Spoiler (dieses Review enthält zudem viele Informationen darüber, was in der Filmversion fehlt.
Wer die Buchversion von Dan Brown’s “Inferno” kennt - und komplett (!) zu Ende gelesen hat - wird sich wahrscheinlich bei der Verfilmung von Howard Brown fragen, weshalb die Filmversion so stark von der Buchversion abweicht. In seinem vierten Roman schickt Dan Brown seine Hauptfigur Robert Langdon wieder auf die Spur einer Weltverschwörung. Wenngleich das Buch in gewohnter Manier wieder einige Glaubwürdigkeitslücken enthält, nimmt es sich einer der Herausforderungen der Menschheit, der Überbevölkerung, an. Die filmische Adaption verfälscht seine Überlegungen und Anregungen an die Leserschaft derart, dass sie meiner Meinung nach „das Thema verfehlt“.
Es ist noch nicht einmal die Mittelmäßigkeit, mit der Ron Howard das Buch umsetzt, die vermutlich auch dem Mainstreaming“ geschuldet ist. Was verwundert ist, dass Dan Brown die bis zur Trivialisierung seiner Kernaussagen verkommene Verfilmung akzeptiert.
War es doch gerade die „so human wie möglich“ gefundene Lösung (wenn sich die Menschheit schon nicht auf einen freiwilligen, nachhaltigen Umgang mit dem Thema „Geburtenkontrolle“ einlässt), die die Leser trotz aller Radikalität zum (Nach)Denken anzuregen erlaubte. Dadurch, dass dem Zuschauer suggeriert wird, dass verhindert wurde, einen tödlichen Virus freizusetzen, wird die ganze Komplexität der Überlegungen letztendlich auf eine banale “gut-böse” Gegenüberstellung heruntergebrochen.
Dan Brown erzeugt in seinem Buch hingegen ein sehr viel komplexeres Szenario. In der Buchversion wird der Virus auch tatsächlich freigesetzt. Es geht hier aber eben nicht um ein Virus, der Menschen tötet, sondern um einen sorgsam entwickelten viralen Vektor, der eine genetische Veränderung verursacht, sodass ein zufälliger Teil der Menschheit (lediglich) unfruchtbar sein wird. Dies erlaubt dem Leser dann eine offene Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Fragestellungen (u.a. dazu, inwieweit es sinnvoll ist, jährlich Millionen von Euro für Fruchtbarkeitsbehandlungen auszugeben und weshalb viele Leute Kinder in die Welt setzen, obwohl sie gar nicht über die Ressourcen für ihre sinnvolle Betreuung aufbringen, oder sowieso nur auf den nächstbesten Kita-Platz warten.
Das Nachdenken darüber, wie „(in)human“ die Rettung der Menschheit aussehen darf bzw. Inwieweit Leute nicht sogar verpflichtet sind, aktiv Initiativen zum Handeln zu ergreifen, wenn eine sinnhafte Lösung vorliegt - denn „die heissen Orte der Hölle sind reserviert für jene, die in Zeiten der moralischen Krise nicht Partei ergreifen“ (wie es in Dan Browns Buch beschrieben wird, aber nicht ganz korrekt von Dante Aligheris Original übersetzt wurde.). Dieser Punkt schien Dan Brown jedoch wichtig zu sein.
Wir fragen uns, weshalb die Kernaussagen des Buchs in diesem Film nicht transportiert werden. Ist es tatsächlich so, dass dem Zuschauer so wenig Reflektionsvermögen zugemutet werden kann, dass er einen oberflächlichen Action-Thriller mit obligatorischem Happy End bevorzugt, anstatt sich kritisch mit wichtigen und spannenden Fragen zu grundlegenden Problemen der Menschheit auseinanderzusetzen?
In seinem Buch regt Dan Brown ebenfalls zur Offenheit gegenüber der transhumanistischen Philosophie an, sowie zur Auseinandersetzung mit neuen Denk- und Sichtweisen in bedeutenden Kontexten von Technologie und Gesellschaft (ein Bezug hierzu kann auch darin gesehen werden, das Dante’s “Göttlicher Komödie”, die das “Inferno” enthält, den Begriff “transumanar” erwähnt, was ungefähr übersetzbar ist mit “Überschreitung der menschlichen Kondition und Wahrnehmung”). Es wird v.a. deutlich am Ende des Buches angeregt, die Tabuisierung der Thematik des „In die Hand nehmens der Evolution” zu überwinden und hier in einen kritischen, aber offenen Diskurs zu gehen. Schade, dass die Verfilmung den Menschen keinen weiteren Informationskanal bot, um sich mit neuen Fragestellungen und Sichtweisen eingehender zu befassen, bspw. Damit, ob es wirklich unakzeptabel ist, in die Natur des Menschen einzugreifen, um das Überleben und den Wohlstand der Menschheit besser zu gewährleisten. Diese Fragen gar nicht anzusprechen ist jedenfalls auch kein gangbarer Weg.
Fazit: Für all diejenigen, die Dan Brown’s Buch “Inferno” nicht gelesen haben, ist der Film ein mittelmäßiger Action/Thriller, umgesetzt als Schnitzeljagd von Rätselstation zu Rätselstation. Für all diejenigen, die das Buch gelesen haben und sich mit der Thematik etwas tiefer auseinandergesetzt haben, ist der Film eine echte Enttäuschung. Er ist eine vertane Chance die Botschaften aus der Buchvorlage zu verstärken und so Menschen für die Fragestellungen zu sensibilisieren.