“Hey, you`re Rick fuckin` Dalton! Don`t you forget it!”, erinnert das von Brad Pitt gespielte Stuntdouble Cliff Booth an einer Stelle von Quentin Tarantinos neuem Streich „Once upon a time… in Hollywood“ seinen besten Freund und, nach den Regeln des Showgeschäfts, auch Boss, an längst vergangene Tage dessen Ruhms, von dem natürlich auch er nur solange gezehrt hat, bis dem Darsteller der fiktiven Westernserie „Bounty Law“ die lukrativen Rollenangebote ausgingen. Seitdem pflegt Dalton (Leonardo DiCaprio) seinen Ruf als ehemaliger Bad-Ass-Pistolero, die neue Mode des Spaghettiwestern ist aber nichts für ihn, und somit lehnt er ab, als Filmproduzent Marvin Schwarz (Al Pacino) ihn nach Italien lotsen will, um für den dreckigen Zwilling des seinerzeit eher pathetisch-konservativen US-Wildwestkinos vor der Kamera den Colt rauchen zu lassen. Der verblassende Ruhm und die Frage nach der Ernte der Lorbeeren für die Fließbandproduktion einer sich im Wandel befindlichen Filmindustrie, sie zieht sich wie ein roter Faden durch diesen Film, und wird durch Rick und Cliff clever reflektiert – eine Dopplung, die Hollywoods Auftrag zur Täuschung, bzw. zur Erschaffung täuschend echter Parallelrealitäten eine faszinierende Silhouette verleiht. Die Traumfabrik überlässt abseits des Rummels um ihre Stars unsung heroes im Dutzend billiger sich selbst – ein Schicksal, das auch „Once upon a time… in Hollywood“ wohl in der Retrospektive ereilen wird. Denn Tarantinos neueste cineastische Imagination ist bei aller formalen Brillanz so eigenwillig, dass sie selbst unter seinen eingefleischten Fans nur einen Bruchteil begeistern wird – aber jenen richtig.
Als bekannt wurde, dass der Meister einen neuen Film ins Rennen schicken würde, war die Erwartungshaltung wie immer enorm. Erst recht, als er noch vehementer als sonst Details zur Produktion verweigerte. Das Werk soll Ende der 60er Jahre in Hollywood spielen, und von den bestialischen Manson-Morden, allen voran an Sharon Tate, der Ehefrau des damaligen Regie-Emporkömmlings Roman Polanski, handeln. Das war alles, was Tarantino geifernden Fans wie Kritikern an Info-Häppchen zuwarf. Und doch trifft selbst dieses rudimentäre Gerüst bei Inaugenscheinnahme des fertigen Produkts nur bedingt zu: Ja, „Once upon a time…“ spielt 1969. Ja, man bekommt den berühmt-berüchtigten Sektenführer und brutalen Serienmörder Charles Manson zu Gesicht. Aber die Taten der Manson Family spielen nicht nur eine periphere Rolle, weil Thriller-Elemente in dieser vergnüglichen Nummernrevue eben so gut wie keinen Platz haben, nein – Tarantino betreibt mal wieder aktiv alternative Geschichtsschreibung. Nachdem er in „Inglourious Basterds“ das Schicksal der Juden im Dritten Reich selbst in die Hand nahm und in „Django Unchained“ jenes der schwarzen Sklaven, bewahrt er nun eine Stilikone der Swinging Sixties vor dem Tod und tilgt einen Hohepriester des Hasses aus der Zeitlinie der US-Gesellschaft. Tarantino darf das, weil Kino (fast) alles darf, und er sich solche Brüche mit einer erfrischenden Nonchalance herausnimmt, wie sie in der Populärkultur jenseits des großen Teiches fast überhaupt nicht mehr zu finden ist.
Sharon Tate wird dargestellt von Margot Robbie, und die erweist sich als Idealbesetzung. Sie spielt eine der schönsten Frauen der New Hollywood-Ära mit einer strahlenden Präsenz, ihre Vorliebe für fetischisierte Pin-up-Girls hatte sie ja bereits als Harley Quinn in „Suicide Squad“ unter Beweis gestellt. Es gibt eine Szene, in der Robbie eine Vorstellung von „Rollkommando“ besucht. Eigentlich eine völlig banale Sequenz, aber in den Händen von Tarantino wird sie zu einem Moment poetischer Nostalgie: die falsche Tate schaut der echten Tate beim Agieren auf der Leinwand zu, in ihrem Gesicht spiegelt sich Zufriedenheit über die Reaktion der Kinogäste. So würde es wahrscheinlich auch Tarantino selbst gehen, wenn er sich in Maskerade unter die Besucher seiner Filme mischte. Die Szene steht aber auch exemplarisch für den Gestus des Filmemachers anno 2019: hier hat sich ein Regisseur gefunden, der Furor und die Rebellion der Anfangstage, als er mit Meilensteinen wie „Pulp Fiction“ oder „Reservoir Dogs“ eine gesamte Nerd-Kultur aus dem Dornröschenschlaf erweckte und ihr ein hoffnungsfrohes `do it yourself´ entgegenzuschmettern schien, mögen verschwunden sein, sie ist einer Stilsicherheit gewichen, die manchmal nah am Exzess ist, aber mit Ausnahmen („Death Proof“) immer noch den richtigen Dreh findet, um das Publikum nicht mit Affektiertheit zu überfrachten.
Die Handschrift des Mannes aus Knoxville, Tennessee, bleibt unverkennbar. Genüsslich werden auch diesmal jene Passagen, die bei formgläubigeren Regisseuren unter den Schneidetisch fallen würden, zelebriert, dazu frönt er erneut schamlos seiner favorisierten Musik (Deep Purples „Hush“ oder Roy Heads „Treat Her Right“ flackern atmosphärisch über den Soundteppich), dem Einsatz von Stammdarstellern, die diesmal von einer beeindruckend langen Leiste an Kultdarstellern (Bruce Dern ist hervorragend als verpennter, vorgeblich blinder Rancher George Spahn), Newcomern und Cameos, dazu bisweilen sogar gedoppelt (Stichwort: Kurt Russell im Trailer), flankiert werden, seiner Liebe zum Western und zum Kino im Allgemeinen – man kann sich kaum satt sehen im Dschungel aus alten Plakaten, Kino-Anzeigetafeln und ikonischen Standbildern, die das Flair des Hollywoods zur Hippie-Zeit evozieren – sowie einnehmenden Zitaten: den Flammenwerfer als ultralustiges Set-Gimmick nutzt ein sichtlich überforderter Rick Dalton in einer „Inglourious Basterds“- Gedächtnisszene zum Nazis grillen, und Antonio Margareti, der Nickname von Sgt. Donny Donowitz in Tarantinos Zweiter-Weltkriegs-Farce, ist auch nur einen Steinwurf entfernt.
Trotzdem ist der erstaunlich unblutige Film dort besonders stark, wo er Erwartungen im Akkord unterläuft: an das Unterhaltungskino, an konventionelle Spannungsbögen, an Schauspielerführung, sogar an seinen Schöpfer selbst. Ein konsistenter Plot ist Tarantino unwichtig geworden, was gerade nach seinen letzten Filmen, die den episodenhaften Charakter früherer Tage weitgehend außen vor gelassen haben, überraschend daherkommt. Ein stoisch Hundefutter zubereitender Brad Pitt hier, eine sekundengenaue Zeitangabe wie in einer rasanten Echtzeit-Serie à la „24“ zur Ironisierung des Trivialen dort: ein back to the roots, das davon lebt, dass das lebende Filmlexikon seine angestammten Markenzeichen mittlerweile mit einer Gereiftheit transportiert, die einem den Wind aus den Segeln nimmt. Das Hinwegsehen über ein filmisches Raum-Zeit-Gefüge zeigt zweierlei: dass Film nicht primär ein Erzählmedium ist, und das auch gar nicht sein will, sondern ein visuelles – und darüber hinaus die Nichtigkeit einer Bilderfabrik und ihrer Manierismen und Allüren an sich, die Leere der industriellen Verwurstung der immergleichen Stoffe und Motive und des Korsetts an Regeln, die das Filmemachen seit Patentanmeldung der Kamera beinhaltet.
Diese Regeln bricht Tarantino in großartigen Szenentableaus, er schwelgt in besagter Nichtigkeit, und erfindet sich trotzdem mehr neu, als er es in „Inglourious Basterds“, „Django Unchained“ und „The Hateful 8“ je versucht hat. Wenn Leo DiCaprios abgehalfterter Cowboydarsteller, dessen Kunstfiguren irgendwann auf seinen realen Charakter abgefärbt haben, über das Älterwerden und die Vergänglichkeit im Showgeschäft sinniert – unter dem Deckmäntelchen einer Inhaltsangabe seines Groschenromans – und daraufhin von einer Achtjährigen belehrt und auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird, wird ein Generationenwechsel angedeutet: der Nachwuchs hat das Gebaren der alten Männer durchschaut, die die Regeln eines Systems nur noch mantraartig wiedergeben, ohne sie im Kern zu verstehen. Ob sie jetzt John Wayne, Clint Eastwood oder Rick Dalton heißen – konservative Rollenbilder werden mit der Zeit abgelöst und damit konfrontiert, dass gesellschaftliche Umwälzungen auch Auswirkungen auf die Kunst haben. Die Hippies stehen vor der Tür, schlimm genug für die Cliff Booths unter der kalifornischen Sonne. Da kann man sich eigentlich nur noch eine LSD-Kippe anzünden und hoffen, dass der Kelch irgendwie an einem vorübergeht. Pitts Trip, der die umwerfend absurde Schlussviertelstunde einleitet, und sein Fight mit Bruce Lee sind slapstick-artige Gegenpole zum bisweilen erstaunlich melancholischen Duktus des Films. Man kann Tarantino vorwerfen, er vergreife sich im Ton und ließe den ganz großen Flow diesmal nicht von der Leine, oder man honoriert, dass er mit „Once upon a time… in Hollywood“ die letzten Fesseln loslässt und somit einen der lebendigsten, auf jeden Fall aber den auf erhabene Art selbstgefälligsten Film seiner Karriere inszeniert hat.