Christopher Nolan bringt also für das „Seuchenjahr“ 2020 den vermeintlich wichtigsten Film in die Kinos. Dazu muss ich gestehen, dass Nolan meiner Meinung nach nahezu ausschließlich überragend gute Filme zu verantworten hat. Nach seiner abgeschlossenen Batman/Dark Knight Trilogie wurde seine Kost für den Blockbuster-konsumierenden-Popcorn-Mampf-Hirni, wie ich es einer bin, immer schwerer greifbar. Bei Interstellar war ich dann auch kurz vorm Synapsen Kollaps, dennoch konnte man den Film, dann nach einiger Erklärung im Zelluloidgewitter selbst, als Ganzes genießen und auch begreifen. „Versuche nicht den Löffel zu verbiegen…“, der gute Mr. Anderson hätte mit der Realitätsspielerei Nolans seine wahre Freude gehabt. Nachdem ich von Freunden und Bekannten (welche teilweise mit Doktortiteln ausgestattet sind) die ich für weit gebildeter halte als mich, gehört und gelesen habe, dass „Tenet“ dermaßen komplex sein soll, dass man ihn nicht genießen kann, hat es mich dann doch überrascht, dass mich eben diese Komplexität, welche die Story zweifelsohne hergibt, während des Schauens nicht beschäftigt hat. Vielleicht zahlt es sich an dieser Stelle aus, dass ich eben doch der Hirni bin, der den Film als Actionfeuerwerk einfach nur genießen kann. Denn (und jetzt wird es schwierig, weiterzuschreiben ohne zu spoilern) wenn ich dem Rat der von Clémence Poésy gespielten weiblichen „Q“ Variante folge („Versuchen Sie nicht es zu verstehen.“), ist Tenet plötzlich ein recht linearer Actionfilm, der allerdings in seiner Präsentation seines Gleichen sucht. Natürlich kann man auch den Ansatz der „Entropie-Umkehr“, „Inversion“ oder einfach der kurzzeitig, rückwärtsablaufenden Handlung versuchen zu verstehen und zu hinterfragen, aber der Film funktioniert auch hervorragend, wenn man einfach die Gegebenheiten annimmt. Man kommt nicht umhin zwischenzeitlich zu fragen, in welcher Zeitlinie die Protagonisten sich gerade befinden. Aber entgegen der Vermutung das bei so viel „Zeitwuselei“ die Gehirnwindungen glühen müssen, um zu sehen und zu verstehen wohin der Protagonist als nächstes „reisen“ muss, um die Welt vor dem Untergang zu retten, verläuft der Weg des/ bzw. der Helden linear durch den Film. Zwar nicht in der Chronologie der Filmzeit, aber chronologisch der Filmlaufzeit, sprich die Handlung ist immer fortlaufend dem Protagonisten folgend. So ich diese Zeilen schreibe, so sehe ich, dass die Erklärung dann doch nicht so einfach ist, wie ich gedacht habe.
Wie ich nun den Hirni-Versuch der Erklärung schreibe und lese, begreife ich warum man vielleicht erst beim zweiten Sehen versuchen sollte den Film in seiner Gänze zu verstehen. So kriegt man eine Idee davon, welche Schwierigkeit das Schreiben des Drehbuch gewesen sein muss. Ich habe durchaus schon mal davon gehört, berauscht über Zeitreisen zu philosophieren, aber wie Nolan seinem Team klar gemacht haben muss, in welchem Zusammenhang die Drehs stehen, will ich mir gar nicht vorstellen.
Mit meiner Tradition brechend, dass ich nicht wie sonst mit der technischen Bewertung begonnen habe, zeigt meine Begeisterung für das Drehbuch. Aber ebenso wie das Skript ist nahezu jede technische Seite über Zweifel erhaben. Score, Schnitt, Kamera sind überragend. Jammern auf hohem Niveau ist die Tonmischung, bei der Dialoge im Verhältnis zur restlichen Untermalung doch etwas leiser ausfallen. Das Setting hätte vielleicht auch etwas aufregender sein dürfen. Das innere eines Hangar, eine Wüstenruine, ein Offshore-Windpark und ein unterirdischer Bunker sind dann doch etwas weniger spannend als der Highway auf dem eine der besten Verfolgungsszenen der Kinogeschichte abläuft.
Der Score von Göransson ist beunruhigend, verstörend und wie die Faust aufs Auge passend, dass Freunde der klassischen Filmmusik sich vielleicht sogar etwas „gestört“ fühlen. Göransson ist/wird zukünftig der wohl meistgefragte Filmkomponist. Diese/meine Aussage lässt sich mit Tenet nochmal untermauern.
Nolan ist einer der wenigen, wenn nicht sogar der einzige hochkarätige Hollywood-Regisseur, der nicht so viel Wert auf seine Darstellerriege legen müsste. Dennoch sind die Darsteller, bis auf Elisabeth Debicki, gut gewählt. Washington jr. Ist ein charismatischer Held, Brannagh ist ein solider Bösewicht, Debicki wirkt während einiger Szenen wie ein Ent auf Valium. Diese Diskrepanz zu dem insgesamt eher unruhigen, adrenalinfördernden Film endet für die „Peter Hase-Mopsi-Sprecherin“ leider als Ausfall im Ensemble. Die Chemie zwischen Debicki und Washington bleibt ebenfalls auf der Strecke, was nicht am Sohn von Denzel Washington liegt. Der ehemals bleiche Teeniefilmblutsauger und „Cedrick Diggory“ Pattinson dagegen ist der Sympathieträger und auch überzeugendste Schauspieler im Film. Die Interpretation des englischen Spions und Sidekicks „Neil“ passt wechselseitig hervorragend.
FAZIT: Wer Interstellar verstanden hat und nicht beim ersten Mal schauen den Versuch unternimmt Tenet komplett zu begreifen, der wird den Film nicht als so komplex empfinden wie er am Ende vielleicht doch ist. Aber genießen kann ihn jeder Actionfan, denn was hier abgefeuert wird, ist seit Matrix der größte Sprung in der Darstellung von Actionszenen. Ein Film der in 10 Jahren beim 20sten Schauen noch Spaß macht und überraschen kann.