Soviel vorneweg: Der Titel des Films trifft den Nagel auf den Kopf.
Man tut sich zunächst schwer, den Film in ein gängiges Genre einzuteilen. Ein Drama ist es nicht, dafür ist zuviel Charme im Spiel und das Ende zu beschwingt. Für eine Komödie hat der Film, trotz einiger komischer Elemente, zu viel Tiefgang und eine Romanze kommt ebenfalls nicht in Frage, da die Liebesgeschichte nur einen Teil der Gesamthandlung einnimmt. Die Filmstartsbezeichnung "Tragikkomödie" trifft es noch am ehesten, oder aber, man bezeichnet den Film als "modernes Märchen": Er ist verträumt, manches Mal sogar kitschig, die Geschichte hat eine Moral und dem Zuschauer wird eine Lebensweisheit mit auf den Weg gegeben. Nicht zuletzt unterstützen künstlerische und surreale Elemente und der Erzähler, der moderierend und erklärend durch den Film führt, diese Einordnung.
Amelie Poulain, unglaublich charmant gespielt von Audrey Tautou, durchläuft im Film eine Entwicklung von der introvertierten zu der immer noch schüchternen, aber ihrer Umwelt aufgeschlossenen Endzwanzigerin. Dies geschieht nicht ohne weiteres, sondern es bedarf dafür einiger Kuriosa. Auslöser ist ein verstaubtes Schatzkästchen, dass Amelie durch Zufall hinter einer Fliese ihrer Wohnung findet. Fasziniert beschließt sie, den Besitzer ausfindig zu machen. Sollte dieser gerührt sein, nimmt sie sich vor, sich zukünftig den Menschen in ihrer Umwelt zu öffnen.
Der Plan geht auf und die Geschichte nimmt ihren Lauf.
Die Message, die der Film in seinen ca. 120 Minuten recht deutlich vermittelt, ist zweigeteilt. Zum Einen: Geh' mit offenen Augen durch die Welt und hab' Freude an den kleinen Dingen des Alltags! Sei es das ritualisierte Zerlegen eines frischen Backhähnchens, die weiche Form einer Chicorée oder das schöne Kostüm eines Eiskunstläufers - es lohnt sich, hinzuschauen und zu genießen.
Auf der anderen Seite zeigt die Geschichte: Tu' Gutes und lass' deine Mitmenschen an diesen Freuden des Alltags teilhaben! Das wirkt sich nicht nur positiv auf selbige aus, sondern auch auf einen selbst.
Der Film schafft es, diese Botschaft herüberzubringen, ohne dabei zu missionieren. Keine übertrieben bedeutungsschwangeren Dialoge, kein erhobener Zeigefinger.
Grund dafür sind natürlich auch die durchweg sympathischen Charaktere, allen voran die wunderliche aber charmante und liebenswerte Amelie. Es fällt leicht, mitzufühlen und sich mit den Personen zu identifizieren, gerade weil sie durchweg schräge Vögel sind - aber dadurch auch interessant. Und vielleicht regt sich in der einen oder anderen Szene der Wunsch, selbst mal auszubrechen, merkwürdig zu sein oder einfach nur einer ganz und gar ungewöhnlichen Leidenschaft nachzugehen (wie Nino, der in seiner Freizeit Handabdrücke in Gips fotografiert).
Der Film bewegt und hinterlässt Spuren, vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein. Die streng rational denkende Gehirnhälfte sollte ausgeschaltet werden und man darf sich an den wenigen Szenen, die des Guten ein bisschen zu viel sind, nicht stören.
In einigen wenigen Szenen tappt der Zuschauer kurzzeitig im Dunkeln (das Abmontieren des Gartenzwerges, das Rätsel um das Gesicht auf den Fotos), was aufgrund des ansonsten klaren und verständlichen Handlungsstranges ("Märchen"!) kurz für Verwirrung sorgt.
Neben der Haupthandlung gibt es zwei Nebenhandlungen: Zum einen das Versteckspiel, die Liebesgeschichte mit -natürlich- Happy End, zum anderen das Rätsel um das geheimnisvolle Gesicht auf den Fotos in Ninos "Album der Unbekannten". Hierbei werden im Film verrückte Theorien entwickelt die sich jedoch alle als Sturm im Wasserglas entpuppen und gegen Ende des Films pointiert widerlegt werden.
Auffallend auch die Vielzahl an Symbolik und Metaphern: Amelie sammelt auf dem Weg zur großen Liebe und zum "Coming out" immer wieder Steine auf, quasi Meilensteine auf dem Weg zum Ziel. Oder der Gartenzwerg als Symbol der Spießigkeit und der Enge. Nicht zu vergessen das Mädchen mit dem Wasserglas, das ins Weite schaut und an einen bekannten Unbekannten denkt.
Wenn man bei diesem Film tatsächlich noch etwas Negatives anhängen will, dann vielleicht, dass er einen Hang zum Klischeehaften hat. Es wird ein romantisches Bild von Paris, seinen Straßen, seinen Menschen gezeichnet (unterstützt von einem sehr französischen Soundtrack), das es heutzutage wohl nur noch in der Gauloises-Werbung gibt (dennoch wunderbar in das Gesamtbild der Geschichte passt). Auch die Charaktere ensprechen alle einem gewissen Schema. Der gutmütige Aushilfsverkäufer, der von seinem Chef aufgrund seiner limitierten geistigen Fähigkeiten zur Zielscheibe des Spotts wird, der schrullige aber liebenswerte Einsiedler, der keine Lust mehr hat, auf "die Idioten da draußen", der hysterische Hypochonderin, der erfolglose Schriftsteller, der seinen Alltag im Café verbringt.
Allerdings, und hier schließt sich der Kreis, ist das nicht mehr, als das Haar in der Suppe. So ist es nunmal in einem Märchen - die Figuren sind greifbar und überzeichnet.
Der Film läd zum Nachdenken und zum Träumen ein - es lohnt sich, sich darauf einzulassen und nicht den Fehler zu machen, nach 15 Minuten den Fernseher abzuschalten!