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    Al doilea joc - The Second Game
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Al doilea joc - The Second Game
    Von Michael Meyns

    Vater und Sohn schauen zusammen ein Fußballspiel. Das ist zunächst einmal nichts Besonderes und schon gar kein Stoff für einen abendfüllenden Film. Doch genau darum geht es in „Al doilea joc - The Second Game“, einer Dokumentation des rumänischen Regisseurs Corneliu Porumboiu („Police, Adjective“), die als Experimentalfilm womöglich besser beschrieben wäre. Auf der Leinwand ist nichts anderes zu sehen als ein unbedeutendes Meisterschaftsspiel zwischen Dinamo und Steaua Bukarest in der Saison 1988/89. Und das in voller Länge, bei zunehmend starkem Schneetreiben! Zu verraten, dass das Spiel 0:0 ausgeht, ist kein Spoiler, denn das Interessante an diesem bemerkenswerten Film ist die Tonspur: Dort hört man Porumboiu und seinen Vater Adrian, ein ehemaliger Schiedsrichter, der einst auch dieses Duell im Schnee pfiff. Der Ältere berichtet ganz pragmatisch über seine Erfahrungen zu einer Zeit, als Rumänien noch von der Ceausescu-Diktatur beherrscht wurde. Was bei dieser ungewöhnlichen filmischen Konstellation herauskommt, mag sperrig sein, lässt man sich aber auf dieses Experiment ein, offenbaren sich vielfältige Bedeutungsebenen.

    Was zunächst auffällt, ist die im Vergleich zu heutigen Fußballübertragungen erstaunlich schlechte Bildqualität. Diese wird zusätzlich dadurch geschwächt, dass man die Aufzeichnung einer alten VHS-Kassette sieht, die die ohnehin leicht verwaschenen Bilder noch zusätzlich unscharf erscheinen lässt. Da zudem ein ständiges Schneetreiben tobt, kann man vom eigentlichen Spiel kaum etwas erkennen. Schade eigentlich, denn Steaua Bukarest zählte Ende der 80er Jahre zu den stärksten Mannschaften Europas, gewann 1986 gar den Europapokal der Landesmeister und stand ein halbes Jahr nach dem hier zu sehenden Match gegen den Lokalrivalen Dinamo noch einmal im Finale, dem legendären 0:4 gegen den AC Mailand. Dass das Spiel hier aber kaum Höhepunkte liefert, öffnet letztlich den Blick für die scheinbaren Nebensächlichkeiten. Da fällt einem dann etwa die geringe Anzahl der Kameras auf, die das Spiel aus kaum mehr als zwei, drei Perspektiven zeigen oder die Einblendung eines leuchtenden „R“ in der oberen Ecke, wenn eine der wenigen Zeitlupen eingespielt wird.

    Besonders interessant sind dann – und hier nähert man sich dem eigentlichen Kern des Films – die Momente, wenn die Spieler auf dem Platz diskutieren, Rudelbildung nennt man das heutzutage, und die Kamera nicht etwa näher rückt, sondern dezidiert wegschaut und auf die Zuschauer schwenkt. Im Sozialismus sollte eben, so erklärt es Adrian Porumboiu, keine Zwietracht gezeigt werden, was auch für den Fußball galt. Und erst recht für ein Spiel zwischen den Mannschaften der Armee (Steaua) und der Polizei (Dinamo), Vertretern zweier Staatsorgane also, auf die ein Großteil der Bevölkerung alles andere als gut zu sprechen war. Dennoch hatten diese beiden Mannschaften viele Fans, machten sie doch die Titel meist unter sich aus. Da störte es dann auch nicht, dass Steaua der Lieblingsverein des Diktators Nicolae Ceausescu war. Der Club konnte am Ende jener Saison 1988/89 übrigens seine 14. Meisterschaft feiern, aber dieser Fakt findet bei Porumboiu ebenso wenig Erwähnung wie der Sturz des Regimes nur wenige Monate danach. Aber während  dieses scheinbar so trivialen Fußballspiels erfahren wir gleichsam nebenbei viel über das innere Wesen dieser unfreien Gesellschaft.

    Wie ging nun ein Schiedsrichter mit der politischen Situation um? Wie funktionierte das überhaupt: Unparteiischer zu sein, über Regeln und Fairness zu wachen, in einer Welt, die alles andere als gerecht und fair war? Bisweilen sei er von der einen oder anderen Seite unter Druck gesetzt worden, erzählt Adrian Porumboiu, doch wirklich dramatisch sei es nicht gewesen. Er habe viel laufen lassen und nur sporadisch gelbe Karten gezeigt. Diese pragmatische Einstellung bekommt im Kontext der Diktatur eine ganz andere Dimension. Auf ähnliche Weise zeigt sich in diesem Film in vielen scheinbar unbedeutenden Einzelheiten und Momenten die Realität einer totalitären Herrschaft. Diese Doppeldeutigkeit macht die besondere Stärke von „The Second Game“ aus, zugleich ist Regisseur Corneliu Porumboiu so schlau, diesen allegorischen Ansatz, die Parallele zwischen Fußball und Gesellschaft, nicht zu strapazieren. Er unterhält sich einfach mit seinem Vater, lässt viele Aussagen unkommentiert im Raum stehen und gibt dem Zuschauer selbst die Möglichkeit, Zusammenhänge zu erkennen.

    Fazit: In voller Länge zeigt Corneliu Porumboiu in seinem vielschichtigen Film „Al doilea joc“ ein Fußballspiel von 1988, ein Spiel, bei dem sein Vater Schiedsrichter war und das ihm dazu dient, auf subtile Weise Fragen über die Strukturen einer Diktatur aufzuwerfen.

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