DIE OFFENE RECHNUNG EINER POSERIN
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Da sind sie alle dahin, die Superheldinnen und -helden, die uns jahrelang ans Herz gewachsen waren. Tony Stark, Captain America, Antiheld Loki und natürlich Natasha Romanoff alias Black Widow. Als schwermütiges Farewell war da Avengers: Endgame nicht nur einspieltechnisch in die Geschichte eingegangen. Wohl am rührigsten war Scarlett Johanssons Märtyrertod im Angesicht sich wiederholender Ereignisse, um Thanos‘ zynischem Entvölkerungs-Schnippchen vorab das Handwerk zu legen. Damit hatte wohl niemand gerechnet. Noch weniger als mit Lokis oder Iron Mans Dahinscheiden. Black Widow allerdings sollte nochmal ein DaCapo erhalten, eine Art Nachruf für eine ganz Große ihres Fachs.
Angesiedelt ist die wehmütige Rückschau nach den Ereignissen in The First Avenger: Civil War. Die Superhelden haben sich in alle vier Winde zerstreut, Natasha hat der Wind wohl eher Richtung Osten getragen, ins alte Europa. Als ihr eine böse Macht in ihrem norwegischen Versteck auf die Schliche kommt, in Gestalt des Taskmasters, einer Kampfmaschine zwischen Boba Fett und Daft Punk, kommen längt vergrabene Traumata wieder ans Licht. Dabei auch seltsame Ampullen mit rotem Staub. Diese wiederum führen unsere Heldin ins ausgiebig abgefilmte Budapest an der Donau, in ein Safe House, in welchem bereits Fake-Schwesterchen Yelena (sehr engagiert und ungekünstelt: Florence Pugh) über (fast) alles Bescheid weiß. Mit Ausnahme der exakten Position des sogenannten Red Rooms, dem Headquarter eines ominösen Unterweltlers namens Dreykov, der an vielem, was in der Vergangenheit so passiert war, Schuld zu sein scheint.
Nach Covid-bedingter Verschiebung ist das High-Tech-Actionabenteuer nun endlich in den Kinos gelandet. Natürlich auch auf Disney+ über VIP-Zugang, nur: Marvel-Filme sind, sofern keine Serien, auf der großen Leinwand einfach viel besser aufgehoben. Den speziellen Event-Charakter darf man Filmen wie diesen nicht nehmen. Und es kracht ganz schön, in den Karosserien diverser Boliden, in der Statik metallener Plattformen und in gestählten Körpern. Rund um eine persönliche und in Sachen Tempo recht untertourige, weil konzentrierte Familiengeschichte platziert Cate Shortland (u. a. Berlin Syndrom mit Teresa Palmer und Max Riemelt) nach taktisch klugem Dramaturgie-Konzept die heißen Eisen spektakulärer Action-Posings und flammenden Inferni. Vom Grundton her verabschiedet sich Black Widow wie erwartet vom kunterbuntenTreiben der Marvel’schen Thor– und Guardians-Fraktion und orientiert sich viel lieber an augenzwinkernden Agenten-Abenteuern eines James Bond oder Ethan Hunt. Dreykov könnte genauso gut als eine Art Blofeld die Macht auf Erden an sich reißen wollen, und statt Natasha Romanoff hält ihm der charismatische 007 die Waffe unter die Nase. Auch erinnert diese Origin-Story an Elemente aus der Amazon-Serie Hanna, bleibt aber spannunsgtechnisch weit dahinter. Doch kein problem, der Qualität des Streifens tut das keinen Abbruch. Wir wissen ja, das Johansson heil aus dieser Sache rauskommt, wir ahnen auch, dass Florence Pugh demnächst in einer der nächsten Disney-Serien mitmischen wird (sitzen bleiben bis nach dem Abspann!). Shortland gelingt mit Drehbuchautor Eric Pearson, der nach Thor: Tag der Entscheidung und Godzilla vs. Kong das neue Licht am Firmament der Blockbuster-Schreiber sein könnte, ein enorm straffes und zielgerichtetes Actiondrama mit der Nostalgie beim Durchblättern alter Fotoalben. Ein kauziger David Harbour als dominante Helden-Persiflage und unerwartet viel Platz für kernige Dialoge werden dem immer schon von den Marvel Studios angepeilten Mix aus Drama und Charakterführung abermals gerecht. Scarlett Johansson labt sich an dieser Stimmung mit ihrer üblichen leisen Ironie, einem verschmitzten Lächeln und plausibler Unnahbarkeit.
Obwohl inhaltlich klar noch Teil des ausklingenden MCUs rund um Thanos, läutet dieser rundum geschmeidige Film das nächste Zeitalter ein. Viel eher ist Black Widow aber der finale Prolog zu einer meisterhaft ausformulierten Epoche, die mehrere stilistische Ausdrucksformen so grandios vereinen konnte. Die Schwarze Witwe macht in diesem Fall als letzte das Licht aus.
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