Seit meiner letzten Rezension sind leider auch schon wieder etliche Monate ins Land gezogen, aber nach meinem gestrigen Besuch im Kino, muss ich mir meine, rein subjektive, Meinung vom Herz schreiben. Selten war ich so gespannt und begeistert von einer Filmidee wie im Fall von Joker. Selten hat mich eine Filmstarts.de Kritik so sehr aus meiner Euphorie gerissen. Ich versuche Kritiken und Rezensionen erst nach den Filmen zu lesen, in diesem Fall war aber aufgrund zeitlichem Mangel nicht abzusehen, ob ich den Film überhaupt im Kino sehen kann. Die 2 Sterne Kritik von Herrn Petersen kam einer Vernichtung gleich, in mir manifestierte sich der Gedanke, dass man dem Regisseur Todd Phillips eventuell doch zu viel auferlegt hat. Zusammenfassend muss ich sagen, man hat ihm nicht zu viel abverlangt. Joker liefert. Sicher nicht im Bereich Story, aber im Bereich Technik und Darstellung auf einem verdammt hohen Niveau.
Fangen wir mit dem Score an. Hildur Gudnardottir ist noch kein wirklich extrem bekannter Name im Bereich der Hollywood-Musikkompositionen, aber das wird und muss sich ändern. Eine derart gut abgestimmte Komposition, die nahezu jeder einzelnen Szene nochmals ein immenses Plus an Atmosphäre gibt, habe ich seit Zimmers Dunkirk und Reznors Gone Girl Score nicht mehr gehört. Auch die „Oldies“ die der Soundtrack wählt sind zum größten Teil stimmig, auch wenn das Drehbuch einige Titel quasi vorgibt (Beispiel Sinatras That´s life).
Die Kamera Arbeit und das Cutting sind gut, aber oft unauffällig. Chef Kameramann Lawrence Sher hat es sich nicht nehmen lassen, tatsächlich eine kleine Hommage(Kamerafahrt auf das Arkham Hospital) an Wally Pfisters IMAX Panoramen aus „The Dark Knight“ einzubauen, ansonsten hat er sich zusammen mit den Set-Dekorateuren für viele Szenen eine einzigartige Farbgebung überlegt. Man registriert oft die Wechsel in den Farbtönen, welche man, je nach Interpretation, den Stimmungen des Protagonisten zuordnen kann oder sogar den Bewusstseinsebenen von Arthur Fleck. Als Beispiel, als Arthur in einer weiteren „Dark Knight“- Referenz im Polizeiauto zufrieden und ruhig durch die brennende Stadt fährt, taucht die Szene in ein beruhigendes Blau. In den Momenten im Arkham Hospital taucht die Szene oft in eine Mischung aus braun-gelb, was dem Zuschauer Tristesse und Unbehagen vermittelt. Hier leisten die kreativen Köpfe um Laura Ballinger (künstlerische Leitung) und Mark Friedberg (Set) zusammen mit Sher ganze Arbeit. Denn eben diese Unterscheidung lässt dem Zuschauer nach dem Film einen Deutungsspielraum, den es in der Form bei wenigen anderen Filmen gab (spontan fiele mir Inception ein). Dazu später mehr. Festzuhalten bleibt, dass der Film technisch überzeugend umgesetzt ist, auch wenn Gotham nicht ganz den verruchten Eindruck hinterlässt den man aus den Comics kennt. Aber warum kann Gotham nicht auch mal eine „normale“ Großstadt sein.
Das Drehbuch ist ein Punkt der mich in meiner Meinung extrem spaltet, natürlich wird hier unverhohlen von Filmen kopiert die zurecht Meisterwerke sind. Aber dies geschieht mitnichten in einer schlechten oder respektlosen Art und Weise. Im Gegenteil, die vergleichbaren Szenen weisen immer eine variierte Nuance auf, welche die Szene durchaus auch wieder für sich stehen lässt. Des Weiteren ist der Plot arg vorhersehbar, soweit gebe ich den Kritikern recht, aber für mich lag der Schwerpunkt auch den ganzen Film über nicht bei der Geschichte, sondern bei der Personendarstellung und Entwicklung. Auch wird es wohl am Ende wenig Filme geben, die einem derart viel Interpretationsspielraum lassen. Allein die Tatsache das ich hier am Ende nicht zu 100% weiß, ob der Erzähler diese Story wirklich so erlebt haben will, oder ob wir hier nur seiner geistigen Entwicklung zum Joker beigewohnt haben, die ausschließlich in seinem Kopf stattgefunden hat. Sollte der 2te Ansatz der Richtige sein, könnte dies auch ein Erklärungsansatz für die wirklich ausufernden Erläuterungen des psychischen Krankheitsbildes sein. So könnten die ständigen Erklärungsversuche seiner Störungen eine entschuldigende Wirkung auf Ihn selbst und/oder auf jeden haben, der die Geschichte wahrnimmt. Ein Hinweis zur Richtigkeit der zweiten Theorie könnte die nahezu permanente Anwesenheit von Arthur Fleck sein. Es gibt fast keine Szene in der Arthur nicht zu sehen ist, so würde er gedanklich am kompletten Film teilhaben. Dies nur als Beispiele wie die Auslegung des Films final variieren kann und eben das macht auch das Drehbuch wieder besonders. Das Phillips & Silver hier spaßig aus anderen Filmen kopieren und zitieren, ist nichts anderes als das, was Quentin Tarantino seit Jahren betreibt und wofür dieser jedes Mal gefeiert wird.
Auch die Regie ist gut umgesetzt. Zu versuchen einen Darsteller wie Phoenix, in diesem Film, wieder einzufangen, wäre wohl eine Schande gewesen. Daher merkt man förmlich, welche Freiheiten dieser vom Regisseur bekommen hat. Nebenbei kreiert Phillips eine der wahrscheinlich ikonischsten Szenen der letzten Jahre, als der Joker auf der Treppe tanzt (so bereits im Trailer zu sehen). Anspielungen auf die beeinflussenden Filme lässt sich der Regisseur in kleinen und größeren Szenen nicht nehmen. Der Rotlichtspaziergang mit Sophie erinnert an Travis Bickle und Iris, die Spiegelszenen sogar noch mehr an Taxi Driver, das Show Setting von Murray Franklin erinnert extrem an das von Jerry Langford aus „King of Comedy“. Aber das die Inspiration von diesen Filmen kommt hat Phillips auch nie verheimlicht und mir persönlich gefällt es diese Referenzen in einem „neuen“ Gewand zu sehen. Ob ich Todd Phllips nach den Hangover Kultfilmen ein ernsteres Thema zugetraut hätte? Nein, wohl eher nicht. Ich habe mich geirrt!
Nun zu dem Teil, der wahrscheinlich den Film zu 90% (mit dem Score) trägt, der Darsteller. Absichtlich muss man hier wohl von einem Darsteller sprechen, denn selbst De Niro verkommt hier zu einem Statisten (auch wohl der Leinwandzeit geschuldet). Was Phoenix hier allein im Mienenspiel abliefert ist extrem beeindruckend. Wenn gefühlte 30 Sekunden die Kamera nur auf das Gesicht vom Hauptdarsteller hält und man damit alle Emotionen seiner Welt vermittelt bekommt, bleibt einem einfach die Spucke weg. Warum ein Oscar für Joaquin Phoenix gefordert wird? Weil es absolut berechtigt ist! Es wird sich durch den Film gelacht, geheult, getrotzt, geschwiegen. Dieser Film ist eine „One Man Show“ und er tut gut daran. Der sympathische Psychopath Arthur Fleck vermittelt eine derartige Unberechenbarkeit, dass es den Ottonormal Bürger ängstigt.
Ich kann mir schon vorstellen warum manchen Kritikern „Joker“ zu vorhersehbar oder an zu vielen Stellen kopiert ist, allerdings sehe ich hier einen extrem unterhaltsamen Film mit einem herausragenden Hauptdarsteller und einem extrem guten Score. Außerdem werde ich wohl kaum einen Film, seit Fight Club, so gern ein zweites Mal schauen. Und er wird mich wieder beschäftigen.