Die Franzosen haben es vorgemacht. Im Vorfeld der Fußball-WM 1998 bekam Regisseur Stéphane Meunier den Auftrag, das heimische Team während des Turniers im eigenen Land mit der Kamera zu begleiten. Das Ergebnis „Les Yeux dans les Bleus“ gilt zu Recht als ein Stück Sport-Doku-Kinogeschichte. Als Deutschland 2006 die Weltmeisterschaft ausrichten durfte, orientierte sich Jürgen Klinsmann an diesem Vorbild und so durfte mit Sönke Wortmann („Das Wunder von Bern“) erstmals ein Filmemacher unsere Nationalmannschaft bis in die Kabine begleiten und dort Aufnahmen machen. Auch wenn es nicht zum Weltmeistertitel reichte, faszinierte „Deutschland. Ein Sommermärchen“ fast vier Millionen Kinobesucher. Wortmann zeigte uns Schweini, Poldi und Co. beim Schabernack, fing wortgewaltige Ansprachen von Teamchef Klinsmann ein und ließ die Euphorie, die anno 2006 auf den Straßen herrschte, im Kinosaal noch einmal aufleben. Das Projekt sollte eigentlich eine einmalige Sache bleiben, doch dann wurde Deutschland 2014 zum vierten Mal Weltmeister. Da DFB-Kameramänner das Team um Trainer Jogi Löw und die „erwachsen“ gewordenen Kicker Schweinsteiger und Podolski ohnehin gefilmt hatten, entschloss man sich, das entstandene Material fürs Kino aufzubereiten – ein Sommermärchen mit Happy End ist schließlich noch besser. Mit „Die Mannschaft“ lassen Ulrich Voigt, Martin Christ und Jens Gronheid erfolgreich Gänsehaut-Momente aus dem WM-Sommer aufleben, doch es ist deutlich zu spüren, dass diesem Film ein vorgeplantes Konzept ebenso fehlt wie der auch mal distanzierte Blick eines außenstehenden Regisseurs.
Der misslungene Stolper-Freistoßtrick von Thomas Müller im WM-Achtelfinale gegen Algerien und das sagenhafte 7:1 im Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien dienen als Einstieg in die Dokumentation „Die Mannschaft“. Nach diesem Prolog, in dem Jogi Löw beispielsweise erklärt, warum er die vieldiskutierte Finte gut findet, den Zeitpunkt ihres Einsatzes aber sehr schlecht, gehen die Regisseure strikt chronologisch vor: von der Vorbereitung in Südtirol über die Anreise nach Brasilien, die Gruppenphase, die Spiele in der K.O.-Runde, den Titelgewinn bis hin zu den Feierlichkeiten in Brasilien und anschließend auf der Berliner Fanmeile. Sie zeigen noch einmal – unterlegt mit dem Originalkommentar von ARD und ZDF – alle deutschen Tore sowie weitere ausgewählte Spielszenen, liefern Bilder vom Training, vom Leben im Mannschaftsquartier Campo Bahia, vom Besuch einer brasilianischen Schule, sie zeigen die Momente kurz vor Spielbeginn in der Kabine und vor allem die langen, teilweise beschwerlichen Anreisen zu den Spielorten. Abgerundet werden diese Aufnahmen durch Interviews mit den Beteiligten, die erst einige Wochen nach dem Turnier extra für den Kinofilm aufgezeichnet wurden.
Die Bilder von den Spielen nehmen dabei einen großen Teil des Films ein. Und die Szenen funktionieren auch auf der Kinoleinwand prächtig. Nicht nur Mario Götzes entscheidendes Finaltor, das natürlich direkt in eine Reihe mit den Siegtreffern von Rahn, Müller und Brehme gestellt wird, sondern auch Mats Hummels‘ Siegtreffer gegen Frankreich, Manuel Neuers Kamikaze-Rettungsaktionen gegen Algerien oder der blutend immer weiterkämpfende Bastian Schweinsteiger haben auch beim wiederholten Ansehen absolutes Gänsehautpotenzial. Obwohl der glückliche Ausgang jedermann bekannt ist, kann man noch einmal mit dem Team mitfiebern, sich noch einmal über erlösende Tore und gelungene Aktionen freuen. Neben diesem willkommenen Fanservice setzen die Filmemacher vor allem einen Akzent: Sie machen den Titel zum Programm. Ohne dass es in den Interviews allzu sehr betont würde, zeigen alleine schon die Bilder, dass wir es hier mit einer echten Mannschaft zu tun haben. Ob bei der ständigen Flachserei des Golftrios Lahm, Schweinsteiger und Müller, bei der „Kabinenpredigt“ von Ersatztorwart Weidenfeller vor dem Algerien-Spiel oder in vielen kleinen, manchmal nur beiläufig eingefangenen Szenen vom Miteinander der Spieler, immer bricht sich eine Überzeugung Bahn – so abgedroschen sie auch klingen mag: Das Erfolgsgeheimnis dieser Mannschaft ist der Teamgeist.
Konflikte gibt es in „Die Mannschaft“ daher auch nicht zu sehen. Während in Wortmanns „Sommermärchen“ nach dem Spiel um den dritten Platz durchaus kontrovers zwischen den Fraktionen diskutiert wurde, ob man sich auf der Fanmeile feiern lassen sollte, herrscht hier durchweg Friede, Freude, Eierkuchen. So etwas wie Zoff gab es scheinbar höchstens mit Außenstehenden (wie bei Per Mertesackers bereits legendärem „Eistonnen“-Interview, das er nach dem Spiel gegen Algerien gab und das hier noch einmal in voller Länge präsentiert wird). Dieses Bild ist ohne Zweifel geglättet und auch wenn die Harmonie im Grundsatz durchaus echt wirkt, fehlt dem Film doch jemand, der auch einmal kritisch von außen auf die Mannschaft und ihren Tross schaut. „Die Mannschaft“ wirkt bisweilen wie ein Werbefilm – auch für die Partner des Teams. In diesem offiziellen Film des DFB und der FIFA ist die eine oder andere Großaufnahme des Schuhwerks des Hauptsponsors zu viel zu sehen (die Treter des Konkurrenzunternehmens werden übrigens nie so prominent gezeigt, obwohl auch diese von einigen Nationalspielern genutzt werden). Und dass ausgerechnet Manager und Werbeprofi Oliver Bierhoff den größten Redeanteil hat, ist auch kein Zufall – wobei immerhin einige amüsante Widersprüche in seinen Aussagen zutage treten. Die zahlreichen Trainingsszenen in Zeitlupe mit Musikuntermalung sind dagegen wenig erhellend, während die vielen Aufnahmen von Nationalspielern, die auf ihr Mobiltelefon schauen, immerhin verdeutlichen, was hier wohl die Hauptfreizeitbeschäftigung gewesen ist.
Zwangsläufig fehlt der „Mannschaft“ auch etwas von dem Neuigkeitswert, den noch das „Sommermärchen“ hatte. Von dort weiß man beispielsweise bereits, wie es in der Kabine zugeht. So erfährt man hier nur noch, dass der nach außen eher ruhige Joachim Löw sich im Wesentlichen der gleichen rustikalen Art der Motivationsansprache bedient wie sein Vorgänger Klinsmann („Wir hauen die weg“). So hat „Die Mannschaft“ trotz der fußballgerechten Laufzeit von 90 Minuten auch einige Längen, wird die Fans des deutschen Teams aber dennoch insgesamt begeistern. Dies ist zum einen Thomas Müller zu verdanken, der als drollige Spaßgranate – ob bei einem Auftritt im Dirndl oder mit einem „Brief“ an den Trainer – für Unterhaltung sorgt und es ist vor allem dem starken Ende geschuldet. Nach dem goldenen Tor von Mario Götze, dem Jubel auf dem Rasen und der Pokalübergabe ist es noch nicht vorbei. Den anschließenden Siegesrausch fängt das Filmemachertrio hautnah ein und nun lassen auch die Nationalspieler endlich richtig los. Plötzlich gibt es Momente, in denen die Spieler die Kamera vergessen. Da texten Müller und Co. im absoluten Überschwang während der Busfahrt immer neue Reime, um den Trainer dazu zu bringen, ein Lied zu singen oder das Duo Per Mertesacker und Shkodran Mustafi zaubert absurde Tanzmoves aufs Parkett. Hier treten die (Medien-)Profis, die meist selbst in scheinbar spontanen Szenen sehr wohlüberlegte Sätze in die Kamera sprechen, in den Hintergrund und machen Platz für die Menschen hinter der Rolle. Und die feiern einfach nur ausgelassen den größten Erfolg ihrer Karriere.
Fazit: Der offizielle DFB-Film zur Fußball-WM 2014 bietet wenig neue Einblicke in das Innenleben einer Mannschaft von Profisportlern, aber dafür leben die Euphorie und die Gänsehaut-Momente des Turniers noch einmal auf.