Ganze 39 Jahre ist es her, seit der damals 30-jährige Sylvester Stallone zum ersten Mal den Ring betrat. Der Genre-Meilenstein „Rocky“ war die Geburtsstunde der Kino-Legende Rocky Balboa und mit dem dreifach Oscar-prämierten Box-Film (Bester Film, Beste Regie, Bester Schnitt) gelang Stallone 1977 der Durchbruch. Es folgten ganz Hollywood-typisch vier Fortsetzungen, die immer mehr in Richtung Trash abfielen und weder bei Kritikern noch beim Publikum überzeugen konnten. 2007 stieg Stallone dann aber zum sechsten und letzten Mal in den Ring, um der Reihe ein würdiges Ende zu bereiten, was mit dem tollen „Rocky Balboa“ auch gelang. Doch Hollywood wäre nicht Hollywood, wenn sie die erfolgreiche Reihe einfach ruhen lassen würden. Nach monatelangen Gesprächen war Sylvester Stallone wieder mit an Bord, der sich, anders als bei den Vorgänger-Filmen, nun weder für das Drehbuch noch für die Regie verantwortlich zeigte. Die Sorge war berechtigt, das „Creed“ nur ein lauwarmer Aufguss der Reihe werden würde, doch nach den 134 Minuten sitzt man wie weggeblasen im Kinosessel. Mit „Creed“ feiern Stallone und die „Rocky“-Reihe ihre triumphale Rückkehr. Der beste Sportfilm seit Jahren ist nichts weiter als der bisherige Gipfel der legendären Reihe und ein grandioses Meisterwerk zu Beginn des Kinojahres 2016!
Spricht man über „Creed“ muss man zu allererst bei Sylvester Stallone anfangen. Im siebten Teil der Reihe, steigt er zum ersten Mal nicht selbst in den Ring, dies überlässt er seinem jüngeren Kollegen Michael B. Jordan. Stallone fungiert hier also erstmals nur als Nebendarsteller, bekommt aber nach seiner anfänglichen Abstinenz, jede Menge Leinwandzeit eingeräumt. Und in dieser trumpft der gealterte Stallone groß auf! Der 69-jährige liefert die beste Leistung seiner Karriere ab und überzeugt auf ganzer Linie. Diese Leistung brachte ihm zu Recht den Golden Globe ein und auch der Oscar als bester Nebendarsteller ist Pflicht. Daneben überzeugt Michael B. Jordan, der in die großen Fußstapfen Stallones treten muss. Seine Darstellung ist ebenfalls großartig und er schafft es mühelos den Film als Hauptdarsteller zu tragen. Der physisch extrem austrainierte Jordan macht eine wirklich hervorragende Figur, da die Chemie zwischen ihm und Stallone unvergleichlich gut stimmt. Das Dreigespann von „Team Creed“ komplettiert Tessa Thompson, die als Jordans Love-Interest ebenfalls zu überzeugen weiß. Daneben bekommt man mit TV- und Box-Größen wie Michael Buffer noch einige bekannte Namen zu Gesicht.
Anders als die Vorgänger erzählt „Creed“ keine Geschichte eines aufstrebenden Underdogs. Michael B. Jordan spielt Adonis Creed, den Sohn des berühmtesten Gegners von Rocky Balboa und hat damit weniger mit Geldproblemen, als vielmehr mit dem großen Erbe seines Vaters zu kämpfen. Im Gegensatz zu anderen Box-Filmen dreht sich „Creed“ nicht um die Kämpfe, sondern um die Menschen die dahinter stehen. Der Film zeigt eigentlich nur zwei große Box-Kämpfe, ansonsten dominieren die zwischenmenschlichen Beziehungen der Charaktere, was eine außerordentlich gute Entscheidung war. Die tolle und emotionale Geschichte weiß dabei zu überzeugen, wie bei Box-Filmen üblich kann sie sich aber einer gewissen Vorhersehbarkeit und Überdramatisierung nicht entziehen.
Macht alles überhaupt nichts, denn „Creed“ ist fantastisch inszeniert. Der erst 29-jährige Regisseur Ryan Coogler setzt insbesondere die Kämpfe ungemein dynamisch und abwechslungsreich in Szene. Besteht der erste Kampf noch aus einer beeindruckenden Plansequenz, in der die Kamera nah an den Darstellern bleibt, fokussiert sich der finale Kampf auf eine Fernsehreife Inszenierung. Beide Varianten sind auf ihre Weise sehr gelungen. Untermalt wird das Geschehen von einem grandiosen Soundtrack, in dem sich Hip-Hop-Stücke mit epischen Einspielern abwechseln und zwischendurch immer wieder die klassischen Klänge des Rocky-Themas aufgegriffen werden. Sehr stark! Trotz einer gewissen Vorhersehbarkeit ist „Creed“ also zu jedem Zeitpunkt hochspannend und dabei auch hochemotional und hochdramatisch. Ein unglaubliches Wechselbad der Gefühle und ein wahrlich mitreißender Box-Film!
Fazit
Was für ein Wahnsinns-Film! „Creed“ ist der bisher beste Teil der „Rocky“-Reihe, was vor allem an seiner herausragenden Inszenierung, seiner unbändigen Energie und seinen tollen Darstellern liegt, aus deren Ensemble ein alles überragender Sylvester Stallone heraussticht, mit einer so starken Performance die man ihm gar nicht zugetraut hätte. „Creed“ setzt die Marke für zukünftige Box-Filme und zukünftige Filme des Kinojahres 2016 extrem hoch an, denn er ist einer der besten Filme der letzten Jahre! Die 2017 erscheinende Fortsetzung kann nach diesem grandiosen Neuanfang also gerne kommen.