"Soll ich dir eine Geschichte erzählen?" - Über Liebe, Angst und Erwachsenwerden -
Im Kern ist "Light of my Life" eine Geschichte über das Erwachsenwerden und die Ablösungsprozesse zwischen Kindern und Eltern. Die Erkenntnis des Vaters, seine Tochter nicht ewig vor allem und jedem beschützen zu können, und die erwachenden Gefühle des Mädchens, das spürt, wie es zur Frau wird und sich immer öfter gegen ihren Vater auch behaupten will/muss, bilden das Herzstück dieses ruhigen und eindrucksvollen Filmes.
Die berührende Vater-Tochter-Geschichte wird auf dem Hintergrund einer postapokalyptischen Welt erzählt, in der (vor ca. 10 Jahren) alle Frauen an einer unerklärlichen Krankheit ("Pest" genannt) starben. Die Männer blieben allein zurück und schienen dem Untergang geweiht, bis sich herausstellte, dass einige Frauen immun gegen die Krankheit waren und überlebten. Zwar gibt es noch so etwas wie Zivilisation (z.B. öffentliche Ausgabestellen für Lebensmittel), aber Recht und Gesetz scheinen ansonsten in archaischen Faustrecht übergegangen zu sein. Mädchen/Frauen stehen also ständig in der Gefahr, von der Übermacht der Männer vereinnahmt, versklavt oder sonstwie missbraucht zu werden. Genau hier setzt der beständig wache Schutzinstinkt des Vaters an, der seine Tochter durch Kleidung und Frisur wie einen Jungen aussehen lässt und immerzu den "Code Red", also das Verhalten in äußerster Gefahr trainiert. Zudem sind beide durchgängig auf Wanderschaft, um den verbliebenen Männern so gut es geht aus dem Weg zu gehen. Ganz lässt sich der Kontakt jedoch nicht vermeiden und Anna (nur "Rag" genannt, nach Raggedy Ann, der Hauptfigur einer Kinderbuchreihe) kommt nun zunehmend in die Pubertät, so dass sich ihr Geschlecht nicht mehr lange verheimlichen lassen wird.
Der Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Casey Affleck ("Manchester bye the sea") hat ein vielschichtiges Charakterdrama auf dem Hintergrund einer (überwiegend) feindlichen Welt inszeniert. Zwar ist die Zivilisation noch nicht so tief herabgesunken wie in "The Road", auch gibt es keine Zombies wie in "Cargo" oder Aliens wie in "A quiet place", aber Vater und Tochter sind auf sich allein zurückgeworfen und dürfen von niemandem Hilfe erwarten - sind aber irgendwann auf diese angewiesen und machen auch gute Erfahrungen mit anderen Menschen, ohne dass die Bedrohung endet.
Die großartige Eröffnungssequenz, die noch mehrmals inhaltlich wieder aufgegriffen wird, zeigt die beiden in ihrem Zelt nebeneinander liegend und der Vater erzählt seiner Tochter eine Gute-Nacht-Geschichte. Diese Geschichte enthält auf metaphorische Weise bereits alle Elemente des Films: Goldy, die Füchsin, die sich von ihrem Gefährten Art, dem Fuchs, zu lösen beginnt, und mit dem Fuchs "Fangzahn" einen Platz auf Noahs Arche erhält, während die Welt im Wasser versinkt. Die Geschichte wird später noch variiert und über Frage-Antwort-Gespräche immer mehr zur Erzählung dieser beiden, ganz eng verbundenen Menschen. Selten sieht man im Kino so intime und gleichzeitig vielschichtige Momente, wie das Zusammensein von Vater und Tochter in größter Nähe.
"Light of my Life" ist eine "Vater-Tochter-Geschichte in einer, nur aus der Perspektive der beiden Hauptfiguren fragmentarisch wahrgenommenen, postapokalyptischen Welt. Wenige Rückblenden (als Erinnerungen des Vaters) zeigen das Leben zuvor und damit auch die Mutter von Anna. Im Zentrum des Films steht auch nicht die Welt nach der Katastrophe, sondern die Liebe zwischen Vater und Kind, die Angst vor Gefahr und zugleich der unvermeidliche Ablösungsprozess, der durch Erwachsenwerden der Kinder ausgelöst wird. Die Erzählung bringt die Tiefe und Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen durch hervorragende Darsteller und eine intensive Inszenierung sehr gut zum Tragen. Die wenigen Spannungsmomente sind gut ausgearbeitet und sorgen zusätzlich für ein intensives Filmerlebnis - sofern man bereit ist, sich ohne oberflächlichen Thrill für das Schicksal von menschlicher Nähe in Zeiten der Unmenschlichkeit zu interessieren und konzentriert fesseln zu lassen. Sehenswert!