Kritik an Klassensystem und Armutsfalle: Das könnte langatmiges Sozialkino werden, aber Bong Joon Ho hat anderes im Sinn. Sein Film sieht von Anfang an nach ganz großem Kino aus, ob im schäbigen Kellerapartment oder in der Glasbetonvilla der Familie Park. Damit ist der Film optisch schonmal ein unwiderstehlicher Genuss, denn die großformatigen Bilder zeigen jede Menge Details der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Zugleich verdeutlicht der Bildaufbau die Unterschiede zwischen beiden Gesellschaftsschichten, denn wann immer die Kims und Parks in einer Einstellung auftauchen, überschneiden sich ihre Sichtlinien so gut wie nie.
Und dann ist da ja noch die Handlung. Die unverschämte Gewitztheit, mit der sich Ki-woo und später auch Schwester Ki-jung sowie beide Elternteile in den Haushalt der Parks einschleichen und auch noch so tun müssen, als würden sie sich nicht kennen, sorgt für jede Menge schräge Momente, in denen der Humor auf seine Weise Platz findet. Von europäischen und englischsprachigen Filmen ist man es mittlerweile gewohnt, dass witzige Szenen meist klar auf eine Pointe ausgerichtet sind, die sichtbar vorbereitet wird. "Parasite" verzichtet dagegen auf billige Schenkelklopfer und hat vielleicht gerade deswegen einige richtig gut zündende genial-komische Momente; etwa wenn zu übertriebener klassischer Musik eine Wasserschlacht stattfindet oder voller Pathos eine Parodie auf den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un zum Besten gegeben wird.
Strukturell muss man dagegen die wiederkehrende Dialoglastigkeit kritisieren, wodurch der Film gerade an wichtigen Stellen Fahrt verliert und zu oft das Offensichtliche in Worte fasst. Wenn die Gegensätze zwischen Arm und Reich schon so unübersehbar drastisch dargestellt werden wie hier und Herr Kim dann auch nochmal demonstrativ über die protzigen Hausherren wettert, dann klingt das zuweilen, als ob das Vertrauen in Darsteller, Bildsprache und Symbolik doch nicht so groß ist. Im Rhythmus benimmt sich der Film ohnehin recht "Arthouse-mäßig", denn jedem minimal kommerzieller orientiertem Film dieser Art würde man schneller Langatmigkeit, Übertreibung und fehlenden Schwung an entscheidenden Stellen vorwerfen. Vermutlich ist der explosive Höhepunkt bei einer gewissen Geburtstagsfeier eine Erinnerung daran, wie ernst es den Figuren mit ihren Absichten ist, denn zwischen mancher allzu ausführlich geratenen Szene könnte man es kurzzeitg aus den Augen verlieren.
Nichtsdesotrotz ist es ein Geschenk, dass sich Bong Joon Ho wieder in seine Heimat begeben hat und in den besten Momenten die Stilmittel des Hollywoodkinos mit dort gesellschaftlich wichtigen Themen kombiniert. Der Oscar-Gewinn darf einerseits durchaus als Zeichen für Weltoffenheit und Statement gegen soziale Ungerechtigkeit gesehen werden, gleichzeitig ist "Parasite" künstlerisch und handwerklich absolut auf einem Niveau mit seinen Konkurrenten. In Kürze läuft der Film übrigens noch einmal in Schwarzweiß in ausgewählten Kinos, was die ohnehin schon kontrastreich bebilderte Geschichte noch einmal in neuem Licht erstrahlen lassen dürfte. Überhaupt lohnt es sich den Film mehrmals zu sehen, dann zeichnen sich gewisse Entwicklungen und Parallelen vielleicht schon früher ab als gedacht.
Zum Heimkinostart wird dem satirischen Thrillerdrama ein würdiges Mediabook gewidmet, das in Sachen Bonusmaterial keine Wünsche offenlässt. Neben dem Film auf Standard- und UHD-BluRay gibt es noch eine komplette Disc mit zahlreichen Interviews, Making Of, Premierenclips, einer Masterclass mit dem Regisseur und vielem mehr. Ein Fest für Cineasten und weit über dem Standard lieblos zusammengeschnippelter Featurettes, wie sie vor allem bei vielen Filmen größerer Studios mittlerweile Standard sind. Das von Marco heiter verfasste Booklet ergründet die parasitären Eigenschaften des Films, eignet sich inhaltlich aber eher für angehende Kulturwissenschaftler. Wer den Film aufmerksam sieht braucht die Erklärungen nicht unbedingt, die mehr analytischer Essay als informativer Hintergrundbericht sind.