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FILMGENUSS
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4,0
Veröffentlicht am 8. Januar 2022
ESSEN FÜR ALLE! von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Es gibt Leute, die essen, weil sie müssen. Die können dem ganzen Schnickschnack an Rezepten, an den Details der Zubereitung oder der Präsentation auf dem Teller nichts abgewinnen. Und es gibt Leute, für die ist Essen nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern auch die Art von Genuss, die vielleicht sogar nachhaltiger ist als guter Sex. Von so einem hedonistischen Ansatz einer Wohlstandsbevölkerung war man gegen Ende des 18. Jahrhunderts natürlich als Normalsterblicher weit entfernt. Da schwelgte die Elite unter ihren grotesken Perücken der Vielfalt einer Cuisine, die alle Stückchen spielen musste. Von der Bouillon bis zum Sahnetörtchen am Schluss, dazwischen allerlei Abenteuerliches wie Pastetchen, in Blätterteig eingewickelter Braten oder Kapaun, gefüllt mit Kastanien. Überraschungen durfte es allerdings keine geben, der Adel wollte schließlich nicht die Kontrolle über seine Macht verlieren. Und diese neumodischen Kartoffeln – nichts für die gepuderte Nase, genauso wenig wie Trüffel. Was unter der Erde wächst, war für die Schweine.
Aufgrund eines solchen Affronts dem Establishment gegenüber darf der sonst hoch geschätzte Koch Pierre seine Sachen packen. Zurück an der vom Vater vormals betriebenen Poststelle, versucht sich der vom Spaß an der Zubereitung nunmehr befreite Griesgram, seine und die Existenz seines Sohnes über Wasser zu halten – mit einfachen Suppen und Eintöpfen für Durchreisende. Da taucht plötzlich eine geheimnisvolle Dame auf, die unbedingt beim Maestro in die Lehre gehen will. Nach den üblichen anfänglichen Zaudereien, die ein Meister stets in einer gewissen Selbstgefälligkeit mit sich bringt, gibt dieser schließlich nach. Wohl auch, weil sein ehemaliger Brötchengeber, der Herzog, alsbald bei Pierre dinieren möchte, damit dieser die Chance bekommt, sich selbst zu rehabilitieren. Was in Folge dieser Vorbereitungen aber geschieht, kann man gut und gerne als Selbstläufer betrachten: das Häuschen am Waldrand wird zum ersten À la Carte-Restaurant der europäischen Geschichte.
Da ist sie wieder, die Besonderheit des französischen Kinos, die kein anderes Filmland mit so sicherer Hand imitieren kann: Die Kunst, leichte, aber bei weitem keine flachen Komödien zu inszenieren, die so luftig wie das beste Mousse au Chocolat und so flaumig wie das mit Eischnee unterhobene Biskuit geraten. Blickt man auf die Credits des Films, wird sofort klar: À la Carte! – Freiheit geht durch den Magen ist auch deswegen so gelungen, weil einer wie Éric Besnard dafür verantwortlich zeichnet. Ich erinnere mich noch an die ebenfalls unendlich schwerelose, aber gehaltvolle Sommerkomödie Birnenkuchen mit Lavendel. Wer diesen Film kennt, wird erahnen können, wie angenehm unprätentiös und entspannt auch diese historische Tragikomödie mit den Zutaten spielt. So ganz nebenbei würzt Besnard eine auf historischen Tatsachen basierende Legende mit dem Gedankengut der französischen Revolution, verfeinert diese mit geschmackvollen Stillleben historischer Malerei und lässt den Duft frisch angerösteter Zwiebel oder gebackenen Brots nur so durch das rustikale Landhaus wabern. Nebenher gibt’s auch noch was fürs Herz. Wer da noch nicht gegessen hat, wird spätestens jetzt, im Nachhinein und mit frohem Gemüt, irgendwo einkehren müssen. _____________________________________________________ Mehr Reviews und Analysen gibt's auf filmgenuss.com!
„Á La Carte – Freiheit geht durch den Magen“ überzeugt mit opulenten Bildern, die nicht selten an die Gemälde großer Meister erinnern. Es geht um eine kluge und wunderbar gespielte Geschichte einer späten Liebe zwischen zwei eigenwilligen Charakterköpfen und erzählt elegant von der Erfindung des Restaurants im Fahrwasser der Revolution. Hier treffen Schönheit und Tiefgang auf Geschichte und Sinnlichkeit. So schön und klug kann nur ein Film aus Frankreich sein… Was anfangs noch nach Langeweile aussieht, entpuppt sich im Laufe der Geschichte zu einem großartigen Film, in dem es um Arroganz und Hochnäsigkeit geht. Es geht darum, dass ein gutes Essen für alle bestimmt ist und nicht nur dem Adel vorbehalten werden darf. Die Geschichte präsentiert auf berührende Weise, wie es sich ganz nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“ anfühlt, wenn man auf einmal alleine dasteht. Nicht zuletzt geht es in der wunderschönen und vor allem berührenden Geschichte auch darum, dass man auch mal verlieren können muss und nicht immer nur alles für sich beanspruchen darf. Alles in allem ein erstklassiger Film, der mit großartigen schauspielerischen Leistungen, Überraschungen, einem hervorragenden, erfrischenden Soundtrack und jeder Menge Humor überrascht. Des ist eben französisches Kino, da passt einfach alles aufeinander!