STIMMEN AUS DER IRISCHEN UNTERWELT
von Michael Grünwald | filmgenuss.com
Was Joanne K. Rowling kann, können andere doch auch: mit dem Harry Potter-Hype hat sich gegen Ende der Neunziger das literarische Genre der Jugend-Fantasy auf olympische Höhen gestemmt. Darunter dann einige, die es fast in ähnliche Höhen geschafft hätten, allerdings deutlich drunterblieben, die aber genug Leser finden konnten, um in Potters Fahrwasser mitzuplantschen. Percy Jackson zum Beispiel, mit den Figuren aus der griechischen Mythologie, derer sich natürlich auch Rowling bedient hat. Wirklich kreativ musste da keiner werden – die europäische Sagenwelt ist ein Fass ohne Boden, auf jedem Teil des Kontinents erzählt man sich etwas anderes. Hinzu kommt das Erbe eines Tolkien, der Orks, Zwerge und Elfen für den realitätsflüchtenden Liebhaber magischer Welten mit Peter Jacksons Verfilmungen neu etabliert hat. Natürlich blieb da Irland mit seinen Leprechauns und Fairies nicht außen vor. 2001 erschien unter der Feder Eoin Colfers das erste Abenteuer eines zwölfjährigen superklugen und superreichen Alleskönners und Erbe einer Verbrecherdynastie: Artemis Fowl. Die Fowls schwimmen im Geld, so wie die Waynes, und der distinguierte Knabe erinnert nicht rein zufällig an den juvenilen Bruce, der einen Butler an seiner Seite hat, der auch voller Skills zu stecken scheint, die das Unbequeme vor den Toren des Schlosses halten.
Da stellt sich natürlich die Frage: wie sehr identifiziert man sich mit einem geistig hochbegabten, reichen und durchaus arroganten Burschen, der keine Ecken und Kanten zu haben scheint, alles besser weiß und den nichts erschüttert? Die Skala von eins bis zehn arbeitet sich nur mühsam nach oben. Artemis Fowl ist irgendwie einer, der sowieso alles im Alleingang regeln kann, zumindest interpretiert Shakespeare-Liebhaber Kenneth Branagh den verfilmten Star der Buchreihe genau so, die, gäbe es den Film nicht, mir womöglich unbekannt geblieben wäre. Man erkennt: Casting-Frischling Ferdia Shaw verleiht dem jungen Meisterdieb (was im Film längst nicht klar wird, dass dieser überhaupt einer sein soll) ein an emotionalen Facetten armes Charakterbild. Was bleibt, ist Überheblichkeit unter einem völlig entgleisten Haarschnitt. Mit Sonnenbrille und Begräbnis-Outfit sieht Shaw eher aus wie ein junger Rekrut aus den Untiefen der Men in Black-Organisation. Und im Grunde genommen ist es das ja auch: Was es zu entdecken gilt, das sind die mythischen Welten im Untergrund, die sowieso die ganze Zeit parallel zu der unsrigen existieren. Gut, das ist auch alles andere als neu. Der Punkt geht an Harry Potter. Jenseits der irischen Wiesen tummelt sich ein fahriges High-Tech-Universum an Elfen, Kobolden und Trollen, wovon der eine oder andere in die Menschenwelt entkommt und in kostengünstigem CGI für Radau sorgt. Vor allem die Figur des Trolls wirkt wie ein computergenerierter Zwischenstand ohne Plastizität. Mit unfreiwilliger Komik fehlbesetzt bleibt Charaktermimin Judi Dench als spitzohrige Reinkarnation mit David Bowie-Gedächtnisfrisur, die durch eine unausgegorene phantastische Welt trottet, und die in jeder Minute nicht weiß, was sie hier eigentlich zu suchen hat.
Das sind die Dinge, die mir bei Artemis Fowl vorrangig in Erinnerung geblieben sind. Alles andere ist ein flüchtig notierter Spickzettel für einen über mehrere Filme hinwegziehenden roten Faden, der versucht, das Anfang und das Ende eines Epos zusammenzuhalten, dabei aber ziemlich durchhängt. Dieses Ringen um ein bestimmtes Artefakt hat weder Atmosphäre noch Zauber, auf Zeitdruck schnell hin inszeniert, unter der Fuchtel des Disney-Finanzresorts dahinkreisend und irgendwie längst nicht fertig. Branagh kann unmöglich damit glücklich gewesen sein – ich weiß, wie gut der Mann sonst inszenieren kann. Artemis Fowl dürfte dasselbe Schicksal erleiden wie The Seventh Son, die Verfilmung gleich mehrerer Romane des britischen Autors Joseph Delaney. Oder Der dunkle Turm von Stephen King. Alles Schnellschüsse, runterkupiert auf 90 bis 100 Minuten und wahllos mehrere Elemente aus verschiedenen Büchern vereinend. Was wohl dahintersteckt? Vielleicht haben all die Filme gemeinsam, dass die Studios schon während der Produktion gesehen haben, dass das Projekt nicht das erfüllt, was es versprochen hat, angesichts sämtlicher Verträge aber die Sache zu Ende gebracht werden muss. Und statt der Schublade gibt’s neuerdings das studioeigene Streaming-Portal, wo sich Filme wie diese leicht ins Exil retten lassen.
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