HIOB LÄSST SICH GEHEN
von Michael Grünwald / filmgenuss.com
Du bist der Fels, auf dem ich meine Kirche baue. Das soll damals, wenn man den Überlieferungen glaubt, Jesus zu Petrus gesagt haben. Petrus hat diese Bürde dankend angenommen. Anderen gefällt dieses Gleichnis weniger. Zum Beispiel Kolia, dem Vater eines Sohnes und Erbe eines stattlichen Holzhauses an der Küste der Barentssee. Ein herrliches Fleckchen Erde mit Rundblick bis hinaus auf den fernen Horizont, umgeben von Felsen und Wellen, hinter einer Brücke geht die Kleinstadt erst weiter. Das Häuschen selbst bietet angenehm rustikalen Komfort, hat große Fenster – moderner Landstil, wenn man so will. Da lässt sichs leben. Das weiß auch der Bürgermeister der Gemeinde, und das weiß auch die russisch-orthodoxe Kirche, die dort, an diesem exponierten Plätzchen, eine Kirche bauen will. Der richtige Fels also. Nur blöd, dass Kolia dort lebt. Der Bürgermeister wird’s hoffentlich richten, oder? Damit es den Mächtigen schmeckt. Fällt sicher was für den feisten Herren etwas ab. Kolia muss also seinen Besitz veräußern, ob er will oder nicht. Doch der hat zufällig einen Freund in Moskau, der Anwalt ist. Mit ihm zieht er vor Gericht, bringt ans Licht, was der Machtmensch des Ortes sonst noch für Dreck am Stecken hat. Doch der liebe Gott meint es nicht gut mit Kolia, der den dem Wodka zugeneigten Mechaniker so dermaßen auf die Probe stellt, dass man als Mensch eigentlich nur verlieren kann. Wenn man nicht ein Machtmonster wie der Bürgermeister ist.
Leviathan, das ist doch ein Seeungeheuer aus der christlich-jüdischen Mythologie? In einer Szene des Films zitiert ein Geistlicher im Gespräch mit Kolia aus dem Buch Hiob, um klarzumachen, dass sich ein Kampf mit dem Monster bei Weitem nicht lohnt. Das Monster, das sind die Mächtigen, ein ungreifbares und unangreifbares Ungetüm, bestückt mit zahlreichen Gliedmaßen, fast schon einer Hydra gleich. Bezwingen lässt sich das nicht. Der kleine Mann kann hierbei nur verlieren, es sei denn, er findet Halt im Glauben. Doch letzten Endes ist es die Institution des Glaubens, die den armen Trinker verrät – und ihm alles nimmt. Erbauliches Kino ist das keines, viel eher bitterer Filmrealismus, in welcher sich das Tragische zuspitzt wie sonst nur in klassischen Tragödien. Jim Sheridans themenverwandtes Enteignungsdrama Das Feld ist von ähnlich epischer Tragweite, auch Das Haus aus Sand und Nebel mit Ben Kingsley und Jennifer Connelly kennt die destruktive Dynamik von Existenzverlust und freiem sozialem Fall.
Der Wodka, der fließt dabei in Strömen und feiert den heulenden Niedergang. Wenn die monströsen Zähne der Baggerschaufel in die häusliche Geborgenheit der heiligen vier Wände einschlagen und diese niederreißen, dann sind das die schmerzlichsten, wie auch stärksten Szenen des Films. Andrey Zvyagintsev entzieht der Kirche und den Mitmenschen das Vertrauen. Der Politik sowieso. Nur der Glaube könnte ihn noch retten, doch anders als bei Hiob ist dieser bei Kolia nur peripher bis gar nichtvorhanden. Der einzige Freund, der noch bleibt, das ist der Kartoffelschnaps. Worauf also will Zyvagintsev hinaus? Was für mich übrig bleibt, ist ein Klagelied auf alles Mögliche (sogar auf den Alkohol), was, so lässt es sich vermuten, in Russland im Argen liegt. Wie kann es anders sein, in einem Land, in dem die Mächtigen gefühlt auf ewig mächtig bleiben wollen? Das ganze Land scheint wie ein diffuser Leviathan zu sein, so zumindest illustriert es dieser Film, dessen prädestinierter Abwärtstrend nicht aufwühlt, aber in seltsam phlegmatischer Resignation zurücklässt.
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