„Das Leben, das wir leben, ist das Opfer wert!“
Holocaust-Filme gibt es doch genug, oder? Die Frage habe ich mir zu Beginn dieses Films gestellt, denn Filme über das dritte Reich, die NS-Zeit gibt es wie Sand am Meer, besonders aus Deutschland. Und manche davon sind echt toll, berührend, manche sogar sehr humoristisch mit dem Thema umgegangen („Jojo Rabbit“ von 2019).
Nun kommt „The Zone of Interest“ von 2023, einer der Filme, die bei den Oscars nominiert waren in verschiedenen Kategorien und die Trophäe für den besten Ton und den besten fremdsprachigen Film abgreifen konnte. Und in meinen Augen völlig zurecht! „The Zone of Interest“ hätte sogar noch einige andere Preise abgreifen können, denn dieses Werk über eine deutsche Familie, die neben einem KZ wohnt, ist an Kraft, Schrecken und aktueller Relevanz kaum zu überbieten.
Der Film stammt aus der Feder von Jonathan Glazer. Das hier ist erst sein vierter Film, obwohl er seit 2000 dabei ist. Seit 2004 nimmt er sich immer knapp zehn Jahre für seine Projekte Zeit, sein letzter Film „Under the Skin“ stammt aus dem Jahre 2013. Und sein abstrakter, aber kraftvoller, verstörender Stil, den er im Horrorfilm mit Scarlett Johansson damals wunderbar nutzte, um die Geschichte zu transportieren, passt auch wunderbar in diese Story. „The Zone of Interest“ basiert sehr lose auf dem gleichnamigen Buch von Martin Amis und ist trotz der deutschen Schauspieler keine deutsche Produktion, sondern eine amerikanisch, britische und polnische Mischung.
1943, Polen: Lagerkommandant Rudolf Höß leitet das KZ Auschwitz und wohnt mit seiner Familie direkt auf der anderen Seite der Mauer. Dort ist Ehefrau Hedwig besonders stolz auf ihren Garten, der immer mehr zu einem grünen Paradies wird. Die Kinder planschen im Pool, während auf der anderen Seite dunkler Rauch aus den Schornsteinen das Ergebnis abartigster Massenmorde symbolisieren und Schreie und Schüsse zum gewöhnlichen Klangteppich gehören…
Jonathan Glazer drehte hier nicht nur einfach einen Holocaust-Film, der mit starkem Kontrast arbeitet. Klar, es ist erschreckend zu sehen, wie die Blumen und Pflanzen im „Paradies“ erblühen, während das Leben auf der anderen Seite erlischt. Der Kontrast zwischen unschuldigem Familienleben und bestialischem Morden ist fesselnd und hat immer wieder Momente und Szenen, die mich sprachlos gemacht haben.
Doch „The Zone of Interest“ ist so viel mehr. Glazer wollte ganz absichtlich den Schrecken nie zeigen, sondern ihn nur akustisch vernehmen lassen. Dafür arbeitete Johnnie Burn mehr als ein Jahr lang an einer Klangcollage, die nicht nur erschreckend sein sollte, sondern auch akkurat. Vor allem aber erzählen diese Klänge der Hölle eine Geschichte in der Geschichte. Wir als Zuschauer sehen praktisch die Welt der Zuschauer. Die Familie Höß, die es übrigens tatsächlich gab, nimmt bis auf den Vater keinen direkten Bezug zum Massenmord im KZ, man redet praktisch nicht darüber, sondern betrachtet es als einfache Arbeit. Die Floskel „Banalität des Bösen“ passt sehr gut auf das Geschehen, trotzdem symbolisiert die direkte Abgrenzung von Freud und Leid durch eine Mauer nicht nur die Unmenschlichkeit im zweiten Weltkrieg. Diese absichtliche Distanzierung der Familie Höß gegenüber dem Unmenschlichen, dem Grausamen, das finden wir auch heute noch. Egal ob es um das Massenschlachten von Nutztieren im nächstgelegenen Schlachthof geht oder den Krieg in der Ukraine. Die Dunkelheit unserer Gesellschaft steht direkt vor der Tür, aber wir dekorieren diese Tür mit hübschen Blumen, damit wir an etwas anderes denken können.
Apropos Dunkelheit: Ich liebe es, wie Glazer und sein Team die Dunkelheit im Film als Symbol nutzen. Familienvater Rudolf kleidet sich stets in Weiß und wenn er abends die Lichter im Haus ausknipst, geht er immer zum letzten Fleck Licht. Er flieht sehr bewusst vor dem schwarzen Etwas, das direkt hinter ihm lauert. Dabei passieren in der Dunkelheit auch kleine Akte der Liebe, wenn etwa ein kleines Mädchen Äpfel in der Nacht in die Lager schmuggelt und dort für die Gefangenen in der Erde versteckt. Es sind diese bewegenden und optisch starken Facetten, die den Film so eindrucksvoll machen, allein das Plakat des Films beschreibt das ganze Dilemma bildgewaltig!
Schauspielerisch bin ich wirklich begeistert. Die beiden Protagonisten, Sandra Hüller und Christian Fiedel, sind großartig und für mich einige der wenigen deutschen Filmschauspieler, die glaubhaft eine Rolle verkörpern können, ohne dass man dabei den Darsteller sieht. Besonders Hüller hat durch diesen Film und „Anatomie eines Falls“ internationale Aufmerksamkeit erregt und ich hoffe, dass sie in Zukunft deutlich mehr internationale Projekte machen wird. Aber auch der restliche Cast ist stark, sogar die Kids sind toll gespielt und authentisch. Das liegt vielleicht auch an der interessanten Herangehensweise von Glazer die Szenen zu drehen. Er installierte mehrere Kameras im Haus, die wie Überwachungskameras alles zeitgleich einfingen. Durch viel Improvisation entstanden dadurch extrem realistische und authentische Momente. Und dieses beeindruckende Spiel kreierte in mir immer wieder die Frage: Waren die Menschen damals einfach böse oder Opfer ihres Umfeldes? Wie hätte ich mich verhalten?
Und das Schöne am Film: Glazer will damit weder die Nazis glorifizieren, noch als Monster abtun. Er zeigt einen sehr ungefilterten Blick auf diese Personen, auf diese Familie, die einfach nur ein schönes Leben haben will. Auch Ehefrau Höß träumt von einem Ende des Krieges, ohne dabei zu bemerken, dass sie ein Teil des Grunds für den Krieg ist.
Der Film ist übrigens in der deutschen Sprache gedreht, für den internationalen Markt wurden halt Untertitel hinzugefügt. Man kann ihn also (wenn man deutsch spricht) im Originalton schauen, wobei ich das Anschalten von Untertiteln empfehle, da viele Gespräche nicht immer gut verständlich sind, was aber kein Kritikpunkt ist. Es ist sehr bewusst so gewählt, dass man in ein Gespräch rein- und wieder rausfadet und dabei nicht immer alles versteht. Mit den Untertiteln kriegt man halt etwas mehr Details über die Diskussionen.
„The Zone of Interest“ ist technisch auf allen Ebenen fantastisch: Der eben erwähnte Ton hat seinen Oscar zurecht verdient, aber auch die Kameraarbeit von Łukasz Żal ist gespenstisch ruhig und hat dennoch eindrucksvolle Bilder, die im Gedächtnis bleiben. Gerade die letzten Bilder im Treppenhaus liebe ich und sind für mich purer Horror, obwohl eigentlich gar nichts passiert. Der Film kommt dabei komplett ohne Close Ups aus, fast immer wird aus der Ferne gefilmt, um so den Eindruck eines Zusehenden zu erwecken. Zudem wurde „The Zone of Interest“ komplett in natürlichem Licht gedreht, um das Bild so wenig wie möglich zu verfälschen.
Abgerundet wird das Ganze von einem unheimlichen Score von Mica Levi, der zwar sehr selten im Film genutzt wird (Glazer verwarf viele musikalische Ideen von Levi, um so den Film nicht zu „filmisch“ wirken zu lassen), aber ohne Zweifel sehr präsente Momente hat!
Fazit: „The Zone of Interest“ ist ein Meisterwerk! Es ist ein langsamer, erschreckender Film, der mit unkonventionellen Mitteln arbeitet. Man muss sich auf jeden Fall darauf einstellen, denn das hier ist kein kitschiger Film über Gut und Böse. Es ist ein faszinierendes und vielschichtiges Werk über das Böse in jedem von uns. Es ist ein Werk, das den Fokus dieses Mal auf die Zuschauer des Horrors lenkt, nicht auf den Horror selbst. Und gerade dies Herangehensweise macht „The Zone of Interest“ nicht nur besonders in der Filmwelt, sondern auch wichtig. Einer der besten Filme von 2023!