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    Ricki - Wie Familie so ist
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Ricki - Wie Familie so ist
    Von Andreas Staben

    Sie war 19 Mal für den Oscar nominiert und ist damit einsame Rekordhalterin unter den Schauspielerinnen und Schauspielern, drei von den begehrten Trophäen hat sie bereits gewonnen (für „Kramer gegen Kramer“, „Sophies Entscheidung“ und „Die Eiserne Lady“) und wer darauf wettet, dass sie für ihren Auftritt als alternde Rockröhre in Jonathan Demmes „Ricki – wie Familie so ist“ eine weitere Nominierung erhält, der kann damit nicht reich werden. Denn Meryl Streep hat natürlich auch die vorlaute, empfindliche und schwierige Möchtegern-Rebellin locker drauf und zeigt in einer nicht gerade subtil angelegten Rolle eine gute Leistung, aber für die mimischen Glanzpunkte sorgen diesmal andere: Während Kevin Kline (Oscar für „Ein Fisch namens Wanda“) und das ehemalige Rock-Idol Rick Springfield (Grammy für „Jessie's Girl“) mit Feingefühl beeindrucken, darf Streeps eigene Tochter Mamie Gummer („Stop-Loss“, „Cake“) ihr mit flamboyanten Auftritten und sarkastischen Onelinern die Schau stehlen. Nur wenn Ricki auf der Bühne steht, dann eröffnen sich für die Figur und für die Schauspielerin ganz neue Ausdruckswelten: Beim Singen der Hits von anderen finden sie erst richtig zueinander und zu sich selbst. Gleichzeitig wird in den Musikszenen aus einer schematisch angelegten, satirisch angehauchten Tragikomödie über eine dominante Frau allmählich ein liebevolles Gruppenporträt voller Zärtlichkeit, Nachsicht und Menschlichkeit.

    Vor Jahren hat Linda Brummel ihre Familie im Mittleren Westen verlassen, um in Los Angeles ihren Traum von der Karriere als Rockstar zu verfolgen. Seither nennt sie sich Ricki Rendazzo (Meryl Streep) und spielt mit ihrer Band The Flash Coverversionen bei Kneipenauftritten im San Fernando Valley. Das reicht nicht zum Leben und so muss sie tagsüber auch noch als Supermarktkassiererin jobben. Eines Tages wird Ricki überraschend von ihrem Ex-Mann Pete (Kevin Kline) kontaktiert, der sie um Hilfe bittet: Die gemeinsame Tochter Julie (Mamie Gummer) wurde von ihrem Ehemann verlassen und könnte ihre Mutter brauchen. Nur zögerlich macht sich Ricki auf den weiten Weg nach Indianapolis, wo Pete sie freundlich empfängt, während ihre Kinder, die sie seit Jahren nicht gesehen haben, zurückhaltend bis feindselig reagieren. Bei einem gemeinsamen Abendessen erfährt Julie, dass ihr Sohn Adam (Nick Westrate) schwul ist und dass sein Bruder Josh (Sebastian Stan) kurz davor steht, Emily (Hailey Gates) zu heiraten. Bei der Hochzeit will offenbar keiner Ricki dabei haben – insbesondere Petes zweite Frau Maureen (Audra McDonald) nicht. Frustriert reist Ricki wieder ab...

    Von ihrem erzählerischen Naturell her sind Drehbuchautorin Diablo Cody (Oscar für „Juno“) und Regisseur Jonathan Demme (Oscar für „Das Schweigen der Lämmer“) sehr unterschiedliche, fast schon gegensätzliche Künstler. Während Cody durchaus mit entlarvender Schärfe auf Personen, Orte und Milieus schaut (sei es die Provinz in „Young Adult“ oder die Highschool in „Jennifer's Body“) und aus ihren Protagonistinnen Unruhestifterinnen macht, werden Demmes Arbeiten zunehmend durch einen versöhnlichen Blick geprägt und stehen im Zeichen von Solidarität und Menschlichkeit. Das gilt sowohl für seine Dokumentarfilme (etwa 2011 in „I'm Carolyn Parker“ über die Folgen von Hurricane Katrina) als auch für die fiktionalen Werke (am schönsten in der verkannten Toni-Morrison-Verfilmung „Menschenkind“ und im ergreifenden Familiendrama „Rachels Hochzeit“, das hier deutliche Echos hinterlässt). In „Ricki“ prallen die beiden gegensätzlichen Temperamente nun aufeinander, wobei Reibungsverluste nicht ausbleiben. So nimmt etwa Demmes Beiläufigkeit der Szene im Supermarkt Codys Biss, sodass der Witz ein wenig ins Leere läuft. Beim mit den Worten peinlich und unangenehm nur unzureichend beschriebenen Familiendinner brechen sich wiederum Codys ätzende Dialoge Bahn, zugleich kitzelt Demme hier nun aber mit seismographischem Feingefühl die Nuancen und das Unausgesprochene aus den Gesichtern hervor – und aus einer mehr oder weniger groben Zurschaustellung wird gleichzeitig eine Szene voller Bedauern, Ohnmacht und verletzten Gefühlen.

    Die plakativeren Einzelheiten und Gegensätze (Rickis Konservatismus, der aufgeräumt-spießige Wohlstand ihrer Ex-Familie, die Hochzeitsgesellschaft, die bei Bruce Springsteen (!) die Nase rümpft) sorgen immer wieder für kleine Irritationen – es ist fast, als würde durch Demmes Zurückhaltung erst das überaus Konstruierte der Geschichte zum Vorschein kommen. Zugleich bringt er mit seinen Darstellern aber auch die menschlichen Saiten zum Schwingen: Wenn Kevin Kline als Pete seinen Kopf in Rickis Schoß legt, dann bekommt die Figur in der kleinen Geste mehr Eigenleben als durch die Spießbürger-Attribute des Drehbuchs. Wahrhaftigkeit wird schließlich in den musikalischen Szenen erreicht, dem eindeutigen Herzstück des Films und das nicht nur weil alle Auftritte von Ricki and the Flash live eingefangen wurden - ohne Playback oder sonstige Tricksereien. Der bekannt guten Sängerin Meryl Streep (man denke nur an ihre Darbietungen in „Mamma Mia!“ oder „Into The Woods“) wurden einige legendäre Musiker wie der im November 2014 verstorbene Bassist Rick Rosas an die Seite gestellt, ihre Coverversionen von „Wooly Bully“ über U2 bis Lady Gaga haben rauen Charme und gehen durchaus als die Leistung einer guten Kneipenband durch. Der Höhepunkt ist „Drift Away“: In dieser ausgedehnten Performance werden nicht nur mitten im Film die Regeln der Dramaturgie außer Kraft gesetzt, es wird auch gefühlvoll und unaufdringlich von Einverständnis und Zuneigung erzählt, was im harmonischen Finale zu „My Love Will Not Let You Down“ seinen bewegenden Abschluss findet.

    Fazit: Etwas schematisch angelegtes, aber gefühlvoll umgesetztes Wohlfühl-Drama mit tollen Musiksequenzen.

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