Schnitte in einem Film sind ja eigentlich so sicher, wie das Amen in der Kirche. Fehler kann man so einfach herausschneiden und wenn nötig auch nochmal den ganzen Film umstrukturieren. Zuletzt zeigte aber Birdman, dass es den Fluss des Filmes erheblich verbessern kann, wenn man auf allzu viele Schnitte verzichtet und ganzen Szenen auch einmal in einem zu drehen. Dafür hat Kameramann Emmanuel Lubezki auch zu Recht einen Oscar erhalten. Doch während Filme wie eben Birdman oder auch Hitchcocks Klassiker Cocktail für eine Leiche letzten Endes doch nicht ganz ohne Schnitte auskommen, erschien dieses Jahr ein Film aus Deutschland, der genau das schafft. Victoria wurde in nur einem einzigen Take gedreht. Das ist auch das große Aushängeschild des Films. Doch so interessant das für den Filmliebhaber auch klingen mag. Letztendlich muss der Film auch jenseits dessen überzeugen können. Und so viel sei schon mal vorweggenommen: Das schafft er mit Bravour.
In Victoria ist die namensgebende junge Spanierin (Laia Costa) gerade dabei einen Club in Berlin zu verlassen, als sie auf eine die vier jungen und angetrunkenen Männer Sonne (Frederick Lau), Boxer (Franz Rogowski), Blinker (Burak Yiğit) und Fuss (Max Mauff) trifft. Doch was als lustige Begegnung anfängt endet bald in einem unfreiwilligen Banküberfall, weil Boxer Schulden aus seiner Zeit im Gefängnis begleichen muss.
Wer eine hochkomplexe Handlung erwartet ist hier falsch. Die Handlung kann man hier besser mit No Turning Back vergleichen. Sie ist schnell und kurz erzählt, jedoch so detailliert und spannend inszeniert, dass sie vollkommen ausreicht. Auch dank des wunderbaren Soundtracks, der in den richtigen Szenen eine so unglaublich Dichte und spannende Atmosphäre kreiert. Man leidet genauso, wie Victoria selbst. Es ist kein Mitgefühl, das man empfindet, nein, man macht genau dasselbe durch, wie sie, von der Freude bis zum Schmerz. All das lässt einen der Film selbst erleben. Man fühlt sich als Teil der Gruppe, da man sie ja auch den ganzen Tag über nie verlässt, da die Kamera sie ja die ganze Zeit begleitet. Und das macht viele Szenen nur noch schlimmer. Denn man weiß, dass man da erst rauskommt, wenn es Victoria auch schafft. Es gibt keinen rettenden Schnitt in eine andere Szene.
Überhaupt trägt die Kamera auch einen wichtigen Teil des Erlebnisses bei. So weich und fließend, wie in Birdman ist sie zwar nicht – ein paar wackelige Aufnahmen sind schon dabei – aber dennoch eine beachtenswerte Leistung von Kameramann Sturla Brandth Grøvlen. Dabei bleibt die Kamera immer bei Victoria und auch immer auf Augenhöhe mit den Figuren. Bis auf den Schluss gibt es nie Aufnahmen aus der Ferne, keine Totalen oder Froschperspektiven. Man ist immer mit im Geschehen, und kann sich so noch besser mit der Gruppe identifizieren. Dazu tragen aber auch die unglaublich authentischen Schauspieler einen großen Teil bei. Die spanische Schauspielerin Laia Costa spielt ihre Rolle so unglaublich facettenreich und gefühlvoll, aber auch der restliche Cast, allen voran Frederick Lau, dessen Leistung an dieser Stelle auch gelobt sei, macht seine Sache sehr überzeugend.
Obwohl der Film mit seinen 136 Minuten doch etwas lang ist, und sich auch das Ende viel Zeit nimmt, so finde ich das gar nicht so schlimm. Denn die Geschichte ist für Victoria ja auch erst vorbei, wenn es zu Ende ist, und dasselbe soll auch für den Zuschauer gelten. Überhaupt grenzt dieses Erlebnis fast schon an eine psychische Tortur, und das ist gar nicht negativ gemeint. Denn genau das macht den Film so sehenswert. Dass man am Ende genauso fertig und ausgelaugt ist, wie Victoria. Dass man dieselbe Panik gehabt hat, wie sie, denselben Druck verspürt hat.
Und so bleibt Sebastian Schippers vierte Regiearbeit vor allem auf emotionaler Ebene eine besondere Erfahrung, die war nicht wegen der Handlung, sehr wohl aber wegen der dichten Atmosphäre und der Charaktere in Erinnerung bleibt und mehr ist als einfach nur ein Film ohne Schnitt.