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    Der Stoff aus dem die Helden sind
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Der Stoff aus dem die Helden sind
    Von Carsten Baumgardt

    Mit dem Horror-Remake „Die Körperfresser kommen“ (1978) feierte der Amerikaner Philip Kaufman seinen Durchbruch. Doch sein vorübergehender Aufstieg in die Riege der Top-Regisseure gelang dem Chicagoer mit dem vierfach oscargekrönten Raumfahrt-Drama „Der Stoff aus dem die Helden sind“. In spektakulären Bildern und von starken Darstellerleistungen unterstützt, schildert Kaufman nüchtern und kritisch die Anfänge der US-Raumfahrt-Geschichte.

    Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs bricht zwischen den Weltmächten USA und der Sowjetunion der Wettlauf um die Eroberung des Weltraums aus. Nachdem die Amerikaner den Start verschlafen haben und den Sowjets (schließlich bis zur Mondlandung 1969) hinterher hecheln müssen, forcieren sie ihre Anstrengungen, aufzuholen. Auf der Suche nach den besten Piloten der Vereinigten Staaten stoßen die Rekrutierungsteams (u. a. Jeff Goldblum) der NASA schnell auf Chuck Yeager (Sam Shepard), der einen Geschwindigkeitsrekord nach dem anderen aufstellt und auch als erster Mensch am 14. Oktober 1947 in der legendären X-1 die Schallmauer durchbricht. Yeager will sich aber nicht als Versuchskaninchen und „fliegende Kanonenkugel“ verheizen lassen. Das Leben als Testpilot ist schon gefährlich genug. Dutzende sterben in den technisch noch nicht ausgereiften Maschinen. Der Ansturm auf das knallharte Auswahlverfahren ist dennoch riesig. Sieben zukünftige Astronauten (Dennis Quaid, Fred Ward, Ed Harris, Scott Glenn, Lance Henriksen, Scott Paulin, Charles Frank) setzen sich schließlich aus den 550 Bewerbern durch, müssen aber eine herbe Enttäuschung hinnehmen, als die NASA nach zahlreichen technischen Fehlschlägen 1961 zuerst einen Schimpansen in den Weltraum schickt...

    Philip Kaufman legte 1983 mit dem Space-Epos „Der Stoff aus dem die Helden sind“ einen Meilenstein des Genres vor. Was in den falschen Händen leicht zu einem heldenhaften Rührstück oder einer hochglanzpolierten militärischen Speichelleckerei à la Tony Scotts Air-Force-Werbefilm „Top Gun“ hätte werden können, gedeiht bei Kaufman zu einer erfrischend nüchternen, glänzend gespielten und optisch herausragenden Chronik der amerikanischen Früh-Raumfahrt-Geschichte, die der Regisseur geschickt mit reichlich Originalmaterial aufpeppt. So interagiert Präsident John F. Kennedy zum Beispiel scheinbar mit Scott Glenn als Alan Shepard. Diese Schnitttechnik guckte sich später auch Robert Zemeckis für „Forrest Gump“ und „Contact“ ab. Die Verfilmung von Tom Wolfes Bestseller ist sicherlich nicht frei von Pathos, aber nur, um dies immer wieder zu brechen und ins Gegenteil umzukehren. Mit Kritik an der NASA wird nicht gespart und die Fehlschläge werden keineswegs verschwiegen.

    In heutigen Zeiten wäre ein Film wie „Der Stoff aus dem die Helden sind“ in dieser Form garantiert nicht in die Kinos gekommen. Die gut drei Stunden Spielzeit, die wie im Flug vergehen, hätten die risikoscheuen Studiobosse abgeschreckt und somit wäre wahrscheinlich der gesamte Subplot um Piloten-Ass Chuck Yeager der Schere zum Opfer gefallen. Strenggenommen hat seine Geschichte mit dem berühmten Mercury-Programm der NASA nicht viel zu tun, aber Kaufman nutzt diesen Kunstgriff, Yeagers Wirken gegen die Aufbereitung der NASA-Entwicklung zu stellen, um die Relation von Heldentum und Schaumschlägerei ins rechte Licht zu rücken. Die Astronauten fühlen sich als die besten Piloten der Welt, was sie im Grunde aber nicht sind. Sie sind nur diejenigen Grünschnäbel, die sich den enormen Risiken des Projekts am mutigsten entgegen stellen, aber dabei kühn und unverhohlen auf den großen Ruhm hoffen.

    Das öffentliche Ansehen erlangen jedoch bei weitem nicht alle. Alan Shepard, mit einiger Ironie und viel Selbstbewusstsein von Scott Glenn gespielt, wird am 5. Mai 1961 zum ersten Amerikaner im Weltall. In der Raumkapsel „Freedom 7“ stößt Shepard in eine Höhe von 187 Kilometer vor und landet 15 Minuten nach dem Start sicher im Ozean. Mit „Apollo 14“ schafft es Shepard als Astronaut sogar auf den Mond (31.1. bis 9.2.1971). Daneben erntet auch noch John Glenn, den Ed Harris zielstrebig und willensstark gibt, Weltruhm. Mit der Mission „Friendship 7“ umkreist er am 20. Februar 1962 als erster Amerikaner drei Mal die Erde und bleibt fast fünf Stunden im All. Nach seiner Teilnahme an der Space-Shuttle-Mission in der Discovery (29.10. bis 7.11.1998) gilt Glenn bis heute als ältester Mensch im Weltraum. Er war damals 77 Jahre alt.

    „Der Stoff aus dem die Helden sind“ ist nicht nur für Raumfahrt-Anhänger interessant, sondern funktioniert auch völlig unabhängig davon als Charakterstudie. Besonders schön herausgearbeitet ist der krasse Kontrast zwischen dem schweigsamen Toppiloten Yeager und den draufgängerischen, PR-geilen Mercury-Astronauten. Yeager wird durch die Szenen in der Wüste eine beinahe mystische Dimension eingeräumt, die unterschwellig klar macht, dass es noch etwas über „Amerikas besten Piloten“ gibt und diese Klassifizierung und gleichsam die kritiklose Verehrung durch die Medien ein riesiger Etikettenschwindel ist. Sam Shepard, der für seine Leistung als bester Nebendarsteller für den Oscar nominiert wurde, glänzt als Chuck Yeager (der ein Cameo als Barkeeper hat) mit einer ausdrucksstarken und charismatischen Vorstellung. Der gesamte Cast, deren Stars bei Erscheinen des Films nahezu unbekannt waren, erfüllt funktionell und stimmig seine Aufgabe.

    Die Bilder, die Regisseur Kaufman und Kameramann Caleb Deschanel finden, um diesen dornenreichen amerikanischen Traum zu illustrieren, sind schlicht großartig, die technische Umsetzung zudem auf dem damals neuesten Stand. Faszinierend-öde Landschaftspanoramen wechseln sich mit spektakulären Raumfahrtaufnahmen ab und der Score von Bill Conti fängt geschickt Stimmungen ein. „Der Stoff aus dem die Helden sind“ wirkt über die komplette Spielzeit wie aus einem Guss, alles passt zusammen. Regisseur Kaufman erweist sich durch seine Fähigkeit, Kritik und angemessenen Humor zu platzieren, als ausgezeichneter Chronist, der nicht den Mechanismen der hollywood’schen Heldenverehrung verfällt. Dafür gab es zurecht sieben Oscar-Nominierungen, wovon vier (Spezial-Effekte, Schnitt, Ton, Score) von Erfolg gekrönt waren. Beim Publikum fiel der Film zur Uraufführung dennoch durch. Die verdiente Würdigung erfuhr dieses epische Meisterwerk erst Jahre später nach Auswertung im Fernsehen, auf Video und DVD.

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