Kein Zweifel, keine Übertreibung: Michael Herbig hat seinen bislang besten Film vorgelegt und lustig ist daran absolut gar nichts. "Ballon" erzählt eine Geschichte, die es bereits als großes Hollywood-Drama gibt. Denn die tatsächlichen Begebenheiten, auf denen sie beruht, sind so spektakulär, dass sich die Traumfabrik in Gestalt der Walt Disney Productions umgehend die Filmrechte daran sicherte. Das Ergebnis, "Mit dem Wind nach Westen" ("Night Crossing"), kam 1982 in die Kinos und wird gelegentlich am Nationalfeiertag im Fernsehen wiederholt. Herbigs Neuverfilmung - allein das ist schon eine Nachricht - lässt das Original mühelos hinter sich. Das Projekt war, wie der durch die Pro-Sieben-"Bullyparade" berühmt gewordene Schauspieler und Regisseur im Interview bekennt, ein Herzensanliegen Herbigs und der Kampf um die Rechte beinahe schon selbst filmreif: Disney ließ sich zunächst auf keinerlei Verhandlungen ein. Erst die Intervention des in Hollywood zu Ruhm und Ehren gelangten Schwaben Roland Emmerich ("Independence Day", "Der Patriot") führte zum Erfolg und Herbig konnte seinen Ballon endlich steigen lassen. Am Anfang der Arbeiten standen intensive Gespräche mit den realen Personen, deren Geschichte der Film erzählt, den "Republikflüchtlingen" Strelzyk und Wetzel.
Und darum geht's: Mit einem Ballon Marke Eigenbau wollen der geniale Tüftler Günter Wetzel (David Kross) und der zu allem entschlossene Peter Strelzyk (Friedrich Mücke) mit ihren Familien Ende der siebziger Jahre dem Staat den Rücken kehren, in dem Sahra Wagenknecht wahrscheinlich heute Staats- und Parteichefin wäre, hätte die so genannte Deutsche Demokratische Republik (in Wahrheit ein kommunistisches Überwachungs-, Bevormundungs- und Drangsalierungssystem) nicht vorher das Zeitliche gesegnet. Leider - und damit beginnt der Film - ist bereits ein Ballonfluchtversuch der Strelzyks knapp gescheitert und die Stasi, angeführt von dem opportunistischen Oberstleutnant Seidel (Thomas Kretschmann, bekannt aus "Der Pianist"), den potentiellen Republikflüchtlingen auf der Spur. Und damit beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, den nur einer gewinnen kann: die Stasi oder die Staatsverräter. Denn - das wird in Zeiten piekfein gekleideter Salonsozialisten wie Katja Kipping oder Gregor Gysi gern vergessen - das totalitäre SED-Regime ließ kaltblütig auf Menschen schießen, die ihm den Rücken kehren wollten. Das Wettrennen zwischen zynischem Stasi-Offizier und mühsam ihrer Enttarnung trotzenden Dissidenten hat Regisseur "Bully" Herbig außerordentlich fesselnd inszeniert. So gnadenlos dreht er, vor allem zum Ende hin, an der Spannungsschraube, dass Erinnerungen an große filmische Vorbilder wie "Das Leben der Anderen" oder den Hitchcock-Klassiker "Der zerrissene Vorhang" wach werden. Vor allem der Erfolgsfilm des Autodidakten Florian Henckel von Donnersmarck, der übrigens "Ballon" mit seinem neuen Film "Werk ohne Autor" in den deutschen Kinos Konkurrenz machen (und sich dabei schwertun) wird, stand erkennbar Pate. Genau wie in „Das Leben der Anderen“ ist der "DDR"-Alltag in kühlen Bildern atmosphärisch präzise eingefangen, wird das allgegenwärtige Gefühl von Einschüchterung und Beklemmung spürbar. Was Herbig nicht ganz so gut gelingt wie dem Oscar-Preisträger ist es, allen Figuren seines Ensembles dieselbe Tiefe zu geben. Die Mini-Liebesgeschichte zwischen Strelzyk junior und der Tochter eines bedingungslos regimetreuen Nachbarn ist weniger Romanze als nur ein weiteres Mittel der Spannungssteigerung. Die Konzentration des Films auf seine eigene, extrem effiziente Spannungsdramaturgie allerdings verfehlt ihre Wirkung nicht und presst den Zuschauer derart in seinen Sitz, dass er am Ende nicht mehr genau weiß: Ist das noch der Kinosessel oder schon die Ballongondel?
Dass das Ganze angesichts der bekannten historischen Fakten eigentlich nur gut ausgehen kann, verliert er dabei völlig aus den Augen.
Fazit: Mit seiner bislang besten Regiearbeit dürfte Michael Herbig Kritikern, die dem einstigen Fernsehclown den Wechsel ins ernste Fach nicht recht abnehmen wollen, ziemlich rasch den Wind aus den Segeln nehmen. "Ballon" ist der (bisher) stärkste deutsche Film des Kinojahres 2018. Und das Feiertagsfernsehprogramm am 3. Oktober wird in den nächsten Jahren um eine Attraktion reicher sein.
Eine Kritik der film-o-meter-Redaktion)