Sooo, das hat mir gefehlt :-) Achtung, Leute, das wird ein Verriss. "Tenet" von Christopher Nolan ist der erste Film, den ich seit Wiedereröffnung der Kinos nach dem Lockdown gesehen habe - und gleich ein Kandidat für den schlechtesten Film des Jahres 2020. Visuell ist der Film schon in Ordnung, stellenweise sogar ganz cool. Davon aber abgesehen stimmt in diesem Film einfach hinten und vorne (rückwärts und vorwärts, Hihi) überhaupt nichts und der ganze Kladderadatsch ergibt nicht den geringsten Sinn.
Jaaa, mag der eine oder andere protestieren, man dürfe "Tenet" eben nicht mit dem Verstand begreifen wollen, sondern müsse ihn ... ähm ... öhm ... irgendwie auf einer anderen Bewusstseinsebene wahrnehmen und auf sich wirken lassen. Nolan sei ja schließlich dafür bekannt, Verwirrspiele zu erschaffen, die den Verstand des Zuschauers, seine Gewohnheiten und Gewissheiten auf den Kopf stellen, die Grenzen der Vorstellungskraft sprengen und so weiter und so fort. Das stimmt ja auch. Und das ist ihm in "Memento" und "Inception" beispielsweise auch meisterhaft gelungen. In "Tenet" aber nicht. Mein Eindruck ist, der feine Herr hat sich einfach auf seine persönlichen Geheimrezepte der vergangenen Filme verlassen, mit Zeit, Wahrnehmung und Erzählgewohnheiten wie immer herumgespielt und sah offensichtlich keine Veranlassung, seine eigenen Gewohnheiten mal zu hinterfragen und zu brechen.
Herausgekommen ist ein langweiliges, langatmiges, spannungsfreies Machwerk, das überhaupt nichts aussagt und beim Zuschauer nichts auslöst (außer Verwirrung). Es ist faul - denn Nolan hat sich auf seine bewährten Mätzchen verlassen und nichts wirklich Neues erzählt, genau genommen hat er einfach mal gar nichts erzählt, sondern nur ansatzweise coole, einigermaßen stylische Actionszenen aneinander gereiht. Es ist feige - denn Nolan drückt sich total offensichtlich darum, das Risiko einzugehen, die Handlung in irgendeine Richtung zu lenken. Jedesmal, wenn die Figuren im Film eine Frage stellen, was das Ganze eigentlich soll, wozu das alles dient oder Fragen zur Schlüssigkeit und Logik stellen, windet sich Nolan heraus und versucht gar nicht erst, dieses Herauswinden zu vertuschen: "Versuchen Sie gar nicht erst, das zu verstehen", "Was passiert ist, ist passiert", "Das ist halt ein Paradoxon", "Nicht drüber nachdenken", "Das wissen die, die's wissen müssen" und andere Plattitüden werden dann dem Fragesteller und dem Zuschauer vor die Füße geworfen und dann geht der Film eben weiter. Der Film ist außerdem eitel - denn er gefällt sich selbstverliebt darin, eine vermeintlich gute Idee gehabt zu haben, und diese platt zu walzen und auszureizen bis zum Gehtnichtmehr.
Der Plot und die Dialoge sind also schon mal Murks. Fiebert man wenigstens mit den Figuren mit? Nö. Der "Protagonist" hat noch nicht einmal einen Namen. Man weiß überhaupt nicht, wer er ist, woher er kommt, was er will und was er nicht will, warum er das tut, was er tut, wieso, weshalb, warum er überhaupt in der Geschichte eine Rolle spielt. Das gilt für alle anderen Figuren auch. So gut kann kein Schauspieler sein, gegen eine so holzschnittartig konzipierte Figurencharakterisierung anzuspielen. Auch von Neil erfährt man überhaupt nichts über seine Motivation. Kat, die einzige Frauenfigur, soll wohl eine Hommage an die klassische Hitchcock-Blondine darstellen, wird aber so auf ihre Rolle als Mutter und misshandelte Ehefrau reduziert, dass es einfach nur sexistisch und ärgerlich ist. Warum man Kenneth Branagh einen irren Russen als Bösewicht spielen lässt und keinen irren Briten, erschließt sich ebenfalls nicht. Vielleicht, um irgendwie so eine Kalter-Krieg-Plotline mit dem Holzhammer in die Story zu prügeln und dabei kein Klischee auszulassen. Vielleicht auch nur, weil Kenneth Branagh Lust hatte, einen russischen Dialekt zu sprechen.
Fazit: Dieser Film ist faul, feige, eitel - und schlecht. Wen ein grottiges Drehbuch, fade Figurencharakterisierung, fehlende Handlungslogik respektive überhaupt keine Handlung, eine fehlende Spannungskurve, schauderhafte Dialoge und wie verloren wirkende Schauspieler nicht stören und wer sich die ganz coolen visuellen Effekte anschauen möchte, kann das natürlich trotzdem tun. Aber er/sie beschwere sich hinterher nicht, ich hätte nicht vorgewarnt.
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Wer den Film schon gesehen hat, kann mir vielleicht doch mal ein paar Fragen beantworten, die mich gestern Abend noch wach gehalten und im Traum verfolgt haben, weil sie überhaupt keinen Sinn ergeben. Oder ich bin zu blöd. Egal. Also, hier meine Fragen:
- Warum bauen die Leute in der Zukunft überhaupt erst eine Waffe, die die ganze Welt auslöscht?
- Nachdem diese Waffe nun völlig idiotischerweise gebaut wurde, warum zerteilen sie das Ding in neun Teile und verstecken diese Teile irgendwo in der Vergangenheit, sodass die Teile in der Zukunft garantiert wieder auftauchen und irgendein Irrer in der Zwischenzeit ausreichend Gelegenheit hat, die neun Teile zusammen zu suchen, das Ding zusammenzubauen und die Welt zu zerstören? Warum zerstören sie die Waffe nicht wieder? Warum zerstören sie nicht wenigstens ein Teil davon? Warum zerteilen sie das Ding nur in 9 Teile, nicht in 99 oder 999? Warum sieht das Ding aus wie ein Phallus aus Schrott? Warum verstecken sie nicht wenigstens ein paar der Einzelteile in der Gegenwart, schießen sie auf den Mond oder sonstwo hin, dass der Irre in der Vergangenheit da nicht herankommt? Und braucht man den Schrott-Phallus überhaupt oder reicht der komische Algorithmus?
- Warum wollen die Leute aus der Zukunft Krieg mit der Vergangenheit? Da schießen sie sich doch buchstäblich selbst ins Knie?
- Irgendwann wird auch angedeutet, dass die Leute aus der Zukunft die Leute aus der Vergangenheit bestrafen wollen, weil die ihnen den Klimawandel eingebrockt haben. DIESE LEUTE HABEN EINE ZEITMASCHINE! DIE KÖNNEN ALLES RÜCKGÄNGIG MACHEN! Warum nutzen sie ihre Zeitmaschine nicht für etwas Sinnvolles, wie den Klimawandel zu verhindern, so lange es noch möglich ist? Sie könnten doch die Regierungen infiltrieren mit ihren Leuten und die Politik im Sinne des Klimaschutzes zu beeinflussen. Nein, das wäre ja zu naheliegend, lasst uns doch stattdessen unsere Zeitmaschine nutzen, um den dritten Weltkrieg anzuzetteln und alles Leben auf der Welt zu zerstören (Ja, Kat. Auch dein Sohn), muahahahahaha!
- Der Irre hat die Möglichkeit, sich selbst mit der Zeitmaschine zu invertieren. Warum heilt der Typ nicht einfach seinen Bauchspeicheldrüsenkrebs damit, anstatt eine Superwaffe aus der Zukunft zusammen zu bauen und die Welt in die Luft zu jagen?