Beeindruckende Darsteller und eine schwierige Thematik!
Es gibt sie wohl doch noch, die guten filmischen Beiträge aus dem deutschen Raum. Neben cineastischen Müllhalden von Til Schweiger und Matthias Schweighöfer, gibt es die eine oder andere Perle. Und „Systemsprenger“ von 2019 ist eine dieser Perlen.
Regie führte Nora Fingerscheidt, die seit diesem Werk auch international viel dreht und eine steile Karriere vor sich haben dürfte. „Systemsprenger“ ist ihr Debütfilm als Regisseurin und für sie ein sehr besonderer Film, da sie von einem echten Fall inspiriert wurde und fünf Jahre für das Ganze recherchierte. „Systemsprenger“ sagt es bereits im Titel: Es geht um Patienten (in diesem Fall ein junges Mädchen), die aufgrund ihrer psychischen Krankheit nicht ins System passen, weil keine Therapie ihnen zu helfen scheint. Dieser Film thematisiert genau das und zwar auf eine sehr beeindruckende Art und Weise.
Die kleine Benni (Bernadette) ist neune Jahre alt und schwer traumatisiert. Ihr Aggressionsverhalten ist unberechenbar und sie bringt nicht nur sich, sondern auch ihre Mitmenschen immer wieder in Gefahr. Ihre Mutter hat sie abgegeben, da sie nicht nur Angst vor ihrer eigenen Tochter hat, sondern auch weil sie einfach überfordert ist. Und trotzdem hängt Benni stark an ihrer Mutter und will um jeden Preis zu ihr zurück. Doch das ändert sich als Benni auf ihren Schulbegleiter Michael trifft. Denn der hat eine Idee, wie man mit Benni umgehen müsste, um ihr zu helfen…
Es ist wirklich toll zu sehen, dass ein deutscher Film mit einer klaren Vision und einer Message daher kommt. Fingerscheidt, die auch das tolle Drehbuch schrieb, will mit ihrem Werk etwas sagen und zwar nicht auf eine plumpe Art. Der Film besticht durch viele spannende Konzepte, so etwa wird mit der Farbe pink gespielt, aber auch das Bild von Benni, die ihren Safe Place an der Schulter ihrer Mutter sucht, nimmt eine zentrale Rolle in der Geschichte ein. Auch der Schnitt und die Musik spielen eine wichtige Rolle und unterstützen den Film kraftvoll. Allein diese Elemente lassen „Systemsprenger“ heraus stechen aus dem deutschen Mainstreammatsch.
Das brisante Thema wird hier auch stark umgesetzt und immer wieder fragte ich mich: „Wie würde ich mit der kleinen Benni umgehen?“ Denn einerseits benötigt die kleine ein sorgendes Elternteil, auf der anderen Seite aber auch muss man sie ständig vor sich und anderen Menschen schützen. Benni ist eine tickende Zeitbombe und das wird im Film sehr effektiv gezeigt. Es gibt sicherlich Antworten auf den Umgang mit solchen Patienten und der Film liefert diese in kleinen Schnipseln, hier und da verstreut. Er zeigt aber auch, dass die Lösung für das Problem ein großes Puzzle ist, das erst noch gelöst werden muss. Stattdessen versucht man mal bessere und mal schlechtere Ideen, wie etwa das Abschieben der kleinen in einen afrikanischen Staat.
Ganz perfekt ist „Systemsprenger“ am Ende dann doch nicht, da die ein oder andere Wendung für mich zu forciert wirkt und einige der Erwachsene nicht immer sehr realistisch handeln, wenn es um Benni geht. So lassen die Leute etwa immer wieder zu, dass andere Kids sie provozieren und so entstehen gefährliche Ausraster von Benni.
Besonders stark fiel mir am Ende auch die Parallele zu einem kanadischen Film von 2014 auf: „Mommy“ von Xavier Dolan. Dieser Film ist in meinen Augen noch besser und behandelt eine sehr ähnliche Thematik und besonders das Ende ist nahezu identisch zu „Systemsprenger“. Da hat sich Regisseurin Nora Fingerscheidt wohl deutlich inspirieren lassen, gewollt oder ungewollt.
Das Highlight dürfte aber sicherlich die schauspielerische Leistung sein, besonders die kleine Helena Zengel, die zum Zeitpunkt des Drehs etwa das selbe Alter hatte, wie im Film. Sie ist eine Wucht und unfassbar authentisch. Ihre Ausraster oder ihre beiläufigen Beleidigungen wirken erstaunlich echt. Ich hoffe, dass sie in Zukunft noch weitere tolle Projekte machen wird, immerhin spielte sie ein Jahr später zusammen mit Tom Hanks in „Neues aus der Welt“!
Aber auch die erwachsenen Darsteller sind toll! Albrecht Schuch und besonders Gabriela Maria Schmeide sind berührend und geben der Geschichte einen herrlichen Kontrast zur unkontrollierbaren Benni!
Fazit: „Systemsprenger“ ist ein toller, aber auch etwas deprimierender Film, bei dem man gute Nerven braucht. Das Gezeigte ist nicht immer einfach zu ertragen und gerade das Thema eines einsamen und aggressiven Mädchens, das keinen Platz in der Welt findet, kann sehr herzzerreißend sein. Dafür kann man hier einen wirklich gut gemachten, deutschen Film erleben, der Substanz und besonders starke Darsteller hat.