseligkeiten gegenüber Aynur schwanken. Dies ist unter anderem mit ihrem heranwachsenden Sohn als Bindeglied sehr treffend verbaut. Allmählich, aber nicht zu langsam erhält das abgegebene Bild der Familie für die 93-minütige Spielzeit eine starke Plastizität und in der Erzählzeit von 1998 bis 2005 eine beeindruckend getaktete Zuspitzung, ohne auf getrickste Emotionalität zurückgreifen zu müssen. Es entsteht nie der Eindruck, dass Teile fehlen oder überflüssig sind.
Darüber hinaus haben sich die Filmemacher einiges Markantes einfallen lassen:
Aynur gibt die Geschichte selbst als Rückblende wieder. Der Ausdruck einer selbstbewussten Frau ist zu erkennen. Allerdings mit einem zynischen Nebenton, der zuweilen spröde und künstlich klingt. Erfrischend sind die eingepflegten musikalischen Pop-Elemente, die den Wandel der Deutschtürkin begleiten.
Die Bildarbeit ist in großem Maße lobenswert. Mit vielen, clever ausgesuchten Einstellungen und montierten Standbildern hebt sich „Nur eine Frau“ deutlich vom TV-Format ab. Gleiches gilt für Farbe und kräftige Kontraste. Ebenso ansprechend eingefügt sind Aufnahmen der echten Aynur mit ihrem deutschen Lebensgefährten. Bettina Böhler (Stamm-Editorin von Christian Petzold) hat sicherlich maßgeblich dazu beigetragen, dass Hormanns Werk wie aus einem Guss erscheint.
Sandra Maischberger hat in der am 10.05.19 ausgestrahlten NDR-Talkshow angegeben, es gehe um Frauenrechte. „Nur eine Frau“ konzentriert sich ausschließlich auf das wilde Kurdistan einer Familie, kann beim Anblick eines jeden Kopftuchs den Gedanken an Zwangsehen schüren und bietet keinen weiteren Aspekt. Sherry Hormann hat eben mit Können und Hingabe einen Spielfilm über eine Frau mit dem Wunsch nach Selbstbestimmung geschaffen und keine umfassende Doku.