„You know you got nice color skin. What color would you say that is?“ „My color.“
Martin Scorsese ist einer der wenigen Regisseure, die damals wie heute starke Filme schaffen. Während Spielberg oder auch Ridley Scott zunehmend in trivialem filmischen Ergüssen versinken, schafft es Scorsese auch mit über 80 (!) Jahren noch relevante und wichtige Filme zu drehen. Selbst seine schwächeren Werke haben eine Schärfe, die anderen Filmen fehlt. Und vor allem schauspielerisch schafft es Scorsese aus seinen Darstellern alles rauszuholen.
Sein neuester Film „Killers of the Flower Moon“ von 2023 reiht sich nahtlos in diese beachtliche Vita ein. Basierend auf dem 2017 erschienen Buch „Das Verbrechen“ (David Grann) war dies ein Leidenschaftsprojekt von Scorsese. Der Film thematisiert die relativ unbekannten Morde an den Osage-Urweinwohnern in den 20er Jahren, was allein schon eine wichtige Tatsache ist. Umso schöner, dass der Film zudem auch wirklich stark ist und trotz seiner Laufzeit zu keiner Sekunde an Intensität verliert.
Oklahoma in den 20ern: Ernest Burkhart kehrt aus dem ersten Weltkrieg zurück, um bei seinem Onkel William Hale zu arbeiten. In dem Gebiet hat sich das indigene Volk der Osage durch ihren rentablen Ölfund mit dem weißen „Volk“ vermischt und es entsteht eine zunächst harmonische Zusammenarbeit. Angeführt wird dies von Hale selbst. Doch der hat eher den Profit im Kopf. Deswegen treibt er seinen Neffen Ernest dazu eine eheliche Verbindung mit der wohlhabenden Mollie Kyle einzugehen, um so an ihren Anteil heran zu kommen. Im Laufe der Geschichte passieren dann aber unerklärliche Morde, die ausschließlich die Osage-Ureinwohner betrifft, darunter auch Mollies Familie…
Gleich zu Beginn muss ich über die längere Laufzeit reden: „Killers of the Flower Moon“ ist wie Scorseses letzter Film („The Irishman“) fast dreieinhalb Stunden lang (206 Minuten). Heutzutage sind viele Filme an die drei Stunden lang und das nervt irgendwie auch, denn nur selten sind solche Laufzeiten auch gerechtfertigt. Aber Martin Scorsese ist einer der wenigen Regisseure, die solch eine gewaltige Laufzeit effektiv nutzen können. Und das ist auch hier der Fall, ich zumindest war bis zum Ende gefesselt, auch wenn ich die Länge gespürt habe (was aber eher an den engen Sitzen in den Kinos gelegen hat). Man muss sich halt bewusst sein, dass der Film eine gewisse Länge hat und dass man konzentriert dabei sein muss.
„Killers of the Flower Moon“ thematisiert eine wirklich komplizierte und schwierige Zeit, in der indigene Menschen durch ihren Reichtum zur (erneuten) Zielscheibe wurden. Scorsese schafft es wie kaum ein anderer jedoch den Zuschauer wunderbar in diese andere Welt einzuführen. Ich war sofort in der Geschichte und durch die dreieinhalb Stunden nimmt sich der Film viel Zeit alle Figuren einzuführen und zu beleuchten. Dass das Ganze auch mal langsamere Passagen hat, dürfte jedem klar sein, der schon mal einen Film gesehen hat, aber oftmals sind es auch genau diese Momente, die noch spannender sind als die lauten, actionreichen Szenen.
Scorsese hat seinen Stil, seinen präzisen Schnitt und seinen Einsatz von Musik und Gewalt. Und wenn es dann noch um mafiöse Strukturen geht, dann ist man bei ihm genau richtig. Viele Elemente dürfte man als Scorsese-Fan sicherlich sofort erkennen, und trotzdem schafft er es immer wieder neue Aspekte und Themen in seiner Film zu bauen. Hier beispielsweise war es der symbolische Vergleich einer schleichenden Krankheit von Mollie (einer der Hauptfiguren) mit dem stetigen Auftauchen von weißen, gierigen Männern im Kreise der Ureinwohner. Das klingt zunächst vielleicht sehr plump (der böse, weiße Mann), aber mit Scorsese weiß man, dass man nie für dumm verkauft wird. Die Figuren, die Menschen, die in dieser Geschichte präsentiert werden (und nahezu alle von diesen gab es damals wirklich) sind dreidimensionale Charaktere. Das wird vor allem in DiCaprios Figur Ernest gut erkennbar. Der ist nämlich einerseits an vielen kriminellen Taten beteiligt, empfindet aber für Mollie wahre Liebe.
Natürlich ist Rassismus etwas, womit der Film nicht geizt, weil es damals eben so war. Und nicht nur von den „Weißen“, sondern auch die Ureinwohner haben ihre (oftmals) berechtigten Vorurteile. Das Ganze wirkt nie aufgesetzt oder effekthaschend, sondern wie ein überspitzter, aber doch sehr realitätsnaher Blick in die dunkle Vergangenheit. Zwei Gruppen von Menschen prallen aufeinander und versuchen miteinander zu leben, aber sie stoßen immer wieder an Grenzen und genau das ist etwas, was mich an dem Film so gefesselt hat.
Es war auch eine gute Entscheidung den Fokus vom FBI wegzunehmen und ihn auf DiCaprios Figur Ernest zu lenken, denn im Buch und im ersten Drehbuchentwurf sollte DiCaprio den Agenten spielen, der später von Jessie Plemons übernommen wurde. So kriegt man die Ereignisse oftmals aus erster Hand mit und macht das Erlebnis dadurch umso glaubhafter und auch schrecklicher.
Kommen wir zum Cast, der hier bis in die kleinste Nebenrolle grandios besetzt ist! Ich war besonders von Leonardo DiCaprio begeistert, der sich trotz seiner Berühmtheit und seinem Erfolg immer noch nicht zu schade ist eine echte Figur zu erschaffen. Sein differenziertes Spiel und seine körperliche Arbeit sind famos in diesem Film und sollten ihm mindestens eine Oscar-Nominierung einbringen. Auch Robert De Niro ist stark, vor allem natürlich, wenn er mit Scorsese arbeitet. Er hat diese düstere Präsenz im gesamten Film, die mich begeistert hat. Ebenfalls grandios und beeindruckend war Lily Gladstone als Mollie, die mit ihrer stolzen und selbstbewussten Art der Rolle so viel Charme und Seele verliehen hat.
Erwähnenswert sind natürlich Brendan Fraser in einer kleinen, aber doch sehr soliden Rolle (schön ihn wieder mehrfach zu sehen!) und die Schwestern von Mollie, besonders Cara Jade Myers als Anna Brown. Und selbst Scorsese hat endlich mal wieder einen Auftritt in seinem eigenen Film und zwar einen äußerst berührenden!
Der Film sieht großartig aus, das ist wieder mal Kameramann Rodrigo Prieto zu verdanken (er war bei einigen Scorsese-Filmen dabei). Besonders das Spiel mit den Farben Rot und Orange hat mir gefallen. Der meisterhafte Schnitt von Scorseses langjähriger Editorin Thelma Schoonmaker haucht den Bildern das Leben ein und abgerundet wird das Ganze von einem subtilen, aber kraftvollen Score von Robbie Robertson. Auch dieser hatte viele Male mit Scorsese gearbeitet, verstarb aber leider kurz dem Relase des Films, was wirklich tragisch ist. Der Film ist ihm gewidmet.
Fazit: Von der ersten Sekunde bis zum überraschenden Finale ist „Killers of the Flower Moon“ ein herausragender, wichtiger und mitreißender Film. Jeder hier gibt sein Bestes und das ist nicht zuletzt Scorsese zu verdanken, der in einem Interview zum Film gesagt hat, dass er niemals aufhören wird nach neuen Herausforderungen zu suchen. Auch diese Herausforderung ist mehr als geglückt. Einer der besten Filme des Jahres!