"Kein wahrer Held wurde je aus einer Lüge geboren" - dieses Mantra muss sich Diana Prince in einer Pre-Credit-Sequenz in Patty Jenkins Superheldinnen-Fortsetzung "Wonder Woman 1984", die aufgrund der Corona-Pandemie vorerst nur auf Sky erschienen ist (ein Kinostart soll beizeiten folgen), von ihrer Mentorin Antiope (Robin Wright) anhören. Und es bringt die konservative Moral des Films ziemlich treffend auf den Punkt. Denn mal abgesehen davon, dass der Begriff des Heldentums in der postmodernen Unterhaltungskultur ohnehin die üblichen Gut-Böse-Schemata hinter sich gelassen haben sollte, werden Demokratien in der heutigen Zeit weniger nach einem zugrundeliegenden, jahrhundertelangen Prozess, als nach dem Ist-Zustand und der Pflege ihrer Strukturen bewertet. Manchmal ist die Wahrheit weit weniger verträglich als eine gut gemeinte Schwindelei. Das musste schon James Stewart im Western-Evergreen "The Man Who Shot Liberty Valance" Anfang der 60er erkennen.
Nun ist ein Film wie "WW84" ja nicht unbedingt der Gradmesser für einen gesellschaftspolitischen Diskurs, aber Regisseurin Jenkins hat nie einen Zweifel an der Ambitioniertheit ihres Projekts gelassen. Ihre Hauptdarstellerin ist die Israelitin Gal Gadot, die nicht nur aufgrund ihrer lässigen Art auf der Comic-Con eine gute Figur macht, sondern als neues, attraktives It-Girl als Idealbesetzung für die Rolle der Amazonenprinzessin erscheint, die bereits in den 40ern als starkes weibliches Gegengewicht zu Superman & Co. von William Moulton Marston, seines Zeichens Psychologe und Comic-Autor, erdacht wurde. Gadot beweist Präsenz, wirkt aber im Vergleich zu Teil eins verlorener in der zunehmend konstruierten Geschichte: da ist Diana Prince alias die titelgebende Wunderfrau als Anthropologin im Smithsonian Institute in Washington D.C. sozusagen "untergetaucht" in ein bürgerliches Leben, nachdem sie den Verlust ihrer großen Liebe Steve Trevor (Chris Pine) hinnehmen musste. Vor Ort trifft sie auf die fahrig wirkende Wissenschaftlerin Barbara Ann Minerva (die aus Filmen wie "Bridesmaids" bekannte Kristen Wiig), die mit der Aufgabe betraut wurde, vom FBI sichergestellte Artefakte zu untersuchen - unter anderem einen geheimnisvollen Kristall, der Wünsche erfüllen soll.
Price hilft Minerva bei der Untersuchung, dabei kommt ihnen aber der zwielichtige Unternehmer Maxwell Lord (Pedro Pascal) in die Quere. Dieser hält mit den rhetorischen Mitteln eines Marktschreiers Vorträge im Fernsehen, in denen er seinen potentiellen Kunden ebenfalls die Erfüllung von Wünschen verspricht, wenn sie denn nur in seine Wertpapiere investieren. Minerva lässt sich gleichermaßen von der Anziehungskraft des Kristalls als auch von den Verführungskünsten Maxwells blenden, der ebenfalls auf das Artefakt schielt. Und dann kommt da plötzlich der Fremde ins Spiel, der gegenüber Diana behauptet, die Reinkarnation von Steve Trevor (Chris Pine) zu sein, und dies auch indirekt unter Beweis stellt, indem er Wissen über Dinge offenbart, die eigentlich nur Trevor wissen kann....
Das klingt hanebüchen und austauschbar, und ist es größtenteils auch. Wo der erste "Wonder Woman" 2017 zwar auch nicht das von den Medien hochgejazzte DC-Meisterwerk war, aber immerhin durch seine Fokussiertheit und seinen Humor bestach, der sich hauptsächlich daraus speiste, dass die Hauptfigur ihre Komfortzone verlassen und sich in einem neuen, für sie ungewohnten Umfeld zurechtfinden muss, weiß "WW84" nun zunächst einmal nichts mit seinem Schauspielermaterial anzufangen. Also wird eine oben bereits erwähnte Erinnerung vorausgeschickt, die Price als junges Mädchen bei der Ausbildung zeigt. Hier soll der Breitwand-Tone gesettet werden, und gleichsam auf die inneren Konflikte der Heldin hingewiesen werden, die sie auch seit Trevors Verschwinden wieder umtreiben. In der Gegenwart folgt im Timelapse-Verfahren der Zusammenschnitt vereinzelter, seltener gewordener Rettungsaktionen von Wonder Woman, die mit ihrem getarnten Alltag im Smithsonian-Job kontrastiert werden. Die Eröffnung ist flott, wenn auch konventionell - spätestens ab der Rückkehr von Chris Pines Figur setzt aber das große Gähnen ein. Als wisse man nicht, was man zweieinhalb Stunden lang erzählen soll, wird Steve Trevor durch einen Bauerntrick zurück in die Handlung katapultiert. Denn jede Comicverfilmung, die was auf sich hält, braucht ja ein Love Interest. Mal abgesehen davon, dass der Fish-out-of-water-Humor des ersten Films infolgedessen nur 1:1 auf Trevor übertragen wird und dabei jegliche Spritzigkeit abhanden geht, läuft die Notwendigkeit des Plot-Turns auch dem feministischen Grundgedanken des Films zuwider. Selbst ist die Frau - warum zur Hölle braucht ein tough girl wie Diana unbedingt Trevor, um wieder klarzukommen?!
Der Feminismus-Aspekt ist dann auch ein Zankapfel bei der Beurteilung der Schere zwischen Ambition und Ergebnis. Memo an Patty Jenkins: man setzt nicht automatisch ein feministisches Statement, wenn man seine Heldin in Bustier und Stiefeln ein paar üble Burschen verkloppen lässt. Dianas obsessive Liebe zu Steve wirft die Figur wieder auf jene Objektifizierbarkeit zurück, der der Stoff eigentlich entgegenwirken will. Das propagierte female empowerment kommt also selten über die Kampagne hinaus, in seinen ärgerlichsten Momenten muss sich "WW84" sogar den Vorwurf der Misandrie gefallen lassen. Und das nicht aufgrund der Kontroverse, die der Plotstrang rund um Trevor ausgelöst hat, in dem jener keine Kontrolle über seinen Körper hat, und die eher Produkt einer Empörungskultur ist. Sowohl die Frauen-, als auch die Männerfiguren sind so eindimensional gezeichnet, dass selbst "Birds of Prey" Anfang 2020 mehr Reibungsfläche bot. Aber die Kerle sind, abgesehen von Trevor, entweder geld- und machtgeile Säcke, oder widerwärtige Catcaller. Damit steuert Jenkins ihren Film vorbei an empathiestiftenden metoo-Botschaften in Richtung Propaganda. Bedauerlich ist auch, dass der eigentlich erfrischende Auftritt von Pedro Pascal (Star Wars-Jünger werden ihn als Mandalorianer kennen, GoT-Fans als Oberyn Martell) mit fortschreitender Laufzeit doch wieder gen Proto-Fiesling kippt, vom verschenkten Potenzial, ihn als Projektionsfläche für Trumpism-Kritik zu nutzen, mal abgesehen.
So bleibt die Bühne für weibliche Superhelden in der Breite des Nerd-Kosmos leider überschaubar. "Wonder Woman" ließ vor knapp vier Jahren noch aufhorchen, Gal Gadot war davor schon im völlig verunglückten "Batman vs Superman" der Silberstreif am Horizont. Das Sequel ist eher ein Kabinett der ungenutzten Möglichkeiten, das sogleich auch die Schwächen des ersten Teils sichtbarer werden lässt, weil er dort aufbläst, wo man vorher den Ball flach gehalten hat, und dabei neue Impulse weitgehend vermissen lässt. Auch die 80er und ihre Reagonomics bleiben als zeitgeistige Kulisse weitgehend Attrappe. Wenn Antiope Recht hat und Held*innen wirklich keine Mogelpackungen sein dürfen, dann sieht es um das filmische Universum der Diana Prince nach dieser Fortsetzung wenig heroisch aus.