Technisch gesehen ist "Joker" über alle Zweifel erhaben. Die Cinematographie ist stilistisch konsistent und sehr elegant ausgefallen. Es fühlt sich wirklich wie die bildgewordene Vision eines Filmemachers an, und nicht wie ein Produkt von Studio-Kompromissen um ein möglichst großes Zielpublikum anzusprechen. Einstellungen werden lange genug gehalten um die Szene atmen, und den atmosphärischen Score wirken, zu lassen. Das Framing und besonders die Lichtgestaltung haben mich ebenfalls beeindruckt; Regisseur Todd Phillips und Kameramann Lawrence Sher gelingt es wirklich diesem Setting Leben einzuhauchen. Gotham City hat bisher noch nie so dermaßen lebensecht und doch surreal gewirkt. Wirklich tolle Arbeit, vor der ich enormen Respekt besitze. Womit die meisten Leute (insbesondere ein Großteil der Kritiker) ein (oder mehrere) Problem(e) zu haben scheinen, ist die narrative Komponente des Werkes. Und das ist berechtigt. Man muss ehrlicherweise doch zugeben, dass der Film bewusst kontroverse Standpunkte setzt. Ich würde niemals die Meinung einer Person diskreditieren, welche meint der Film seie zu nihilistisch oder extrem fehlgeleitet in seiner Konklusion. Was ich hingegen schon kritisieren würde, ist die Erwartungshaltung besagter Person. Ein Film über den Joker, erzählt durch die Perspektive des Jokers, kann gar nichts Anderes als extrem und fehlgeleitet sein. Ich würde sogar legitim darauf beharren, dass ein Film ohne diese Tonalität die Figur nicht einmal richtig verstanden hätte. Wo wir schon beim nächsten Punkt wären: Die Figurenzeichnung. Ich will diesen Aspekt mal von der Sicht eines Comicfans aus argumentieren. Denn von dieser Sichtweise aus, bietet der Film evtl. die ehrlichste und realistischste Darstellung des Jokers, überhaupt. All die comic-akuraten Charakteristiken sind vorhanden und der Kern des Charakters stimmt absolut mit dem Source Material überein. Er ist genau das, was die Comics an und für sich immer beschreiben: Ein unberechenbarer Psycho, ohne jegliche Moral oder Werte, welche ihn antreiben würden. Ein Narzisst, der niemals wirklich in Kontrolle über die Situation ist, und rein reaktiv funktioniert. Und doch wird genau die Perspektive der Figur, eigentlich larger than life, realitätsnah in den Kontext des Filmes eingebunden. Du verstehst, weshalb er zu dem wird, was er ist. Er verändert nicht seine komplette Persönlichkeit mit einem Moment, wie es häufig in seinen Origins angedeutet wird. Sondern er lässt lediglich genau den Seiten seiner Persönlichkeit freien Lauf, die schon immer darauf gepocht haben, an die Oberfläche zu kommen. In "Arkham Asylum: A Serious House on Serious Earth" wird behauptet, der Joker sei gar nicht wahnsinnig, sondern vielmehr die komplett angemessene Antwort auf seine Umwelt. "Hyper Sanity" wurde es dort genannt. Und genau so wirkt der Joker im Kontext der Erzählung auch. Seine Aktionen machen Sinn, zumindest von seinem Blickwinkel aus. Er wird zu der einzigen Konstante, die in seinem Leben noch bleibt. Und genau das macht seine letztliche Transformation zum Clown-Prinzen so unheimlich. Die Gesamtheit seiner Szenen in der Late Night Show sind mit das Verstörendste was ich seit Langem im Kino gesehen habe. Einfach weil du genau erkennst, wie so ein Konzept wie das des Jokers in der realen Welt aussehen würde. All die Leute, welche im vorhinein die Befürchtung hatten, der Joker könne "entmystifiziert" werden, lagen damit falsch. Etwas verstehen, heißt nämlich nicht zwangsläufig es seiner Faszination zu entrauben. Davon abgesehen bietet der Film auch genug Interpretationsspielraum, um die eigene Fantasie anzuspornen. Wir erhalten eigentlich keine komplette Dekonstruktion, sondern vielmehr eine Idee davon, wie ein "Joker" an die Oberfläche der Gesellschaft befördert werden könnte. Was und wie die Backstory von Arthur Fleck nun eigentlich ist, bleibt bewusst offen. Der Film stellt bewusst nicht die Frage was den Joker zu dem macht, was er ist, sondern danach wie er überhaupt dazu werden konnte. Und genau hier kommt auch die Gesellschaftskritik des Filmes zum Tragen. Und damit wohl auch der zweite große Kritikpunkt vieler Zuschauer/Kritiker. Diese ist nämlich....nicht gerade subtil. Und für viele mag das ein großer Nachteil sein. Mir allerdings...hat genau diese Entscheidung auf eine gewisse Weise gefallen (?) Um es kurz und schmerzlos zu erklären - ich finde schon dass ein Film wie "Joker" eine gewisse Verantwortung trägt, und deshalb seine Botschaft relativ klar und deutlich ausformulieren sollte. Die Probleme der Gesellschaft von Gotham City sind der Auslöser für die Geburt des Jokers. Durch sie gewinnt er erst an Macht. Und ihre Darstellung innerhalb des Filmes ist bewusst als Warnung inszeniert. Wenn ich sehe wie viele Fans des Filmes ihn genau für die falschen Gründe lieben, dann bestätigt sich aus meiner Sicht nur die Tatsache, dass jedes Quäntchen an falscher Zurückhaltung fehl am Platze gewesen wäre. Gerade bei einer Story, die sich komplett auf die Perspektive einer moralisch so verwerflichen Person stützt. Interessanterweise polarisieren genau in diesem Punkt die Meinungen der Kritiker. Es wird fehlende Subtilität angeprangert und andererseits die "gefährlich plumpe" Haltung der Narrative kritisiert. Evtl. genau das Zeichen dafür, dass "Joker" in dieser Hinsicht alles richtig gemacht hat ;) Zuletzt noch ein paar Kommentare zu vereinzelten Argumenten gegen den Film. Klar ist er stark von Scorsese Filmen wie Taxi Driver und King of Comedy inspiriert. Was daran so schlecht sei, erschließt sich mir dennoch nicht so ganz. Sind Filme wie "First Reformed", "Bringing out the Dead", "Falling Down" oder "I Stand Alone" jetzt ebenfalls zu kritisieren? Darf man einen Film überhaupt für solche Ähnlichkeiten schelten, obwohl er sich doch in Kernpunkten von der Inspirationsquelle unterscheidet? Würde der Film also eine bessere Bewertung erhalten, wenn man besagte Vorbilder einfach nicht gesehen hätte? Wie man es auch dreht und wendet, ein wirklich fundiertes Argument wird damit eher nicht geliefert. Und noch ein weiterer Punkt: Der Film wende "Küchenpsychologie" an. Alles was ich dazu erwidern würde, ist Folgendes...Kriminelle, ähnlich zum Joker, entstehen nicht aus einem größeren Grund, oder aus einer Laune des Moments heraus. Es gibt klare Krankheitsbilder und Faktoren, die zu einem ähnlichen Geisteszustand führen. Das hat ebenfalls nichts mit Küchenpsychologie zu tun. Wenn man lieber ein schockierendes Warnschild ala "We need to talk about Kevin" ohne jeglichen Versuch einer "Erklärung" oder Erforschung des Charakters, sehen würde - gut, verstanden. Muss man deshalb den Ansatz von "Joker" und ähnlichen Werken verteufeln, ja, sogar verächtlich abtun? Nein. Und es steht einem auch nicht wirklich zu, wenn man mich fragt. Hm, irgendwie war da noch was. Ach ja, Joaquin Phoenix' Performance. Aber ich denke dazu muss man auch nicht wirklich was sagen ;) Alles wie erwartet.