Mein Konto
    Skins
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Skins
    Von Christoph Petersen

    In den von der Kritik geächteten „Deuce Bigalow“-Filmen gibt es einen Gag, der das Ideal des „An der Behinderung / der Deformation vorbei auf den Menschen Schauens“ ebenso zotig wie treffend auf den Punkt bringt: Der titelgebende Aushilfs-Gigolo (Rob Schneider) hat ein Date mit einer Frau, die statt einer Nase einen Penis im Gesicht hat – und wenn sie niest, dann… naja, könnt ihr euch ja vorstellen, oder? Als ihm seine Verabredung später am Abend unter Tränen gesteht, dass sie schon immer unter ihrem Aussehen gelitten habe, zeigt sich Deuce Bigalow ganz als anpackender Gentleman und schleppt sein Date direkt zum nächsten Schönheitschirurgen. Einen Schnitt später tritt die Frau wieder aus der Klinik – mit zwei sichtbar aufgeblasenen Brüsten, aber immer noch einer Penisnase im Gesicht. Eduardo Casanovas Langfilmdebüt „Skins“ ist nun sowas wie die 77-minütige Experimentalfilmversion dieses einen Gags: In der rosa- und lilafarbenen Kunstwelt des 25-jährigen Ex-Soapstars gibt es Frauen ohne Augen oder mit einem (behaarten) Arschloch anstelle eines Mundes. Aber wenn die erste Phase der Verstörung und Provokation vorüber ist, hat Casanova mit Ausnahme einer oberflächlichen Moral nicht mehr allzu viel nachzulegen.

    Eine Frau ohne Augen (Macarena Gómez) empfängt als Prostituierte vor allem Kunden wie eine extrem übergewichtige Kellnerin (Itziar Castro), die sich so sehr schämen (für ihren Körper oder für ihre Taten), dass sie beim Sex auf keinen Fall gesehen werden wollen… Eine kleinwüchsige Schauspielerin (Ana María Ayala) schlüpft Tag für Tag in das Kostüm des pinken Kinderfernseh-Bären Pinkoo, hat aber eigentlich schon länger keinen Bock mehr auf den Job… Eine Frau mit stark deformiertem Gesicht (Candela Peña) will mit ihrem normal aussehenden Freund (Secun de la Rosa) Schluss machen, weil sie sich in einen Mann mit einem völlig verbrannten Gesicht (Jon Kortajarena) verliebt hat… Ein junger Mann (Eduardo Casanova) weigert sich, aus seinem Rollstuhl aufzustehen, obwohl er eigentlich gehen kann. Er lehnt seine Beine ab, weil sie nicht seine eigenen seien - am liebsten würde er sie sich sogar amputieren lassen, um so seinem Schönheitsideal einer männlichen Meerjungfrau näherzukommen…

    „Skins“ kommt nicht aus dem Nichts: Eduardo Casanova hat schon vorher ein halbes Dutzend Kurzfilme inszeniert, mit denen er bereits seinen – definitiv unverwechselbaren - Stil geprägt hat, den er selbst als Mix aus „Melodram und Terror-Gore, Billy Wilder und dem frühen David Cronenberg, einem rosafarbenen Teddybären und deformierten Menschen“ beschreibt. Einige Momente aus „Skins“ hat er sogar direkt aus seinen Kurzfilmen übernommen, darunter aus dem viral gegangenen „Eat My Shit“ (könnt ihr euch unterhalb der Kritik ansehen) eine Szene, in der sich die Frau mit dem Arschloch im Gesicht ihre Hühnersuppe per Trichter und Schlauch durch den Hintereingang (wo ihre – natürlich lilafarbenen - Lippen liegen) einflößt. Casanova möchte mit seinen Werken all jenen eine Stimme geben, die ansonsten wegen ihres Aussehens häufig aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden – aber in dieser Hinsicht hat er seinen Kurzfilmen in „Skins“ kaum noch etwas Neues hinzuzufügen, nur dürfte sein Spielfilmdebüt wegen eines Netflix-Deals nun von noch mehr Leuten gesehen werden.

    Seinen verstörendsten Moment hat „Skins“ gleich zu Beginn, wenn die Frau ohne Augen von ihrer nackt-unförmigen Zuhälterin bereits als elfjähriges Mädchen mit einem Mann (Antonio Durán) aufs Zimmer geschickt wird, der statt zur Geburt seines Sohnes in den Deformierten-Puff gekommen ist, weil er Angst davor hat, was er seinem eigenen Kind womöglich antun würde. Da muss man schon mehr als nur einmal schwer schlucken. Anschließend geht es dann eher amüsant-abgedreht als düster-abgründig weiter, wobei viele der emotionalen Momente aufgrund der unbedingten Absurdität des Szenarios nur bedingt ihre Wirkung entfalten. Absolut konsequent ist hingegen die strenge ästhetische Umsetzung dieser Welt aus Rosa und Lila, wobei Casanova die eigentlich meist mit Frauen oder Mädchen und der queeren Community in Verbindung gebrachten Farben hier bewusst konträr als Ausdruck von Schmerz und Gewalt einsetzt. Dieses verstörende zweifarbige Leinwanduniversum irgendwo zwischen Tim Burton und John Waters ist abseits des Schock-Appeals der eigentliche Grund, in „Skins“ zumindest reinzuschauen – mit nur 77 Minuten ist er ja schön kompakt und wird auch nie langatmig.

    Fazit: Eduardo Casanova entwirft in seiner Netflix-Produktion eine zunächst faszinierend-verstörende Kunstwelt – aber wirklich viel weiß der Langfilmdebütant mit dieser anschließend nicht anzufangen, auch der Provokationseffekt lässt schnell nach.

    Hier zur Einstimmung Casanovas Kurzfilm „Eat My Shit“:

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Skins“ in der Sektion Panorama gezeigt wird.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top