Die Perfektion des Lebens - und zugleich die Tragik -
Lara Jenkins wird an diesem Tag 60 Jahre alt, aber der Morgen dieses Tages ist eher deprimierend und der erste, der auf ihren Geburtstag aufmerksam werden wird, ist ein Polizist, der ihren Ausweis kontrolliert. Schon nach kurzer Zeit ist in dieser Geschichte klar, dass im Leben der Titelfigur Vieles nicht zum Besten steht bzw. in der Vergangenheit falsch gelaufen ist. Das Ende des Films ist zugleich das Ende des Tages und glücklicherweise bleibt so manche Frage unbeantwortet - wie im richtigen Leben. Der Tag selbst läuft auf ein Ereignis am Abend zu: Viktor, Laras Sohn, führt als Pianist seine erste Eigenkomposition als Konzert auf. Lara hatte Viktor unterrichtet, mittlerweile lebt er bei seiner Großmutter (= Laras Mutter) und Lara lebt von Viktors Vater getrennt.
Der Zuschauer begleitet Lara durch diesen (seltsamen) Tag quer durch Berlin: Einkauf, Essen, Zufallsbegegnungen und bewusste Treffen lassen die Zeit bis zum Konzert verrinnen. Aber auch nach dem Konzert warten Begegnungen und finale Erkenntnisse.
Der Regisseur Jan-Ole Gerster schließt mit "Lara" in mancher Hinsicht an seinen erfolgreichen Film "Oh Boy" (2012) an: Abermals streift seine Hauptfigur einen Tag lang durch Berlin und durch die Gespräche und Begegnungen ergibt sich ein Puzzle eines Lebens. War es in "Oh Boy" der Konflikt zwischen Zögern und Aufbrechen, aber auch die Frage nach den eigenen Zielen und den Erwartungen anderer, so dreht sich "Lara" um den Rückblick auf verpasste Chancen, hochgesteckt Ziele, Ehrgeiz und (fehlende) Empathie. Tom Schilling, der in "Oh Boy" den etwas ziel- und antriebslosen Studenten spielte, ist nun der von Unsicherheit und einer dominanten Mutter geplagte Musikersohn. Obwohl er erst recht spät im Film auftaucht und dann auch nur wenige Szenen hat, ist seine Figur im ganzen Film präsent, schwebt über allem Handeln und Denken von Lara. Die Hauptfigur Lara (großartig verkörpert von Corinna Harfouch) ist kein wirklich sympathischer Mensch und durch die Begegnungen wird deutlich, dass sie, die andere Menschen oft vor den Kopf gestoßen hat, nun alleine und ohne Freunde dasteht. Je mehr der Zuschauer über Lara erfährt, umso mehr wird der Film aber auch eine Studie über Fehler, Versäumnisse und Einsamkeit. Durch leisen Humor und eine flüssige Inszenierung bleibt die Geschichte stets spannend und unterhaltsam. Zuletzt gewinnt die Charakterstudie einer Frau im letzten Drittel ihres Lebens an ungeahnter Tiefe.
"Lara" ist eine Charakterstudie einer Frau, die an ihrem sechzigsten Geburtstag gezwungen wird, ihr Leben neu zu bewerten. Die schwierige Mutter-Sohn-Beziehung, die prägende Rolle von Musik sowie die Frage nach Schuld, Versöhnung, Empathie und der richtigen Form des Miteinanders machen den an einem einzigen Tag in Berlin spielenden Film zu einem kurzweiligen und zuletzt länger nachwirkenden Erlebnis.
"Lara" wurde auf verschiedenen Festivals nominiert und ausgezeichnet, u.a. beim Filmfest München 2019.