Wide encounters of the third kind
Im Mainstreamkino werden Erwartungen nur sehr selten unterlaufen, geschweige denn das Publikum irritiert, oder gar vor den Kopf gestoßen. Schließlich zahlt es dafür für zwei Stunden den Alltag zu vergessen, sei es auf romantische, actionreiche oder auch erschreckende Art. Die Geschmäcker und Präferenzen sind da verschieden und Hollywood war schon immer sehr gut darin gewesen sie alle zu befriedigen. Das ist ein wenig wie im Restaurant, die einen mögen italienisch, die anderen griechisch und wieder andere schwören auf Fast Food. Wie bestellt so geliefert und alle sind glücklich. Die Bitte „Überraschen sie mich!“ würde die allermeisten Keller plus angeschlossene Küchen in nackte Panik versetzen. Womit wir bei Jordan Peele wären.
Der amerikanische Filmemacher kennt sich bestens aus mit Panik. Vor allem mit der unvermittelt herein brechenden Variante. Eigentlich aus dem Komödienfach stammend, hat er mit lediglich 2 Kinofilmen so etwas wie eine ganz eigene Panik-Marke geschaffen, den satirischen Mystery-Horror-Thriller mit doppeltem Boden. Sowohl in „Get out“ wie auch in „Us“ weiß das Publikum lange Zeit nicht, wo das Ganze hin laufen soll, spürt aber unterschwellig recht schnell, dass es ziemlich sicher nicht das fluffige Barbecue mit Freunden und Familie sein wird. Diese Einschätzung wird sich als goldrichtig erweisen, aber auf dem Weg dorthin gibt es allerlei unheimliche Abzweigungen, verwirrende Weggabelungen und falsche Fährten zu bewältigen. Paradoxerweise ist dieses deftige Überraschungsmenü auf dem besten Weg das Peelsche Markenzeichen zu werden, was einem ironischen Salto gleich kommt, frei nach dem Motto „Erwarte das Unerwartete, dann bist du hier goldrichtig“.
„Nope“, so ehrlich muss man sein, wird diese entstehende Gesetzmäßigkeit eher zementieren denn unterlaufen, aber, so viel Entwarnung kann man geben, das trübt das Filmvergnügen nicht im geringsten. Zwar öffnet Peele auch hier wieder seinen ganz eigenen Zauberkasten und kramt seine Lieblingszutaten Mystery, Horror, Thriller, Satire und Sozialkritik hervor, aber setzt sie auf ganz andere Weise zusammen wie zuvor und serviert uns damit erneut einen Film den man glaubt schon oft gesehen zu haben, nur um am Ende festzustellen, sich da massiv getäuscht zu haben. Um die Verwirrung perfekt zu machen: die Erwartung der unterlaufenen Erwartung wird sowohl bestätigt wie unterlaufen. Aber darauf muss man sich einlassen können - und wollen.
An der Oberfläche ist mal wieder alles recht simpel. Otis Jr. Haywood (Daniel Kaluuya) und seine Schwester Emerald (Keke Palmer) betreiben eine Pferderanch für Film und TV-Produktionen im nahe gelegenen Hollywood. Nach dem seltsamen Unfalltod ihres Vaters - er wird von einer aus dem Himmel herab stürzenden Geldmünze getötet - laufen die Geschäfte schlecht. Während der eigenbrötlerische Otis dazu neigt zu verkaufen und sich zur Ruhe zu setzen, träumt seine quirlige Schwester von Ruhm und Karriere in der Traumfabrik. Als sich erneut allerlei merkwürdige Phänomene in und um die Ranch häufen und Otis gar glaubt ein Ufo gesehen zu haben, überredet Emerald ihren Bruder die unerklärlichen Dinge - plötzlicher Stromausfall, plötzlich vom Himmel regnete Gegenstände und eine sich nicht bewegende Wolke - auf Film zu bannen um damit groß raus zu kommen. Zusammen mit dem Überwachungstechniker Angel (Brandon Perea) und dem berühmten Kameraveteran Antlers Holst (Michael Wincott) decken sie sowohl digitale wie analoge Bildkunst ab und fühlen sich bestens gerüstet.
Natürlich denkt man bei dem Ufo-Szenario sofort an die entsprechende B-Film-Welle der 1950er Jähre, die vor allem durch Steven Spielberg Ende der 1970er und dann vor allem in den 1980er Jahren einen zweiten Mainstream-Frühling erlebte. Und tatsächlich trifft Peel Stimmung und Atmosphäre von Filmen wie „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (1977) „E.T.“ (1982) oder auch der TV-Shows „Twilight Zone“ (1983) und „Amazing Stories“ (1985) mit traumwandlerischer Präzision. Die Hommage an den (frühen) Spielberg - der Peele vor allem darin gleicht, Mystery, Horror und Phantasie immer wieder auch humorvoll aufzubrechen und für ein breites Publikum verdaulich zu machen - wird aber auch an der Figurenkonstellation und ihrer Mission deutlich. Der Kampf gegen die unheimliche Bedrohung wir hier von einem Trio aus vergleichsweise rationalem und wortkargem Helden (Otis), dauerquasselndem Wissenschaftsnerd (Angel) und bärbeißigem Veteran (Hold) geführt, welches dasjenige aus „Jaws“ sehr offensichtlich als Vorbild diente. Und wie die Jagd auf den weißen Hai, erweist sich auch die Jagd nach dem mordenden Ufo als sogartiger Trip ins Herz der Finsternis.
Peele wäre aber nicht Peele, würde er diesem Spielberg-Szenario nicht seinen eigenen Stempel aufdrücken, sowohl tonal wie auch optisch. Die Bilder um die Haywood Ranch im südkalifornischen Santa Clarita Valley sind von elegischer Schönheit und visueller Wucht und allein schon die Eintrittskarte wert. Christopher Nolans Hauskameramann Hoyte van Hoytema („Dunkirk“, „Tenet“) arbeitete dafür mit großformatigen IMAX-Kameras (ein Novum im Horrorgenre), die den engen Terror in den Köpfen der Protagonisten mit der vermeintlich beruhigenden Weite der Umgebung kontrastieren.
Ein zusätzlicher Peele-Schlenker ist die Doppeldeutigkeit, die allerlei Raum für verschiedenste Interpretationen lässt, die jeder für sich selbst entdecken, gewichten und analysieren kann. Peele gibt hier nicht den manipulativen Oberlehrer, sondern den nebulösen Fragesteller, der lediglich Angebote macht. Die verstörende Eingangssequenz um einen im TV-Studio ausrastenden Schimpansen ist dafür ein gutes Beispiel. Aber auch das Hollywood-Setting sowie die Ufo-Thematik können sowohl eng als auch breit aufgefasst wie verhandelt werden. Themen wie Sensationsgier, Domestizierung der Natur, Mechanismen der Unterhaltungsindustrie oder filmhistorische Exkurse und Verbeugungen sind mehr oder weniger offensichtlich und lassen sich im Verbund oder auch einzeln diskutieren und sezieren.
Der Begriff von der Kinomagie, die so viel mehr sein und bieten kann als bloße Oberflächenunterhaltung, mag abgedroschen klingen oder als nostalgisch verklärtes Relikt belächelt werden. Jordan Peele beweist mit „Nope“ das der gute alte Magical Mystery Train noch ordentlich Dampf im Kessel hat und Kino nach wie vor ein Erlebnis für alle Sinne plus eine Stimulans für die kleinen grauen Zellen sein kann. Hier kann man nicht nur für zwei Stunden im dunklen Saal den Alltag vergessen, sondern sich zudem auch noch überraschen, anregen und verblüffen lassen. "Wer nichts erwartet kann nur positiv überrascht werden" ist eine freundliche Umschreibung für Pessimismus. Für „Nope“ gilt dagegen: "Wer nichts Konkretes erwartet, wird belohnt werden.“ Das nennt sich dann Optimismus und ja, den kann auch ein Horror-Mystery-Thriller mit satirischem Einschlag vermitteln. Zumindest einer von Jordan Peele. „Yup“.